# taz.de -- Bitterer Wahlabend für die Linkspartei: Wenn nur noch Pathos übri… | |
> In Hessen aus dem Landtag geflogen, in Bayern unter der | |
> Wahrnehmungsschwelle: Für die Linkspartei enden die Landtagswahlen mit | |
> einem Desaster. | |
Bild: All zu optimistisches Graffito in Kassel: Weder in Hessen noch in Bayern … | |
BERLIN taz | Wenn kaum noch etwas bleibt, bleibt wenigstens noch das | |
Pathos. „Die Geschichte der Solidarität, die Idee der Gerechtigkeit, der | |
Kampf für Gleichheit, die sind nicht am Ende“, bemühte sich der | |
Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan am Wahlabend, Zuversicht zu | |
demonstrieren. Allerdings war ihm bei seinem Auftritt im | |
Karl-Liebknecht-Haus in Berlin anzusehen, wie schwer ihm das fiel. | |
Kein Wunder, denn auch wenn die Landtagswahlergebnisse in Hessen und Bayern | |
keine Überraschung sind, sind sie doch eine Katastrophe für die Linke. | |
Besonders das Abschneiden in Hessen, wo die Partei nach den ersten | |
Hochrechnungen mit knapp über drei Prozent krachend den Wiedereinzug in den | |
Landtag verpasst hat, schmerzt schwer. Die Linke sei „offensichtlich nicht | |
ausreichend durchgedrungen“ und könne „derzeit ihrer gesellschaftlichen | |
Verantwortung nicht gerecht werden“, räumte Schirdewan ein. „Wir werden | |
intensive strategische Debatten führen müssen.“ | |
Auch wenn sich die Spitzenkandidat:innen Elisabeth Kula und Jan | |
Schalauske [1][bis zum Wahltag in Zweckoptimismus geübt] hatten, ist es | |
ihnen nicht gelungen, den hessischen Landesverband vom Abwärtstrend der | |
Bundespartei abzukoppeln. Selbst das am Freitag abgelegte öffentliche | |
Bekenntnis der früheren SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, diesmal | |
die Linke zu wählen, da es „eine eindeutig linke Partei im Landtag für den | |
ökologischen Umbau, die soziale Frage und Antifaschismus“ brauche, hat | |
daran nichts mehr ändern können. Nach mehr als 15 Jahren ist die Zeit der | |
Linken im Wiesbadener Stadtschloss beendet. | |
Besonders bitter ist die Niederlage für die Parteivorsitzende Janine | |
Wissler, die ausgerechnet im Wahlkampfschlussspurt eine Coronainfektion | |
außer Gefecht gesetzt hat. Bis zu ihrem Wechsel in die Bundespolitik vor | |
zwei Jahren war sie Gesicht und Stimme der hessischen Linken. Mit ihr | |
schaffte die Partei viermal hintereinander den Sprung in den Landtag. | |
Nun steht die 42-jährige Frankfurterin vor einem Scherbenhaufen. „Wir | |
müssen uns fragen, was wir falsch gemacht haben“, kommentierte Wissler in | |
der ARD das Wahlergebnis. Klar sei, dass die Linke sich jetzt neu | |
aufstellen müsse. Sie wolle dafür kämpfen, „dass die Linke wieder stark | |
wird“. Es brauche eine Kraft für soziale Gerechtigkeit. | |
## Letztes Flächenland im Westen verloren | |
Das hessische Desaster ist mehr als ein Menetekel. Es schließt sich ein | |
Kreis. Denn Hessen und Niedersachsen waren im Januar 2008 die ersten | |
Flächenländer im Westen, in denen die Linkspartei die Fünf-Prozent-Hürde | |
knacken konnte. Es folgten 2009 das Saarland und Schleswig-Holstein sowie | |
2010 Nordrhein-Westfalen. Das schien der Durchbruch im Westen zu sein. | |
Das aber war ein Irrtum. In Niedersachsen, NRW und Schleswig-Holstein flog | |
die Partei jeweils direkt beim nächsten Wahlgang wieder raus, das Saarland | |
ging im März 2022 nach dem Austritt Oskar Lafontaines verloren. Nun ist | |
auch Hessen futsch. Damit gibt es auf dem Gebiet der alten BRD jenseits der | |
Stadtstaaten die Linkspartei parlamentarisch nicht mehr. Sie ist de facto | |
wieder das, was einst die PDS war: eine Ostpartei. | |
Anders als in Hessen war in Bayern für die Linkspartei noch nie etwas bei | |
einer Landtagswahl zu holen. Vor fünf Jahren lag sie mit 3,2 Prozent | |
allerdings immerhin noch über der Wahrnehmungsschwelle, diesmal tummelt sie | |
sich mit weniger als 2 Prozent nur noch im weiten Feld der | |
Splitterparteien. Daran konnte auch der engagierte Wahlkampf von | |
Spitzenkandidatin Adelheid Rupp nichts ändern. Die 65-jährige | |
Rechtsanwältin, die von 2003 bis 2013 für die SPD im bayerischen Landtag | |
saß, war erst 2020 in die Linkspartei eingetreten. | |
Dass es selbst in dem konservativ geprägten Freistaat zumindest in der | |
Vergangenheit ein Potential für ein besseres Abschneiden gegeben hat, | |
zeigen demgegenüber die Ergebnisse der Bundestagswahlen von 2009 und 2017, | |
bei denen die Linkspartei jeweils mehr als sechs Prozent in Bayern holen | |
