# taz.de -- Festivalkultur im Krisenmodus: Der Preis der Ekstase | |
> Festivals sind ein Gegenentwurf zum Alltag. Doch dramatisch gestiegene | |
> Kosten bedrohen die Szene. Helfen könnte mehr Kooperation statt | |
> Konkurrenz. | |
Bild: So geht Begeisterung: Gurr-Musikerin Andreya Casablanca lässt sich beim … | |
Das [1][Funkloch-Festival], das jährlich Mitte August knapp tausend | |
Besucher:innen in das sachsen-anhaltische Dardesheim lockt, ist ein | |
Stück gelebte Alternativkultur. Auf einem Hügel, mitten in einem Windpark | |
gelegen, zimmern die Mitglieder des Vereins Kulturcamping schon Wochen | |
vorher die liebevoll designten Deko-Elemente für die Bühnen zusammen, auf | |
denen DJs elektronische Musik auflegen und weitgehend unbekannte Indiebands | |
spielen werden. Alle arbeiten hier ehrenamtlich, Sponsoring oder Werbung | |
gibt es auf dem dreitägigen Festival nicht. | |
„Es ist ein cooles Gefühl, wenn man am Wochenende da steht und die | |
Besucher:innen eine gute Zeit haben, und du weißt, dass du das möglich | |
gemacht hast“, sagt Sebastian Katzer vom Verein zur taz. Eine kleine Oase | |
von den Zwängen des Alltags für ein Wochenende zu schaffen motiviert ihn | |
und seine Mitstreiter:innen jedes Jahr aufs Neue, das Festival auf die | |
Beine zu stellen. | |
Doch wie lange das noch möglich sein wird, ist unsicher. Wie viele | |
Musikfestivals hat auch das Funkloch mit steigenden Kosten und niedrigen | |
Ticketverkäufen zu kämpfen. „Die Produktionskosten steigen in allen | |
Departments“, sagt Katzer. Für dieses Jahr sei die Finanzierung durch eine | |
Förderung gesichert, aber sparen müsse man trotzdem. „Ein Jahr, in dem wir | |
keine Förderung bekommen, wird schwierig, so wie die Ticketverkäufe gerade | |
laufen.“ | |
Zwei Jahre nach dem offiziellen Ende der Pandemie [2][ist die | |
Festivalbranche in den Dauerkrisenmodus] übergegangen. Die | |
Rahmenbedingungen werden schlechter, eine Besserung ist nicht in Sicht. | |
Infolgedessen geben immer mehr Festivals auf, darunter nicht nur kleine | |
Festivals, sondern auch etablierte Veranstaltungen [3][wie das Mitte Juli | |
zum letzten Mal stattfindende Melt], das über 25 Jahre lang Zehntausende in | |
das Bergbaumuseum Ferropolis in der Nähe von Dessau lockte. | |
## Die Krise ist nicht vorbei | |
„Die Veranstalter:innen spüren nicht, dass die Krise vorbei ist“, | |
fasst Johanna Stark, Sprecherin des Branchenverbands LiveKomm, die Stimmung | |
zusammen. Die Kostensteigerungen seien dabei das dringendste Problem. „Wir | |
sind sehr gespannt, wie es nach dem Sommer aussieht. Wir haben große Angst, | |
dass vor allem kleinere oder ehrenamtliche Festivals aufhören oder | |
verdrängt werden.“ | |
Infolge der Coronakrise und dann anschließend gleich der Inflation sind die | |
Kosten in der Veranstaltungsbranche geradezu explodiert. [4][Während der | |
Pandemie verließen viele Fachkräfte die Branche], gleichzeitig stieg der | |
Bedarf nach der Pandemie. Sicherheitsdienste, Tontechnik und Sanitäranlagen | |
sind auch von Messen, Kongressen und anderen Konzerten gefragt. Auf die | |
Preissteigerungen reagierten die Veranstalter:innen mit einer | |
kräftigen Erhöhung der Ticketpreise. | |
Waren um die 100 Euro in den Vor-Corona-Jahren noch ein gängiger Preis für | |
ein Festivalticket, sind jetzt 200 Euro keine Seltenheit mehr. Für viele | |
