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# taz.de -- CSD in Görlitz und Zgorzelec: Pride-Party unter Polizeischutz
> In Görlitz und dem polnischen Zgorzelec lief heute der letzte CSD dieser
> Saison in Sachsen. Die queere Szene wurde sichtbar – ebenso wie die
> Neonazis.
Bild: Lebensfreude gegen rechts: Rund 800 Menschen feierten am Samstag in Görl…
Görlitz/Zgorzelec taz | Görlitz hat sich heute von seiner schönsten Seite
gezeigt. Oder zumindest: fast. Rund 800 Menschen waren an diesem Samstag
zum Christopher Street Day (CSD) in die ostsächsische Stadt gekommen. Es
war [1][die letzte CSD-Parade der Saison in Sachsen]. Begleitet von
Samba-Trommeln und Pop-Musik führte die Route bis über die Grenze in die
polnische Nachbarstadt Zgorzelec. Selbst leichte Regenschauer konnten die
Stimmung nicht trüben. Einzig eine kurze Konfrontation mit einer
Neonazi-Demo am Rande des Abschlussfestes sorgte für Aufregung.
Deutsche und polnische Rechtsextremisten hatten überregional zu Protest
gegen den CSD mobilisiert. 450 Neonazis waren dem Aufruf gefolgt, weniger
als befürchtet. [2][Wie zuvor in Leipzig, Döbeln, Bautzen und weiteren
Städten] lief auch in Görlitz der CSD nur unter dem Schutz eines größeren
Polizeiaufgebots.
Angst zu haben, helfe aber nicht, sagt Wojciech M. Urlich. Er ist Anmelder
des CSD und steht am Mittag vor dem Lautsprecherwagen, der mit Girlanden
und bunten Ballons geschmückt ist. Neben ihm lacht ein Mann in
Einhorn-Jumpsuite, es wehen Regenbogen- und Antifa-Fahnen. „Hier im
Landkreis gibt es eine starke queere Community“, sagt Urlich. „Deshalb
feiern wir, sind sichtbar und zeigen uns.“
## Görlitz hat auch linke Kneipen
Die Community hat es in der Region nicht leicht. Zwar ist Görlitz nicht
einfach ein braunes Nest: Es gibt eine alternative Subkultur,
selbstverwaltete Hausprojekte, linke Kneipen, [3][das sozio-kulturelle
Zentrum „Rabryka“ und das Jugendzentrum Basta], das im August das
30-jährige Bestehen feierte. Auch für die LGBTQI*-Community ist Görlitz in
der Region ein Anlaufpunkt, mit Beratungsangeboten und selbstorganisiertem
Kulturangebot. Dennoch ist [4][die AfD in Stadt und Landkreis die mit
Abstand] stärkste Kraft. [5][Neonazismus dominiert vor allem im ländlichen
Raum in Ostsachsen die Jugendkultur.] Viele der Plakate, die den CSD in
Görlitz beworben haben, wurden schon in der ersten Nacht zerstört oder
beschmiert.
„Man merkt es im Alltag, wenn man nicht dem heteronormativen Bild
entspricht“, berichtet Grete Binder aus dem CSD-Orgateam. „Auf der Straße
gibt es skeptische Blicke, man muss viel erklären, schluckt es runter.“
Schlimmer sei es in Bautzen, wo man als queere Person kaum noch in eine
Kneipe gehen könne. Auch der Wahlerfolg der Rechten sorgt bei Binder
tagtäglich für ein mulmiges Gefühl. „Wenn ich zum Bäcker oder zum
Supermarkt gehe, kann ich durchzählen, dass jede dritte Person die AfD
gewählt hat – und also ein Problem mit mir hat und damit, in wen ich mich
verliebe.“
„Wir erleben in den letzten Monaten tagtäglichen Kontakt mit Gewalt“, sagt
CSD-Anmelder Urlich. Das queere Leben sei eingeschränkt: „In großen Städten
ist es selbstverständlich, Hand in Hand mit gleichgeschlechtlicher
Partnerin oder Partner zu gehen. Hier ist das nicht so“, sagt er. Zu
LGBTQI*-Aktivist*innen auf der polnischen Seite bestehe guter Kontakt. Die
Gesellschaft dort sei noch konservativer, die Situation für Queers noch
schwerer. Deshalb sei die grenzüberschreitende Demonstration in Görlitz und
Zgorzelec so wichtig.
Unterstützung gab es dafür aus der Politik: Der Zgorzelecer Bürgermeister
Rafał Gronicz war für eine Rede angekündigt, ebenso wie der Görlitzer
Kulturbürgermeister Benedikt M. Hummel. Auch der sächsische
Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) ist angereist. „Liebt doch, wen ihr
wollt“, sagt er ins Mikro des Lautsprecherwagens und spricht von Gewalt und
Einschüchterungen, die für Queers in Sachsen zugenommen hätten. Deshalb
käme er zum CSD: Weil mit der Anwesenheit von Spitzenpolitikern wie ihm der
Schutz garantiert sei.