konnte. Doch das war damals dem Bundestrend geschuldet. | |
## Abgang aus der Linksfraktion | |
Der lange von dem WASG- und Linke-Mitgründer Klaus Ernst sowie | |
innerparteilichen Streitereien dominierte Landesverband hat hingegen nie | |
ein Bein auf den Boden bekommen. Ernst ist mittlerweile auf dem Absprung: | |
Es gilt als sicher, dass der 68-jährige Bundestagsabgeordnete an vorderster | |
Front mit dabei sein wird, wenn Sahra [2][Wagenknecht den offiziellen | |
Startschuss zur Abspaltung] gibt. | |
In Anspielung auf Wagenknecht und ihre Anhängerschaft sagte Schirdewan, zur | |
Wahrheit gehöre, „dass es in der Partei eine Gruppe von Leuten gibt, deren | |
Ziel offensichtlich darin besteht, ständig Integrität und Glaubwürdigkeit | |
der Linken zu beschädigen“. Das zerstöre die Partei von Innen. In dieses | |
Bild passten auch die jüngsten [3][Meldungen über eine Vereinsgründung] aus | |
dem engeren Umfeld Wagenknechts, zu deren Ziel laut Satzung die Gründung | |
einer anderen Partei gehöre. | |
Wobei Wagenknecht und Co. nicht die Ersten sein werden, die die | |
Linksfraktion verlassen. Der saarländische Bundestagsabgeordnete Thomas | |
Lutze ist ihnen zuvorgekommen. Laut Saarbrücker Zeitung will der | |
schillernde Lutze, dessen nicht uneigennützige Scharmützel mit Lafontaine | |
entscheidend für den Niedergang der Linken im Saarland waren, in die | |
SPD-Bundestagsfraktion wechseln. Entsprechende Gespräche mit | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hätten bereits stattgefunden. | |
Die Sozialdemokrat:innen im Saarland zeigten sich allerdings nicht | |
begeistert über den möglichen Neuzugang. Es sei „die einhellige Haltung des | |
Präsidiums der Saar-SPD“, Lutze nicht in die Partei aufzunehmen, teilte ein | |
Sprecher am Sonntag mit. „Wir importieren uns nicht die innerparteilichen | |
Konflikte der Saar-Linkspartei.“ | |
Wie auch immer: Der [4][Erosionsprozess in der Linken] schreitet voran. | |
Gleichwohl weint Schirdewan Lutze keine Träne nach. Dessen Austritt sei | |
„eher als Chance“ zu sehen, sagte der Linken-Vorsitzende. Schirdewan will | |
lieber nach vorne schauen. Die Linkspartei befinde sich in einem | |
Erneuerungsprozess. „Unser Comeback beginnt heute.“ Eine mutige Aussage. | |
8 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Linkspartei-im-hessischen-Wahlkampf/!5964205 | |
[2] /Sahra-Wagenkecht-und-die-Linkspartei/!5954498 | |
[3] https://www.fr.de/politik/bericht-enthuellt-neuen-namen-wagenknecht-partei-… | |
[4] /Absetzbewegungen-von-der-Linkspartei/!5964340 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Hessen-Wahl | |
Hessen | |
Janine Wissler | |
Martin Schirdewan | |
Die Linke | |
Linkspartei | |
Sahra Wagenknecht | |
GNS | |
Linkspartei | |
Sahra Wagenknecht | |
Sahra Wagenknecht | |
Landtagswahl in Hessen | |
Die Linke | |
Landtagswahl in Hessen | |
Die Linke | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„Hartz IV-Rebellin“ zurück in der Linken: „Klassenfrage muss im Fokus st… | |
Inge Hannemann wurde als Hartz IV-Kritikerin bekannt und verließ die Linke, | |
weil die Partei die soziale Frage vernachlässigte. Jetzt ist sie zurück. | |
Spaltung der Linkspartei vollzogen: Wagenknecht und Co. treten aus | |
Sahra Wagenknecht erklärt mit neun weiteren Abgeordneten ihren | |
Parteiaustritt. Der Linksfraktion im Bundestag wollen sie vorerst weiter | |
angehören. | |
Sahra Wagenknechts eigene Partei: Gespalten an Rhein und Ruhr | |
Nordrhein-Westfalen gilt als Wagenknecht-Hochburg. Doch nur wenige glauben | |
an eine Austrittswelle bei der Linken, sollte sie ihre Partei gründen. | |
Landtagswahlen in Bayern und Hessen: Ampel-Desaster und Rechtsruck | |
Die Wahlen in Hessen und Bayern sind ein Fiasko für die Ampel. Dabei ist | |
jetzt ein gemeinsames Signal gegen die extreme Rechte gefragt. | |
Absetzbewegungen von der Linkspartei: Linken-Katharsis in Bochum | |
Nach dem Austritt von Wagenknechtanhängerinnen gibt es in der | |
Ruhrgebietsstadt keine Linksfraktion mehr. Das hat wohl auch profane | |
finanzielle Gründe. | |
Die Linkspartei im hessischen Wahlkampf: Wenn die Nacht am tiefsten ist | |
Bei der Landtagswahl in Hessen sieht es für die Linke nicht so gut aus. Mit | |
Janine Wissler und Gregor Gysi kam prominente Unterstützung. | |
Sahra Wagenkecht und die Linkspartei: Kurz vor dem Absprung | |
Sahra Wagenknecht hat die Linkspartei abgeschrieben und plant die Gründung | |
einer neuen Partei. Fragen und Antworten zu einem Trennungsprozess. |