# taz.de -- Ukrainische Kunst in Berlin: „Ein kleines Kulturzentrum“ | |
> Mit der Serpen’ Gallery gibt es in Berlin erstmals einen Ort für | |
> zeitgenössische ukrainische Kunst. Ein Interview mit Galeristin Natalia | |
> Yakymowich. | |
Bild: Die Ausstellung „Durch die Flammen“ zeigt die Werke ukrainischer Kün… | |
taz: Frau Yakymowich, erzählen Sie etwas über sich. Wie sind Sie nach | |
Berlin gekommen? | |
Natalia Yakymowich: Ich habe 23 Jahre lang fürs ukrainische Fernsehen | |
gearbeitet, war Chefredakteurin und habe in den letzten Jahren vor allem | |
Filme produziert. Ende Februar hatte ich dann einen Burnout und ich bekam | |
gesundheitliche Probleme. Freunde, die in Berlin lebten, boten mir Hilfe | |
an. So beschloss ich, mein Leben zu verändern und zog nach Deutschland. In | |
Berlin habe ich dann gleich begonnen, in einer deutsch-amerikanischen Firma | |
zu arbeiten und fing an, für die mehrsprachige Nachrichtenplattform | |
[1][Amal Berlin] zu schreiben. Ich wollte darüber hinaus unbedingt noch | |
etwas Sinnvolles und Interessantes machen, was mit der Ukraine zu tun hat. | |
Ich glaube nicht, dass ich hier eine Karriere als Journalistin oder | |
Producerin machen kann, deshalb habe ich mich entschieden, etwas Eigenes zu | |
tun – und dann ist mir diese Idee mit der Galerie gekommen. | |
In der Ukraine sind Sie als Produzentin unter anderem aus | |
Netflix-Produktionen bekannt, aber heute spreche ich mit Ihnen als Berliner | |
Galeristin. Wie genau kam es zu diesem Wandel? | |
Als ich beschloss, im ukrainischen Kontext zu arbeiten, habe ich darüber | |
nachgedacht, was genau ich tun kann. Erst dachte ich an irgendwelche | |
Freiwilligenprojekte, aber mir wurde schnell klar, dass das ein unbezahlter | |
Vollzeitjob wäre. Deshalb habe ich nach anderen Möglichkeiten gesucht. Dann | |
ergab es sich zufällig, dass die Galerie in der Auguststraße zugemacht hat | |
und sie dort einen Nachmieter gesucht haben. Und da dachte ich, genau diese | |
Räume könnte so etwas wie ein kleines ukrainisches Kulturzentrum werden. | |
Für solch ein Projekt braucht man ja ein ziemlich großes Startkapital. | |
Woher hatten Sie das Geld für die Eröffnung? | |
Die Geschichte mag ziemlich abenteuerlich klingen, aber ich habe einfach | |
mein Auto verkauft. Ich hatte noch ein paar Ersparnisse und arbeite auch | |
weiter für Amal Berlin. Ich habe beschlossen, mein gesamtes Geld und mein | |
Auto in diese Galerie zu investieren. | |
Die Galerie heißt „Serpen'“ Warum und was bedeutet das? | |
Ich habe lange über einen Namen nachgedacht und alle meine Bekannten damit | |
genervt. Irgendwann haben die Leute sogar aufgehört, auf meine Fragen | |
überhaupt noch zu reagieren. Ich habe allen eine ganze Liste mit | |
Vorschlägen geschickt und gebeten, den Besten auszusuchen. Es gab 500 Namen | |
in allen Sprachen der Welt und irgendwie hat keiner gepasst. Als ich dann | |
die Schlüssel für die Galerieräume bekam und dort den Boden gewischt hatte, | |
ging ich mit dem Wischmop raus auf die Straße und sah das Schild | |
„Auguststraße“ und hatte den Namen: „Serpen!“ Das ist das ukrainische … | |
für den Monatsnamen August. Und dann hatte ich überhaupt keine Zweifel | |
mehr, ich hab nicht mal mehr mit irgendjemandem über diese Entscheidung | |
gesprochen. Mittlerweile mache ich schon Witze über den „Wunder-Wischmop“. | |
Erzählen Sie etwas über die Ausstellung, mit der die Galerie eröffnet wird. | |
Unsere erste Ausstellung heißt „Durch die Flammen“. Es ist eine Ausstellung | |
über die Prüfungen, denen wir aktuell alle ausgesetzt sind. Über die | |
Umstände, unter denen wir leben, über das Feuer, das sich in der Ukraine | |
