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# taz.de -- Künstler:innen in der Ukraine: Kriegskitsch geht gar nicht
> Das Künstlerpaar Oleksiy Ivaniuk und Natalia Korf-Ivaniuk malt auch nach
> dem russischen Überfall abstrakt. Bald wird Oleksiy an die Front gehen.
Bild: Natalia Korf-Ivaniuk
Kyjiw taz | Wie verändert [1][der Krieg] die Kunst? Bloß keinen
„Kriegskitsch“ produzieren, sagen Oleksiy Ivaniuk und Natalia Korf-Ivaniuk
übereinstimmend. Die beiden sind ein Künstlerpaar. Mit ihrem Sohn leben sie
im [2][Kriegsalltag] in Kyjiw. Und sie sind der abstrakten Malerei treu
geblieben, die sie schon lange vor Beginn des russischen Angriffskriegs
gemacht haben. „Viele fahren jetzt zu zerstörten Häusern, um Ruinen zu
malen“, erzählt Natalia Korf-Ivaniuk. „Aber alles trägt jetzt den Geist d…
Kriegszeit. Dafür muss man keine Soldaten oder Raketen malen.“
Es ist ein sonniger Maitag. Die Nacht war unruhig, die Flugabwehr musste
wieder russische Raketen abwehren, die Explosionen waren laut zu hören.
Ein bürgerliches Einfamilienhaus am Stadtrand mit Terrasse und Garten. Die
Wände sind voller Kunst und bunter Keramik. Einige Bilder stammen von dem
Paar selbst − aufgehängt von befreundeten Kunstsammlern, die jetzt in den
USA leben und deren Haus sie seit Februar 2022 hüten. Hier ist es sicherer
als in ihrer Mietwohnung zwischen Hauptbahnhof und Militärstab, wohin die
Russen mit ihren Angriffen oft zielen. Im Haus stehen neben Eingangstür,
Kellertreppe und Wohnzimmer Gewehre.
Natalia Korf-Ivaniuk, 38, und Oleksyi Ivaniuk, 34, sind etabliert im
zeitgenössischen Kunstbetrieb der Ukraine. Ihre großformatige Malerei
verkauft sich für tausende Dollar. Natalia malt oft grobe Akt- und
symbolistische Mustergemälde, Oleksyi eher expressive Landschaften. Gerade
feierte das Paar seinen 14. Hochzeitstag. Ihr Sohn Nasar ist 12.
Statt Leinwand, Pinsel und Farben packt Oleksiy Ivaniuk aber immer öfter
Schutzweste, Waffe und Munition ins Auto. Statt greller, hipper Mode wie
früher trägt er nun Armeegrün und Tarnmuster. Jedes Wochenende geht er zum
Kampftraining. Manchmal nimmt er seinen Sohn oder seine Frau mit. In
unregelmäßigen Abständen fährt er mit Hilfsinitiativen in frontnahe
Gebiete, um Soldaten und Einwohner mit Technik und Lebensmitteln zu
versorgen. Zuletzt brachte er Ende Juni eine Kampfdrohne nach Bachmut.
Die Garage am Haus nutzt Natalia Korf-Ivaniuk als Atelier. Diszipliniert
setzt sie dort Gemäldeserien aus der Zeit vor dem russischen Überfall fort.
Sie spendet ihre Arbeiten für Auktionen, deren Erlös die Armee oder den
Wiederaufbau zerstörter Häuser unterstützen.
Immer wieder donnern russische Luftangriffe über die Stadt. „Meistens gibt
es heftigen Beschuss, wenn Oleksiy unterwegs ist“, sagt Natalia. So war es
im Dezember, im Februar. Und im Mai: Dann wundert sich Oleksiy als Helfer
in einer Charkiwer Unterkunft über die dortige Stille, während Frau, Sohn
und Hund aus dem Kyjiwer Keller anrufen, weil über ihnen Drohnen und
Raketen dröhnen. Im engen Schutzraum im Keller liegt eine große Matratze,
drum herum stehen Trinkwasser- und Lebensmittelvorräte. In einer Ecke
liegen Gemälde, in der anderen Armeeausrüstung.
