# taz.de -- Bundestagswahl nach neuem Wahlrecht: Opposition klagt gegen Wahlrec… | |
> Grüne, FDP und Linke halten die Reform, die die Große Koalition | |
> durchgesetzt hat, für verfassungswidrig. Jetzt ziehen sie gemeinsam nach | |
> Karlsruhe. | |
Bild: Grüne, FDP und Linke wollen die Wahl des Bundestag im September nach dem… | |
BERLIN taz | Grüne, FDP und Linke wollen gemeinsam verhindern, dass der | |
Bundestag im September nach dem neuen Wahlrecht gewählt wird. Am Montag | |
reichten die drei Oppositionsfraktionen beim Bundesverfassungsgericht Klage | |
gegen die Reform sowie einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung ein. | |
Die Parlamentarischen GeschäftsführerInnen von Grünen und FDP, Britta | |
Haßelmann und Marco Buschmann sowie der Linken-Rechtsexperte Friedrich | |
Straetmanns warfen Union und SPD vor, die [1][Wahlrechtsreform begünstige | |
CSU und CDU] gegenüber den anderen Parteien. Buschmann kritisierte das | |
Gesetz als „politische Selbstbedienung“, Haßelmann beklagte, die Union habe | |
sich „einen allein politisch motivierten Vorteil gesichert“. | |
Straetmanns sprach von einer politischen Mogelpackung: Der Öffentlichkeit | |
werde vorgegaukelt, dass im Ergebnis der Bundestag verkleinert werde. Das | |
Gesetz sei „grottenschlecht“ und zudem verfassungswidrig, so Haßelmann. | |
Die Große Koalition hatte im Oktober gegen den Widerstand der Opposition | |
die [2][Wahlrechtsreform durchgesetzt]. Deren Ziel sollte es eigentlich | |
sein, den auf inzwischen 709 Abgeordnete angewachsenen Bundestag wieder zu | |
verkleinern. Dass dies mit der neuen Gesetzeslage gelingt, wird von vielen | |
Fachleuten aber bezweifelt. Nach der Reform bleibt es bei der | |
Bundestagswahl im September bei 299 Wahlkreisen, obwohl die Reduzierung der | |
Wahlkreise als der wirksamste Hebel gilt, um die Anzahl der Abgeordneten zu | |
verringern. | |
Drei Überhangmandate ohne Ausgleich | |
Überhangmandate einer Partei werden nach der neuen Regelung teilweise mit | |
ihren Listenmandaten verrechnet. Beim Überschreiten der Regelgröße des | |
Bundestags, die 598 Abgeordnete beträgt, sollen aber bis zu drei | |
Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien | |
kompensiert werden. | |
An diesen drei nicht ausgeglichenen Überhangmandaten setzt die Klage unter | |
anderem an. Denn von dieser Regelung profitiere, so der Linkenpolitiker | |
Straetmanns, „vor allem die Union“. CDU und CSU erzielen die meisten | |
Direktmandate: Die 46 CSU-Abgeordneten im Bundestag sind alle über ein | |
Direktmandat eingezogen, die CDU holte 185 ihrer 200 Mandate direkt. | |
„Die Stimmen für die Union sind also mehr wert“, so Straetmanns weiter. Das | |
aber verstoße gegen die Wahlrechts- und Chancengleichheit der Parteien. | |
Zudem, so Buschmann von der FDP, enthalte das Gesetz „hochgradig unklare | |
Regeln“. Das verletzte den Grundsatz der Normenklarheit. | |
Vertreten werden die drei Fraktionen von der Düsseldorfer Rechtsprofessorin | |
Sophie Schönberger. Das Gesetz sei „in sich widersprüchlich und | |
inkonsistent“, sagte die Juristin bei der Vorstellung der Klage. Der | |
Bundeswahlleiter, der letztlich über die Verteilung der Mandate bestimmt, | |
habe daher „sehr, sehr großen Spielraum“ bei seiner Entscheidung. Man habe, | |
so Schönberger weiter, zwei mögliche Interpretationen des Gesetzes | |
durchgerechnet. Nach der einen habe die Union am Ende über 32 Prozent der | |
Bundestagsmandate verfügt, bei der anderen über 28 Prozent – bei ein und | |
demselben Wahlausgang. | |
Unklare Regeln gefährden „Befriedungsfunktion“ | |
Buschmann betonte mit Blick auf die USA, wie wichtig es sei, dass für | |
Wahlen klare Spielregeln gelten. Dies helfe dabei, dass der notwendige | |
Streit im Wahlkampf nach der Wahl beendet sei. „Hochgradig unklare Regeln“, | |
wie sie das neue Wahlrecht vorsehe, gefährdeten dagegen die | |
„Befriedungsfunktion des Wahlrechts“ und schadeten damit der liberalen | |
Demokratie. „In Zeiten, wo Benzin in der Luft liegt, spielt man nicht mit | |
Streichhölzern“, so Buschmanns scharfe Kritik an der Großen Koalition. | |
Hat die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg, würde für diese | |
Bundestagswahl das alte Wahlrecht weiter gelten. Befürchtet wird | |
allerdings, dass der Bundestag damit weiter wachsen könnte – von derzeit | |
bereits 709 Abgeordneten auf möglicherweise mehr als 800. | |
Nach Vorstellungen der Großen Koalition soll es eine größere Reform – dann | |
mit Reduzierung der Wahlkreise – erst für die Wahl 2025 geben. Dazu soll in | |
der kommenden Legislaturperiode erneut eine Reformkommission eingesetzt | |
werden. WissenschaftlerInnen, Abgeordnete und weitere Mitglieder der | |
Kommission sollen spätestens bis 30. Juni 2023 einen Vorschlag vorlegen. | |
Grüne, FDP und Linke hatten einen eigenen Gesetzentwurf zur | |
Wahlrechtsreform vorgelegt. Haßelmann, Buschmann und Straetmanns hatten | |
zuvor jahrelang in einer Kommission unter dem Vorsitz von | |
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) an einem Kompromissvorschlag | |
gearbeitet. Doch CDU und insbesondere CSU weigerten sich standhaft, einer | |
Reduzierung der Wahlkreise zuzustimmen. | |
Bislang waren Änderungen am Wahlrecht mit möglichst breiter Mehrheit | |
verabschiedet worden, die Große Koalition hat mit dieser Tradition | |
gebrochen. Mit der Entscheidung waren aber auch in der CDU nicht alle | |
einverstanden. Bundestagspräsident Schäuble und sechs weitere | |
CDU-Abgeordnete enthielten sich bei der Abstimmung. | |
1 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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