# taz.de -- Partybilanz des Sommers: Der große Festivalkater | |
> Überschaubarer Andrang, steigende Kosten: Die Freude über das Ende der | |
> Corona-Auflagen währte bei vielen Festivalorganisator:innen nur | |
> kurz. | |
Bild: Hat ordentlich Miese gemacht: das Fusion-Festival | |
BERLIN taz | Die Temperaturen sinken, die Tage werden kürzer und der | |
Festivalsommer neigt sich seinem Ende zu. Zum ersten Mal [1][seit Beginn | |
der Corona-Pandemie] konnte in diesem Sommer auf den Äckern des Berliner | |
Umlands wieder weitgehend ohne Einschränkungen getanzt, gelacht, gefeiert | |
werden. Doch der erhoffte Befreiungsschlag für die krisengeplagte Branche | |
war das nicht: Preissteigerung, Personalmangel und schleppende | |
Ticketverkäufe brachten viele Veranstalter:innen in Bedrängnis. | |
„Wir haben einen extremen Kostenanstieg von bis zu 250 Prozent in einzelnen | |
Bereichen gehabt“, berichtet Lara Wassermann, Sprecherin des Festivals | |
[2][„Zurück zu den Wurzeln“], das mit rund 8.000 Besucher:innen im Juni | |
im brandenburgischen Niedergöhrsdorf stattfand. | |
Grund für die enormen Preissteigerungen sind – wie auch viele andere von | |
der taz befragten Veranstalter:innen berichten – neben den höheren | |
Energiepreisen vor allem die starke Nachfrage nach Veranstaltungstechnik. | |
Schließlich wurden in diesem Sommer auch zahlreiche, eigentlich in kälteren | |
Jahreszeiten stattfindende Konzerte, Messen, Kongresse und Firmenevents | |
nachgeholt, die wegen Corona teils mehrfach verschoben worden waren. | |
Dadurch hat sich ein Effekt verstärkt, der schon in den Jahren kurz vor | |
Corona sichtbar war: Damals hatte ein regelrechter Festivalboom eingesetzt, | |
der sich nun fortsetzt. „Sehr viele kleinere Kollektive haben angefangen, | |
Festivals zu organisieren“, berichtet Wassermann, „der Markt platzt aus | |
allen Nähten.“ | |
Denn dringend benötigte Infrastruktur wie Soundanlagen, mobile Toiletten | |
und Bauzäune sind nur in begrenzten Maße vorhanden – die Folge ist eine | |
Preisexplosion in fast allen Bereichen. „Gerade bei den Dixis galt das | |
Gesetz: Wer zahlt am meisten“, nennt Wassermann ein Beispiel. Man habe auch | |
von Festivals gehört, bei denen die Toilettenkabinen zwei Wochen vor | |
Festivalbeginn vom Anbieter wieder abgezogen wurden, weil ein anderer Kunde | |
mehr Geld auf den Tisch legte. | |
Eine weitere Folge der hohen Nachfrage in der Branche war ein Mangel an | |
Fachkräften. Veranstaltungstechniker:innen, Security- und Barpersonal waren | |
nicht nur schwer zu bekommen, sondern erhöhten auch ihre Preise. „Wir haben | |
viele gute Leute an andere Festivals verloren, weil wir Tagessätze in der | |
geforderten Höhe nicht mehr zahlen konnten“, erklärt Ronny Mollenhauer die | |
Herausforderungen der diesjährigen Festivalproduktion. Mollenhauer ist | |
Organisator des „[3][3.000 Grad]“. Das im mecklenburgischen Feldberg | |
stattfindende Elektro-Festival ist auch in der Berliner Clubszene eine | |
etablierte Größe. | |
Sowohl das „Zurück zu den Wurzeln“- als auch das „3.000 Grad“-Festival | |
schafften es trotzdem, den Sommer ohne Verlust zu überstehen. Erreicht | |
werden konnte das durch stark erhöhte Ticketpreise. Kostete ein Ticket für | |
das „Zurück zu den Wurzeln“ 2019 noch etwas über 100 Euro, waren in diesem | |
Jahr mehr als 170 Euro fällig. Ein Preisbereich, indem sich aktuell viele | |