Manchmal, erzählt Natalia, versuchten Vater und Sohn, im Garten russische
Kampfdrohnen mit Gewehren abzuschießen. So wie es die ukrainische Armee
manchmal tut, um die wertvollen Flugabwehrgeschosse für Raketen
aufzusparen. „Die Angst“, sagt Oleksiy, „hat sich verstreut. Aber die Wut,
die kommt mit jedem Luftalarm.“
Natalia Korf-Ivaniuk und Oleksiy Ivaniuk kommen beide aus kunstaffinen
Familien. Sie haben sich beim Kunststudium in der Stadt Poltawa
kennengelernt. Ein anderer Beruf kam für sie nie in Frage, sagt Natalia:
„Kunst ist das, was Emotionen und Reflexionen ausdrückt. Alles Gute, alles
Schlechte kannst du auf die Leinwand gießen. Das hilft in Situationen wie
jetzt, die Arbeit ist gleichzeitig Therapie für uns.“
Sie präsentiert die wenigen Werke, die sie im Haus haben. Ihre eigenen
Arbeiten in der Garage: ein Gemälde mit einem Muster aus künstlich
angerührter Rostfarbe, das traditionellen Wandteppichen nachempfunden ist.
Ihre Frauenakte sind mit groben Pinselstrichen auf die Leinwand geworfen,
ergänzt um kantige Farbflecken und Graffiti. Die meisten Bilder sind
verliehen oder ausgestellt, auch Oleksiys ältere Landschaften und seine
neueren, weicheren, unscharfen Horizontbilder.
In einer Mappe im Wohnzimmer liegen Tuscheskizzen und Aquarellgrafiken. In
einer zweiten Mappe Zeichnungen des Sohns: detailreiche, fantasievolle
Comicfiguren. Manchmal lade auch er zur Vernissage: „Dann müssen wir uns
schick anziehen, ein bisschen Eintritt bezahlen − der Hund auch“, erzählt
Natalia stolz. „Nasar erläutert uns dann seine neueste Grafikserie.“
## In den ersten Kriegswochen lernte Natalia das Schießen
Die Kunst, sagen sie, sei etwas für starke Menschen. Wie alle freien
Berufe: große Eigenverantwortung, keine Stabilität, finanzielle
Ungewissheit. Am 23. Februar 2022, einen Tag vor Beginn des großen
russischen Angriffs, verkauften sie noch drei Arbeiten. Sie stürzten nicht
mit leerem Geldbeutel in den Krieg.
„Wir sind keine Panikmacher“, sagen beide kühl. Am Tag des russischen
Überfalls verließ die Familie ihre Wohnung im Zentrum am Mittag, um die
Katze im Haus der Freunde am Stadtrand zu versorgen. Die Stadt steckte in
Staus und Chaos. Also entschieden sie, die Stadt nicht zu verlassen. „Ich
weiß nicht, ob wir das richtig oder falsch entschieden haben“, sagt
Oleksiy, „aber wir sind noch alle am Leben.“
Ihre Arbeitsmittel waren im Atelier am berühmten Höhlenkloster, das sofort
abgesperrt worden war. Zu Hause hatte sie nur Aquarellblock, Pinsel und
Tusche, erinnert sich Natalia. Damit arbeitete sie unter Beschuss im Keller
an den „Schwarzen Engeln“, die mittlerweile in mehreren Galerien gezeigt
wurden: „Engel und Renaissance, eine Kakophonie mit Surrealismus. Das sind
Arbeiten über den Krieg, aber nicht der Krieg selbst.“ Das erste Bild der
Serie behielt sie als Andenken.
In den ersten Kriegswochen lernte Natalia auch das Schießen − von Oleksiy,
der Wachdienste an Checkpoints im Umfeld übernahm, als die russischen
Truppen kurz vor Kyjiw standen, die Vororte Butscha und Irpin besetzten.