Organisator:innen ist damit die Grenze dessen, was sie ihren | |
Besucher:innen zumuten können, erreicht. Doch die Preise steigen | |
weiter. Allein 30 Prozent seien es im Vergleich zum vergangenen Jahr, | |
schätzt Stark. | |
## Kein Mainstream, keine Werbung, kein Sponsoring | |
„Wir können nicht alles an die Besucher:innen weitergeben, weil die | |
Zielgruppe dann irgendwann wegbleibt“, sagt auch Björn Oesigmann, | |
Organisator des [5][„Zurück zu den Wurzeln“]-Festivals in Brandenburg. Die | |
„Wurzel“, wie Oesigmann die Veranstaltung nennt, ist mittlerweile mit | |
10.000 Besucher:innen eine etablierte Größe in der Branche, hat aber | |
ihren subkulturellen Charakter beibehalten: keine Mainstream-Acts, keine | |
Werbung, kein Sponsoring, dafür neun Floors, auf denen fast die gesamte | |
Bandbreite elektronischer Musik abgedeckt wird. | |
Die Idee war, den Spirit der kostenlosen, meist illegalen Open Airs, die | |
früher noch häufiger in Berlin stattgefunden haben, auf ein Festival zu | |
übertragen. Bei Ticketpreisen von bis zu über 200 Euro wird es allerdings | |
immer schwieriger, diesem Anspruch gerecht zu werden, gibt Oesigmann zu. | |
„Wir grenzen viele Menschen damit aus.“ | |
Um das Festival zu organisieren, hat Oesigmann ein Unternehmen gegründet, | |
das mittlerweile zehn Mitarbeitende beschäftigt. Doch wirtschaftlich zu | |
arbeiten wird unter den Bedingungen immer schwieriger. „Dieses Jahr kommen | |
wir plus/minus null raus“, schätzt Oesigmann. Mittlerweile sei die | |
Schmerzgrenze sowohl bei den Ticketpreisen als auch der Besucheranzahl | |
erreicht, der einzige Hebel, den viele Festivals bereits einsetzen, sei | |
noch Kosten einzusparen: weniger Floors, weniger Acts, weniger Kunst. | |
Mit den steigenden Kosten werden die Kalkulationen knapper. Eine Dynamik, | |
die selbst etablierte Festivals zur Aufgabe zwingt. Neben dem Melt werden | |
nach diesem Jahr auch das Hip-Hop Open in Stuttgart oder das | |
Meeresrausch-Festival auf Usedom zum letzten Mal stattfinden. Viele weitere | |
Festivals bangen um ihre Existenz. | |
## Ein großer Schuldenberg | |
Besonders belastend ist die Situation jedoch für kleinere und weniger | |
etablierte Veranstalter:innen. Für sie steigt das Risiko, nach monatelanger | |
Vorbereitung vor einem riesigen Schuldenberg zu stehen. So wie im Falle des | |
Fluid-Festivals, das sechs Wochen vor Beginn überraschend absagen musste. | |
Das kleine Festival, das 2022 zum ersten Mal in Brandenburg vom Verein | |
Heterotopie organisiert wurde, wollte einen Raum bieten, in dem Menschen | |
unterschiedlichster Identitäten elektronische Musik genießen, sich begegnen | |
und frei entfalten können. Für die zweite Ausgabe, die Mitte Juni | |
stattfinden sollte, hatten die Vereinsmitglieder bereits viel Zeit und | |
Mühen investiert. | |
Ein neues Gelände gefunden, DJs und Künstler:innen gebucht, Budgets | |
kalkuliert, Awareness-Konzepte ausgefeilt, Security- und | |
Sanitärdienstleister angefragt. Das alles ehrenamtlich, neben Studium und | |
Lohnarbeit. „Nebenbei so ein Mammutprojekt zu stemmen ist echt extrem“, | |
sagt Vereinsmitglied Josepha Groesgen der taz, „Das geht voll an die | |
Substanz.“ | |
Doch sechs Wochen vor dem Start sahen sich die Organisator:innen | |