Dass dieser Polizeischutz durchaus nötig war, hatte sich bereits am
Vormittag am Görlitzer Bahnhof gezeigt. Gruppen von Neonazis aus Bautzen,
Zittau und weiteren Städten sammelten sich auf dem Vorplatz und waren
vornehmlich in Schwarz gekleidet. Während beim CSD für Vielfalt,
Selbstbestimmung und Lebensfreude getanzt wurde, war eines der Themen der
Neonazis, welche Kleidung sie tragen könnten, ohne Volksverhetzung zu
begehen. Hinbekommen haben sie es nicht: Obwohl es per Auflage verboten
war, zeigten einige der Neonazis ein Fingerzeichen, das für „White Power“
stehen soll.
Die Polizei erklärte am Nachmittag, es seien auch wegen einzelner Parolen
auf der rechten Demo Ermittlungen eingeleitet worden. Nach
taz-Informationen handelt es sich unter anderem um eine verbotene
neonazistische Parole, sowie einen menschenverachtenden Spruch, mit dem
Schwulen der Tod gewünscht wurde.
Vor allem die Gruppe „Elblandrevolte“ hatte zum rechten Protest aufgerufen.
Der mutmaßliche Anführer der Gruppe, Finley Pügner, kommt aus Görlitz.
[6][Die Gruppe „Elblandrevolte“ wurde erst Anfang 2024 gegründet].
BeobachterInnen der Szene berichten von einem gewissen Zulauf und
Ortsgruppen in mehreren ostsächsischen Städten. [7][ExpertInnen des
Kulturbüros Sachsen ordnen die „Elblandrevolte“ als Ortsgruppe der JN ein,
der Jungen Nationalisten], also des Jugendverbands der ehemaligen NPD
(heute: Die Heimat). [8][Ein mutmaßliches Mitglied der Elblandrevolte
verübte im Mai einen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke],
der dabei schwer verletzt wurde. Die Elblandrevolte bestreitet, dass der
Angreifer ein Mitglied gewesen sei.
## Neonazis bedrohen CSD-Abschlussfest
Über mehrere Stunden gelang es der Polizei, die Neonazis vom CSD
fernzuhalten. Bis zur Überquerung der Neiße in Richtung Polen trottete der
rechte Aufmarsch der Pride-Parade in einigem Abstand hinterher. Nur
einzelne Neonazi-Grüppchen kamen näher und begleiteten die Pride-Parade am
Rand. Auf polnischer Seite postierte sich jeweils eine Handvoll Neonazis an
den Brücken über die Neiße – teilweise in Bomberjacke und Springerstiefeln.
So hätte der CSD an diesem Tag reibungslos zu Ende gehen können, wäre es
nicht am Nachmittag noch zu einer konfrontativen Situation gekommen. Als
sich die Teilnehmenden der queeren Parade schon auf dem Eliasbethplatz in
der Görlitzer Altstadt zu ihrem Abschlussfest verstreut hatten,
marschierten plötzlich die 450 schwarz gekleideten Neonazis mit ihrem
Demonstrationszug in ihre Richtung.
Viele CSD-Teilnehmenden nahmen das als bedrohlich wahr. Mehrere Dutzend
taten sich zusammen und sammelten sich auf der vermeintlichen Route, riefen
antifaschistische Parolen und stellten sich den Neonazis gegenüber –
getrennt nur durch einige nun behelmte Polizist*innen.
Sie könne es nicht fassen, sagte eine Frau im Getümmel: „Wir kann die
Polizei die Nazi-Route hier langführen?“ Ein Sprecher der Polizei erklärte
dazu der taz, die Demonstrationsroute der Rechten hätte nicht entlang des
Abschlussfests geführt. Genehmigt wurde der Neonazi-Aufmarsch nur bis zu
jenem Punkt in unmittelbarer Nähe und in Sicht und Hörweite des
CSD-Abschlussfestes, an dem die Neonazis dann laut und aggressiv
aufmarschierten.
CSD-Mitorganisatorin Grete Binder äußerte großes Unverständnis für diese
Entscheidung. Insgesamt war sie aber mit dem Tag zufrieden. Es seien fast
doppelt so viele Menschen gekommen, wie im vergangenen Jahr.
28 Sep 2024
## LINKS
[1] /CSDs-in-Sachsen/!6026782
[2] /Rechter-Hass-beim-CSD-in-Bautzen/!6026627
[3] /AfD-in-der-Stichwahl-zum-OB-in-Goerlitz/!5598998
[4] /Rechtsextreme-Netzwerke-in-Sachsen/!6021990
[5] /Rechte-Jugend-in-Ostdeutschland/!6015187
[6] /Neonazis-feiern-Sonnenwende/!6014916
[7] https://kulturbuero-sachsen.de/einschaetzung-zu-der-gruppe-elblandrevolte/
[8] /Rechtsextreme-Attacke-auf-SPD-Politiker/!6009432
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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