„Falls die Russen eindringen würden, hatte ich hier das Gewehr bei der
Hand, schon geladen, das Nachladen geübt.“ Natalia imitiert die Handgriffe
in der Luft. „Damit uns niemand fängt, verschleppt, vergewaltigt − das hat
er mir beigebracht.“
Oleksiy interessiert sich seit seiner Kleinstadt-Jugend für Waffen. Für ihn
ist das kein Widerspruch: „Ein Künstler muss alles können, er kann sich
nicht rausnehmen. In der Ukraine gibt es vielleicht 100.000 Künstler −
sollten die alle nicht kämpfen?“, fragt er. „‚Ich bin Künstler, meine S…
ist so empfindlich‘ − so etwas sind nur Ausreden.“
## Es geht nicht um gelb-blauen Patriotismus oder Kriegsbilder
Oleksiy verurteilt, dass viele Kunstschaffende ins Ausland gegangen sind.
„Auch junge Männer sind abgehauen. Das ist doch Korruption! Sie müssen an
der Grenze bezahlt haben. Jetzt sitzen sie dort und schreiben ‚Mein Herz
ist immer mit der Ukraine‘ − warum, verdammt, bist du dann weggefahren?“
Natalia hat dafür mehr Verständnis: „Krieg ist eben schrecklich, und wer
kann, flieht. Eklig finde ich, wenn sie Urlaubsfotos posten. Aber auch hier
gibt es die Schönen, Sorglosen, Leichtfertigen.“ Sie selbst gehen ja in
Kyjiw auch aus: „Manchmal geben wir uns der Illusion hin, alles sei gut.“
Der Krieg bringt den Kunstschaffenden im Land – genauso wie den
Ukrainer:innen im Ausland – neue Aufmerksamkeit. Alle Verkäufe des Paars
in den vergangenen Monaten gingen ins westliche Ausland, erzählt Natalia.
„Viele wollen damit Leute wie uns, die geblieben sind, unterstützen.“
Dabei gehe es nicht um gelb-blauen Patriotismus oder Kriegsbilder. „Wer im
Krieg den Krieg malt, ist kein Künstler, sondern Handwerker, der berühmt
werden will“, sagt Oleksiy. „Klar, jetzt entstehen Arbeiten unter Trauer
oder Hass oder Aggression. Aber das steckt im Subtext − in Stillleben oder
Teppichmustern, selbst in meinen Landschaften gibt es diese verborgenen
Töne des Krieges.“
Nach dem russischen Überfall entstand seine verschwommene Horizont-Serie
„New Times“, die im Winter im Höhlenkloster gezeigt wurde. Wegen der
Stromausfälle kam das Publikum mit Taschenlampen.
## „Ihr müsst schon daran glauben, dass ich wiederkomme“
Im Spätsommer wird Oleksiy als Freiwilliger zu den Spezialkräften der
ukrainischen Armee gehen. Im vergangenen Jahr war er noch abgelehnt worden,
suchte seitdem nach einer ihm zuverlässig erscheinenden Einheit. Seit gut
zwei Monaten trainiert er mit den künftigen Kameraden den Umgang mit Minen
und Sprengkörpern. Und wartet auf den Startschuss. Weil die Gegenoffensive
langsamer vorangeht, hat der sich weiter nach hinten verschoben.
„Ich kann hier nicht Außenstehender bleiben, ob Künstler oder nicht“, sagt
Oleksiy. „Es mag böse klingen, aber ich halte es für meine Pflicht, nach
all dem, was sie hier getan haben, wenigstens eines dieser Monster zu
töten.“
Seine Eltern wissen nichts von seinen Plänen, Natalia hat ihre Vorwürfe
schon im Ohr: Warum lasse sie ihn gehen, während andere sich irgendwelche
Krankheiten bescheinigen ließen, um zu bleiben? „Alle wollen verteidigt
werden. Aber niemand weiß, wer’s machen soll“, ärgert sich Oleksiy.
Natürlich weiß er, dass viele Soldaten an der Front getötet werden, dass
genaue Verlustzahlen nicht bekannt sind. Doch er sagt entschieden: „Ihr
müsst schon daran glauben, dass ich wiederkomme − sonst macht ihr meine
Moral kaputt!“
Hund Butschik schleckt Oleksiy übers Gesicht. Natalia überlegt kurz und
sagt: „Ich werde ihn noch mehr lieben dafür, dass er sich nicht versteckt.“
Und Sohn Nasar sagt: „Ich will auch Soldat werden, mein Zuhause
verteidigen. Auch wenn der Krieg vorbei ist, werden wir unsere Grenzen
schützen müssen.“
16 Jul 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Peggy Lohse
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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