und anderen Ecken der Welt ausbreitet. Über die Wiederherstellung von | |
Gerechtigkeit und die große Hoffnung, dass alles in einem neuen guten Leben | |
endet. | |
Welche Künstler sind bei dieser Ausstellung dabei? | |
Als ich schon hier in Berlin war, habe ich die Künstler Tatjana Malinowska | |
und Artem Volokitin kennengelernt. Sie kommen aus Charkiw und haben fünf | |
wundervolle Kinder. Eine Rakete war direkt neben ihrem Haus eingeschlagen | |
und alles wurde zerstört, deshalb leben sie jetzt in Potsdam. Artem hat ein | |
sehr interessantes Kunstprojekt, „Chaos und Eidos“. Das war der Anlass für | |
diese Ausstellung. Für mich ist das ein Werk voll großer Kraft und | |
Hoffnung, dass selbst nach den schrecklichen Flammen trotzdem etwas Neues | |
geschaffen werden kann. Dann gibt es eine Reihe von Arbeiten von Roman | |
Mykhailov, die er nach den Ereignissen auf dem Maidan, [2][der Revolution | |
der Würde 2013/2014], gemacht hatte. Die Arbeiten heißen „Verbrennungen“ … | |
das sind so große Papierstapel, die angezündet wurden. Es sind Werke | |
darüber, dass nichts jemals ganz weggeht. Wir alle werden verletzt, aber | |
das Leben geht weiter. Es gibt auch Arbeiten der Berliner Künstler Viktoria | |
Pidust und Volo Bevza. Sie stammen aus der Ukraine, aber leben hier schon | |
seit acht Jahren. Wir zeigen Fotos, die sie im Frühjahr in der Ukraine | |
gemacht haben. | |
Hat die Serpen´ Gallery einen karitativen Background? | |
Serpen ist eine kommerzielle Galerie. Ich will und muss die Werke | |
ukrainischer Künstler verkaufen. Aber ich bin offen für wohltätige | |
Projekte. Und wenn es größere Verkäufe gibt, gebe ich einen Teil des Geldes | |
natürlich dahin, wohin auch viele Ukrainer spenden. Aber ich möchte jetzt | |
nicht darüber spekulieren und sagen, dass alles, was wir verkaufen, an | |
karitative Projekte geht. Den Künstlern, die die Ukraine verlassen haben, | |
aber auch denen, die dort geblieben sind, geht es nicht sehr gut. Der | |
ukrainische Kunstmarkt hat jetzt gerade wirklich nicht seine beste Zeit. | |
Haben Sie schon Pläne für die nächste Ausstellung? | |
Die nächste Ausstellung, die hier gezeigt wird, wird wohl selbst die | |
anspruchsvollsten Besucher der Auguststraße und die Galeristen | |
beeindrucken, denke ich. Wir zeigen Arbeiten von Juri Severin und Vitali | |
Protasenja. Für den November sind auch fünf Kunst-Events in der Galerie | |
geplant. Es gibt tolle Bilder und tolle Künstler, die sich wirklich mit | |
westeuropäischer Kunst messen können. | |
Welche Erwartungen haben Sie an die Galerie? Was sind ihre Hauptanliegen? | |
Ich möchte, dass Sammler beginnen, ukrainische Kunst zu kaufen, und | |
[3][dass ukrainische Kunst bekannt wird]. Ganz offen und ehrlich: zur Zeit | |
existiert die zeitgenössische ukrainische Kunst auf der europäischen | |
Landkarte einfach nicht. Gerade war die Berlin Art Week, und da gab es | |
keine einzige ukrainische Veranstaltung. Es gab nur zwei Ausstellungen, bei | |
denen auch ukrainische Künstler ausgestellt haben. Aber Kunst kann nur | |
bekannt werden, wenn sie in Ausstellungen und Museen gezeigt wird, wenn | |
Bücher darüber herauskommen, wenn über die Kunst geforscht wird und | |
wissenschaftliche Arbeiten dazu geschrieben werden – und natürlich, wenn | |
die Arbeiten zeitgenössischer Künstler an guten Orten verkauft werden und | |
es eine Nachfrage nach ihnen gibt. Ich wünsche mir, dass die Serpen' | |
Gallery als ein kleines ukrainisches Kulturzentrum dazu beiträgt. | |
Aus dem Russischen übersetzt von Gaby Coldewey | |
14 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Yuliia Shchetyna | |
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