| # taz.de -- Bundesverfassungsurteil zur Wahlreform: Opposition scheitert mit An… | |
| > Die Große Koalition beschloss ein Wahlrecht, das den Bundestag leicht | |
| > verkleinern soll. Die Opposition wollte das verhindern. Karlsruhe lehnte | |
| > ab. | |
| Bild: Bei der kommenden Wahl 2021 könnte der Bundestag auf bis zu 1000 Abgeord… | |
| Karlsruhe taz | Bei der kommenden Bundestagswahl wird mit dem Wahlrecht | |
| gewählt, das die Große Koalition im letzten Herbst beschlossen hat. Ein | |
| [1][Eilantrag von FDP, Linken und Grünen, der das verhindern wollte], | |
| scheiterte nun beim Bundesverfassungsgericht. | |
| In Deutschland gilt das Verhältniswahlrecht. Die Parteien bekommen also | |
| anteilig so viele Stimmen im Bundestag, wie es ihrem Anteil an den | |
| Wahlstimmen entspricht. Da aber die Hälfte der Sitze an die | |
| Kandidat:innen geht, die im Wahlkreis am meisten Stimmen erhielten, | |
| kann es sein, dass eine Partei mehr Direktmandate bekommt, als ihr nach den | |
| Parteistimmen (Zweitstimmen) zusteht. | |
| Die Zahl dieser Überhangmandate steigt sogar mit der zunehmenden | |
| Parteizersplitterung. Denn bei drei oder vier aussichtsreichen | |
| Kandidat:innen im Wahlkreis ist oft schon mit 25 Prozent | |
| Erststimmen-Anteil ein Direktmandat zu holen. | |
| Diese Überhangmandate wurden seit 2012 vollständig ausgeglichen, um das | |
| Wahlergebnis nicht zu verzerren. Bei der Wahl 2017 gab es deshalb neben 46 | |
| Überhangmandaten (die fast alle an die CDU/CSU gingen) auch 65 | |
| Ausgleichsmandate für die anderen Parteien. Der Bundestag wuchs so von den | |
| eigentlich vorgesehenen 598 Sitzen auf 709 Sitze an. | |
| ## Reform gilt als halbherzig | |
| Damit der Bundestag wieder kleiner wird, sollte das Wahlrecht reformiert | |
| werden. Doch die Fraktionen taten sich schwer mit der Reform. Es wurde jede | |
| Änderung blockiert, bei der eine Partei Nachteile für sich befürchtete. | |
| Die Änderung, die im Oktober 2020 schließlich mit den Stimmen der Großen | |
| Koalition beschlossen wurde, gilt weitgehend als halbherzig. Bei Anwendung | |
| des neuen Wahlrechts auf das Wahlergebnis von 2017 hätte der Bundestag nur | |
| 22 Sitze weniger gehabt, also 687 Sitze statt 709 Sitzen. Bei der kommenden | |
| Wahl 2021 könnte der Bundestag im Extremfall trotz der leichten | |
| Verkleinerung sogar auf bis zu tausend Abgeordnete anwachsen, warnte jüngst | |
| der Wahlrechtsexperte Robert Vehrkamp. | |
| Konkret hatte die Große Koalition beschlossen, dass die Zahl der Wahlkreise | |
| zunächst bei 299 bleiben soll und erst für die nächste Wahl auf 280 | |
| reduziert wird. Schon bei der kommenden Wahl sollen Überhangmandate | |
| teilweise mit Listenplätzen aus anderen Bundesländern verrechnet werden. | |
| Außerdem sollen drei Überhangmandate ohne Ausgleich bleiben. | |
| Dagegen erhoben 216 Abgeordnete von FDP, Linken und Grünen gemeinsam eine | |
| abstrakte Normenkontrolle. Sie monierten vor allem, das Wahlrecht sei zu | |
| unbestimmt. So sei nicht klar, ob die drei Überhangmandate je Landesliste | |
| nicht ausgeglichen werden oder bundesweit pro Partei oder im gesamten | |
| Wahlgebiet für alle Parteien insgesamt. | |
| Die Fraktionen stellten zudem einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung. | |
| Das neue Wahlrecht sollte bei der Wahl am 26. September nicht angewandt | |
| werden. Stattdessen sollte noch einmal mit dem alten Wahlrecht gewählt | |
| werden, das eigentlich schon außer Kraft getreten ist. Der Bundestag wäre | |
| dann noch ein klein bisschen größer geworden. | |
| ## Gericht will sich noch mit Wahlrecht beschäftigen | |
| Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts lehnte den Eilantrag nun | |
| aber ab. Bei der kommenden Bundestagswahl wird also mit dem neuen Wahlrecht | |
| gewählt. Dabei stellten die Richter fest, dass das neue Wahlrecht nicht so | |
| unbestimmt ist wie von den Abgeordneten behauptet. Es liege nahe, dass sich | |
| die drei unausgeglichenen Überhangmandate auf die gesamte Wahl beziehen und | |
| nicht auf einzelne Landeslisten oder Parteien. | |
| Dadurch werde vermutlich auch die Chancengleichheit der Parteien nicht | |
| unzulässig eingeschränkt, so die Richter:innen. Denn das Verfassungsgericht | |
| hatte in früheren Entscheidungen bereits bis zu 15 unausgeglichene | |
| Überhangmandate als vertretbar erklärt. | |
| Als neues Problem warfen die Richter:innen die Frage auf, ob das | |
| Wahlrecht inzwischen so kompliziert ist, dass es schon deshalb | |
| verfassungswidrig sein könnte. Doch all das soll endgültig erst nach der | |
| Wahl im Hauptsacheverfahren entschieden werden. Die Oppositionsklage sei | |
| weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet. | |
| In einer Folgenabwägung kamen die Richter nun zum Schluss, dass die Gründe | |
| für eine vorläufige Rückkehr zum alten Wahlrecht nicht überwiegen. Die | |
| Legitimationsprobleme seien genau so groß, wenn jetzt mit einem Wahlrecht | |
| gewählt wird, das später als verfassungswidrig beanstandet wird, wie wenn | |
| jetzt ein demokratisch beschlossenes Wahlrecht nicht angewandt wird, das | |
| sich später als verfassungskonform erweist. | |
| Dass sich das Verfassungsgericht noch gründlich mit dem Wahlrecht befassen | |
| will, ist allerdings kein gutes Zeichen. Meist sind die Anforderungen an | |
| das Wahlrecht nach Karlsruher Urteilen noch komplexer als zuvor. Az.: 2 BvF | |
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| 13 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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