# taz.de -- Brandbrief für Diskriminierungsschutz: „Sonntagsreden reichen ni… | |
> 120 Organisationen fordern eine unverzügliche Reform des | |
> Antidiskriminierungsrechts. Nur so schütze man Minderheiten wirksam vor | |
> dem Rechtsruck. | |
Bild: Hunderttausende gingen am 3. Februar in Berlin auf die Straße. Nun sei d… | |
BERLIN taz | Die Ampelkoalition war mit dem Versprechen angetreten, | |
Menschen besser vor Diskriminierung zu schützen. Nun nutzen mehr als 120 | |
Organisationen das Momentum der bundesweiten Demonstrationen gegen rechts, | |
um Taten einzufordern: „Sonntagsreden reichen nicht“, heißt es in [1][dem | |
Brandbrief] an Bundeskanzler, Bundesregierung und die Ampelfraktionen, der | |
der taz vorliegt. „Demokratie schützen heißt Menschen vor Diskriminierung | |
schützen“. | |
Ihre Forderung: Das Versprechen des Koalitionsvertrags, das deutsche | |
Antidiskriminierungsrecht zu reformieren, müsse endlich umgesetzt werden. | |
Der Rechtsruck im politischen und gesellschaftlichen Diskurs habe Folgen, | |
heißt es in dem Brief. „Die Diffamierung legitimiert die Diskriminierung. | |
Also wird auch diskriminiert.“ | |
Diskriminierung sei für sehr viele Menschen in Deutschland Alltag – seien | |
es migrantisierte, Schwarze oder afro-diasporische Menschen, Jüd*innen | |
oder Muslim*innen, Menschen mit Behinderung oder Queers. Betroffene fühlten | |
sich nicht geschützt. Denn die, die Diskriminierung ausübten, „fühlen sich | |
im Recht, weil das Recht ihnen bisher keine klaren Grenzen aufzeigt“, so | |
der Brief. | |
Die Verfasser*innen des Briefs begrüßen, dass [2][seit Wochen | |
Hunderttausende Menschen überall in Deutschland für Menschenrechte, | |
Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen]. Die „aktuelle | |
Empörung“ auch von Politiker*innen aber laufe „ins Leere, wenn sie die | |
Rechte und Perspektiven der Betroffenen sowie die institutionelle | |
Diskriminierung“ nicht ausreichend im Blick habe. | |
## Schutz vor Diskriminierung | |
„Klare Kante gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu zeigen heißt auch, | |
dass die Politik umfassende Maßnahmen ergreifen muss, um die Rechte von | |
allen Betroffenen zu stärken“, sagt der taz Eva Andrades, Geschäftsführerin | |
des Antidiskriminierungsverbands. „Dazu gehört dringlich die im | |
Koalitionsvertrag angekündigte Reform des Antidiskriminierungsrechts.“ | |
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – kurz AGG – wurde 2006 eingeführt. | |
Es soll Menschen vor Diskriminierung wegen ihres Alters, einer Behinderung, | |
der ethnischen Herkunft, aus rassistischen Gründen, wegen des Geschlechts, | |
der Religion oder Weltanschauung oder der sexuellen Identität schützen. | |
Seit Jahren aber attestieren Expert*innen [3][gravierende Schutzlücken]: | |
So gilt das AGG zum Beispiel nur in der Privatwirtschaft; wenn etwa eine | |
Vermieterin einer muslimischen Familie aus rassistischen Gründen die | |
Wohnung nicht gibt, einer trans Person im Arbeitszeugnis die richtige | |
Anrede verweigert wird oder ein Bewerber einen Job aufgrund seines Alters | |
nicht bekommt. | |
Diskriminierung durch öffentliche Stellen ist aber nicht erfasst. Auch ist | |
die Frist, in der man sich gegen Diskriminierung zur Wehr setzen kann, sehr | |
kurz. Für viele Betroffene ist das nicht machbar – zumal es kein | |
Verbandsklagerecht gibt. Betroffene müssen also alleine für ihre Rechte | |
einstehen und alle Risiken selbst tragen – auch die finanziellen. | |
## Das Ministerium überlegt | |
Schon im Januar 2023 hatte das Bündnis AGG Reform Jetzt, das nun auch den | |
Offenen Brief verfasst hat, [4][konkrete Forderungen formuliert]. Und auch | |
die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Antidiskriminierung, | |
Ferda Ataman, [5][dringt seit Monaten auf eine solche Reform] und hat dem | |
Bundesjustizministerium [6][entsprechende Vorschläge unterbreitet]. | |
Das Ministerium aber scheint es nicht eilig zu haben. Auf taz-Anfrage | |
antwortet dessen Sprecher, die Regierungsfraktionen hätten sich im | |
Koalitionsvertrag geeinigt, das Gesetz zu evaluieren und anzupassen. „Die | |
Überlegungen betreffend die Umsetzung dieses Vorhabens dauern derzeit noch | |
an.“ | |
Die Vorschläge der Unabhängigen Bundesbeauftragten habe das Ministerium | |
„zur Kenntnis genommen“. Mit Blick auf noch anstehende Gespräche und | |
Vorarbeiten aber sei eine „öffentliche Bewertung der Vorschläge oder | |
anderer Stellungnahmen derzeit nicht vorgesehen“. | |
Den Unterzeichnenden des Briefs ist wichtig aufzuzeigen, dass eine | |
erstarkende extreme Rechte für sehr viele Menschen eine akute Bedrohung | |
ist. Noch immer würden viele Gruppen in der Gesellschaft durch ein | |
lückenhaftes AGG in ihren demokratischen Rechten beschnitten, sagt auch | |
Violeta Balog von der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (Mia). | |
## „Grundstein der Demokratie“ | |
„Die aktuellen Proteste zeigen deutlich, wie groß der Wille zur | |
Verteidigung unserer Demokratie in der Gesellschaft ist.“ Genau deshalb | |
brauche es jetzt die AGG-Reform. „Symbolpolitik reicht für eine | |
Verteidigung dieser Werte nicht aus“, so Balog. | |
„Eine starke Demokratie braucht einen guten Diskriminierungsschutz“, betont | |
Ottmar Miles-Paul, Sprecher der Liga Selbstvertretung behinderter Menschen. | |
„Das anhaltende Zögern der Regierungskoalition ist daher für mich | |
verstörend.“ | |
Die Zunahme von rechtsextremem Terror und Hasskriminalität gegen LSBTIQ* | |
sollte „alle Demokrat*innen beunruhigen“, sagt Henny Engels vom Lesben- | |
und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) der taz. Denn: | |
„Minderheitenrechte sind ein Grundstein der Demokratie.“ Die Politik dürfe | |
angesichts des Rechtsrucks „nicht in einer Schockstarre verharren, sondern | |
muss aktiv für den Schutz von Menschenrechten eintreten“, bekräftigt Engels | |
die Forderung nach einer AGG-Reform. | |
15 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.antidiskriminierung.org/neuigkeiten-1/2024/2/15/pm-offener-agg-… | |
[2] /Demonstration-gegen-rechts-in-Muenchen/!5991535 | |
[3] /Aktivistin-ueber-Schutz-vor-Rassismus/!5991082 | |
[4] /Antidiskriminierungsgesetz/!5907887 | |
[5] /Antidiskriminierungsrecht-in-Deutschland/!5950310 | |
[6] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/… | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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