Festivals bewegen. | |
Doch selbst durch die gestiegenen Eintrittspreise ließen sich nicht alle | |
Kosten kompensieren. „Am Ende hat die Kultur gelitten“, berichtet | |
Mollenhauer etwas wehmütig. Der Veranstalter sah sich gezwungen, | |
Künstler:innen zu stornieren und das kulturelle Angebot zu verkleinern. | |
Schließlich leiden auch viele Veranstalter:innen immer noch unter den | |
Einnahmeausfällen während der Coronajahre. Bund und Länder versuchen zwar, | |
Kulturschaffenden mit Förderprogrammen unter die Arme zu greifen, doch die | |
Unterstützung falle zu niedrig aus, so die Kritik. „Die Hilfen sind nicht | |
mal annähernd ausreichend, um die Corona-Ausfälle zu kompensieren“, erklärt | |
Wassermann. | |
So bedeutet die Kostenexplosion für viele Veranstalter:innen einen | |
massiven Verlust, der kaum aufzufangen ist. Das prominenteste Beispiel in | |
der Region dafür ist das [4][Fusion-Festival]. Der Verein Kulturkosmos, der | |
seit Jahrzehnten auf einem alten Militärflugplatz in Lärz mit 70.000 | |
Besucher:innen eines der größten alternativen Festivals Europas | |
organisiert, schlug bereits Anfang August Alarm: „Aktuell haben wir ein | |
sehr großes finanzielles Defizit und müssen jetzt handeln, damit nicht das | |
ganze Projekt Kulturkosmos in eine existenzielle Krise rutscht“, hieß es in | |
einem Newsletter des Vereins. | |
Die Organisator:innen bezifferten das Finanzloch auf 1,5 bis 2 | |
Millionen Euro. Immerhin konnte der Verein laut einem Bericht des NDR eine | |
Insolvenz abwenden: Neben einer Spendenkampagne und Privatdarlehen soll der | |
Verkauf von Immobilien und Grundstücken im Besitz des Vereins das Überleben | |
des Festivals sichern. | |
Auch kleinere Festivals, die hauptsächlich durch ehrenamtliches Engagement | |
getragen werden, gerieten dieses Jahr in Bedrängnis. So machte die erste | |
Edition des „[5][Fluid“-Festivals], das Ende Juni ebenfalls in | |
Niedergöhrsdorf stattfand, ein Minus von 8.000 Euro. Die | |
Organisator:innen wollten mit dem Festival vor allem marginalisierte | |
Gruppen wie Queers, Flinta und nicht-weiße Personen ansprechen und daher | |
den Eintrittspreis möglichst niedrig halten, um möglichst wenige Menschen | |
auszuschließen. | |
„Wir haben den Ticketpreis sehr emotional gestaltet“, gibt Josepha Groesgen | |
zu, die als Mitglied des Vereins Heterotopia das Festival mitorganisiert | |
hat. Dabei habe man sich verleiten lassen, zu optimistisch zu kalkulieren. | |
Zudem lief der Ticketverkauf nicht so gut wie erhofft. „Wir konnten | |
letztendlich nur zwei Drittel der Karten verkaufen“, erklärt Groesgen. Von | |
einer geringeren Nachfrage berichten auch andere, sogar etabliertere | |
Festivals wie das „3.000 Grad“. | |
Trotz aller Schwierigkeiten wollen die Organisator:innen das | |
Fluid-Festival nächstes Jahr erneut veranstalten. „Es war ein megaschönes | |
Miteinander“, bilanziert Groesgen. Und das ist bei Festivals bekanntlich | |
die Hautpsache. | |
12 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Tanzen-im-Berliner-Umland/!5777190 | |
[2] http://www.wurzelfestival.de | |
[3] http://3000-festival.de | |
[4] http://www.fusion-festival.de/de/2022/start | |
[5] http://fluidfestival.de | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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