gezwungen, das Fluid abzusagen. Die Ticketverkäufe lagen weit hinter den | |
Erwartungen zurück. „Es wäre unverantwortlich gegenüber allen Beteiligten | |
gewesen, das Projekt an diesem Zeitpunkt weiterzuführen“, sagt Groesgen. | |
Erschwerend kommt hinzu, dass viele kleinere und alternative | |
Organisator:innen deutlich höhere Ansprüche haben, um den Traum ihrer | |
Teilzeit-Utopie zu verwirklichen. Zum Beispiel antifaschistische | |
Security-Firmen, deren Mitarbeiter im Erkennen von Neonazi-Codes geschult | |
sind. | |
## Probleme mit lokalen Neonazis | |
In der Vergangenheit hätten lokale Neonazis immer wieder versucht auf das | |
Gelände zu kommen, erklärt Sebastian Katzer vom Funkloch. Oder | |
Awareness-Strukturen, um Unterstützung im Fall von sexuellen Übergriffen | |
und Diskriminierungen zu leisten. [6][Das Zurück zu den Wurzeln investiert | |
jedes Jahr viel Geld in rollstuhlgerechte Wege, Toiletten und Dancefloors, | |
um das Festival barrierefrei zu machen.] | |
Angesichts der existenzbedrohenden Lage werden die Rufe lauter, der | |
angeschlagenen Branche mit Fördergeldern unter die Arme zu greifen. Doch | |
während in der Pandemie [7][mit dem Programm Neustart Kultur] noch Hunderte | |
Millionen Unterstützungsgelder an Veranstalter:innen flossen, gibt es | |
in Zeiten der durch die Schuldenbremse auferlegten Sparzwänge kaum noch | |
Förderprogramme. | |
Immerhin 5 Millionen Euro stellt der Bund in diesem Jahr in einem | |
Förderfonds speziell für Festivals bereit. Gefördert werden 141 Festivals | |
mit bis zu 50.000 Euro – darunter auch das Funkloch. Doch die Summe deckt | |
den Bedarf nur ansatzweise, insgesamt haben sich 800 | |
Veranstalter:innen beworben. Auch das Fluid-Festival ging leer aus. | |
Förderungen können helfen, das Risiko, das gerade nichtkommerzielle | |
Veranstalter:innen tragen, zu minimieren und strauchelnde Festivals | |
krisenfester zu machen. So nutzt das Funkloch das Geld für Investitionen in | |
die Infrastruktur, die die Produktion langfristig vereinfachen und | |
vergünstigen. „Die Förderung ermöglicht uns, langfristiger zu planen. | |
Dinge, die wir sonst gemietet haben, können wir jetzt kaufen“, sagt | |
Sebastian Katzer. Das seien vor allem viele kleine Dinge wie Zelte für | |
Sanitäter:innen. | |
## DIY oder kommerziell? | |
Doch am grundlegenden Problem würden selbst noch großzügigere Förderungen | |
wenig ändern. Zur bitteren Wahrheit gehört auch, dass es nach dem Boom der | |
2010er Jahre und dem Nachfrageeinbruch infolge von Pandemie und Inflation | |
ein Überangebot an Festivals gibt. „Der Markt ist gesättigt, es wird eine | |
Bereinigung stattfinden“, prognostiziert Johanna Stark vom Branchenverband | |
LiveKomm. Die Frage ist nur, wer bestehen bleibt: Do-it-yourself-Subkultur | |
oder kommerzielle Riesenfestivals? | |
In der Krise der Festivalbranche findet eine Marktkonzentration statt, | |
durch die Großkonzerne immer mehr Einfluss gewinnen. Längst wird der | |
Festivalmarkt in Deutschland dominiert von Großveranstaltern, die Dutzende | |
Festivals gleichzeitig organisieren. Der Branchenriese FKP Skorpio | |
veranstaltet gleich 25 Festivals, darunter Rock am Ring, Hurricane und | |
Highfield. | |
Auch das internationale Kapital wittert seine Chance, 2022 übernahm Live | |
Nation, einer der weltweit größten Konzertveranstalter, Good Live, das | |
unter anderem das Hip-Hop-Festival Splash und das Metal-Festival Full Force | |
organisiert. Dass bald auch mittelgroße, alternative Festivals aufgekauft | |
werden, fürchten viele Veranstalter:innen. | |
„Die Gefahr ist groß, dass bei einer Übernahme dein Wertekompass verloren | |
geht“, sagt Alexander Dettke, Organisator der [8][Wilden Möhre], einem | |
Elektrofestival in der Niederlausitz. Trends wie Glamping, | |
Red-Bull-Sponsoring und international eingeflogene Top-Acts könnten damit | |
auch Einzug in die Subkultur halten. | |
Dettke ist Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens, das hinter dem | |
Festival steht. Dass die Möhre irgendwann einmal aufgekauft wird, ist für | |
ihn ein Szenario, das es zu verhindern gilt. Dazu will Dettke mit der | |
„Freude eG“ eine Genossenschaft gründen, die Kulturveranstaltungen wie die | |
Wilde Möhre langfristig sichert und ein Stück weit unabhängig macht von | |
wirtschaftlichen Zwängen. Durch den Verkauf von Genossenschaftsanteilen | |
soll das nötige Kapital gesammelt werden, um Flächen für Festivals zu | |
sichern und auszubauen. | |
Das Wilde-Möhre-Gelände in Göritz soll dabei als Blaupause dienen. Das | |
Unternehmen hat bereits üppige Fördergelder aus dem Strukturwandel-Fonds | |
der Lausitz bekommen, um das Gelände auszubauen. Durch Strom und | |
Wasserleitungen, feste Sanitäranlagen und Hängungen für die Technik soll | |
die Vorbereitungszeit minimiert werden. Statt drei Wochen könnte der | |
Festivalaufbau so nur drei Tage dauern, sagt Dettke. So könnten pro Jahr | |
deutlich mehr Festivals das Gelände nutzen. „Ein Festival ist eine | |
Kleinstadt. Du brauchst Infrastruktur für ein paar tausend Leute, wo sonst | |
keine ist.“ | |
Mit dem Genossenschaftskapital soll nun auch das Gelände gekauft werden. | |
Statt ein Unternehmen sollen dann zukünftig die Genossenschaftsmitglieder | |
entscheiden, wie das Gelände bespielt und entwickelt wird. | |
Die Idee hat Potenzial, gerade weil selbst in Festival-Bundesländern wie | |
Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern die Flächen knapp werden. Brachen | |
rücken in den Fokus von Investor:innen, oft wird das Umland durch | |
Einfamilienhaussiedlungen bebaut, deren Bewohner:innen sich wiederum am | |
Lärm stören. „Festivals werden oft nicht mitgedacht bei Raumplanung“, | |
kritisiert Stark. | |
Mehr Kooperation, weniger Konkurrenz scheint eine passende Antwort auf die | |
Dauerkrise zu sein. „Vielleicht sollten wir Banden bilden“, sagt Bonnie | |
Weber vom Entropie-Kollektiv. Das linke Szene-Festival pausiert dieses | |
Jahr, vor allem weil viele Mitglieder überlastet sind. „Es gibt so viele | |
Festivals, die Ähnliches machen und ähnliche Ideale haben. Warum tun wir | |
uns nicht zusammen und machen eine Veranstaltung mit ein paar mehr Leuten?“ | |
23 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.funkloch-festival.de/ | |
[2] /Partybilanz-des-Sommers/!5877745 | |
[3] https://www.meltfestival.de/ | |
[4] /Krise-der-Veranstaltungsbranche/!5724865 | |
[5] https://www.wurzelfestival.de/ | |
[6] /Inklusion-auf-dem-Wurzel-Festival/!5416214 | |
[7] /Recherche-zu-Coronahilfen/!5928497 | |
[8] /Festival-in-der-Lausitz/!5949621 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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