| # taz.de -- Die Linkspartei im hessischen Wahlkampf: Wenn die Nacht am tiefsten… | |
| > Bei der Landtagswahl in Hessen sieht es für die Linke nicht so gut aus. | |
| > Mit Janine Wissler und Gregor Gysi kam prominente Unterstützung. | |
| Bild: Kämpfen für den Wiedereinzug in den Landtag: Linken-SpitzenkandidatInne… | |
| Wiesbaden/Frankfurt am Main taz | Auf dem Wallufer Platz im Wiesbadener | |
| Rheingauviertel haben die GenossInnen Tische und Bänke aufgestellt. Im | |
| Foodtrack brutzeln Burger und Pommes. Daneben gibt es gegen eine Spende | |
| Kaffee und kalte Getränke. Am Infostand dürfen Gäste am Glücksrad drehen, | |
| für die Kinder steht eine Hüpfburg bereit, in der Popcornmaschine verpufft | |
| Mais. | |
| Schon um zehn Uhr haben sich am Samstag gut hundert Menschen zum Sommerfest | |
| der Linkspartei in der Landeshauptstadt eingefunden. Die Idylle täuscht. Es | |
| geht ums politische Überleben für die Linken in Hessen und darüber hinaus. | |
| Die setzen auf ein vergleichbar junges Tandem. Elisabeth Kula, 33, und Jan | |
| Schalauske, 42, haben vor zwei Jahren den Fraktionsvorsitz im Landtag | |
| übernommen. Anders als [1][ihre Vorgängerin Janine Wissler] müssen sie als | |
| SpitzenkandidatInnen darum kämpfen, überhaupt wahrgenommen zu werden. So | |
| ist zu ihrer Unterstützung nicht nur die heutige Bundesparteivorsitzende, | |
| sondern mit dem unverwüstlichen Gregor Gysi auch noch weitere | |
| Bundesprominenz angereist: | |
| CDU, SPD und Grüne ist es gelungen, einen „Dreikampf um die Staatskanzlei“ | |
| zu inszenieren. Das macht den „kleinen“ Parteien zu schaffen. Und dann | |
| kommt noch [2][die allgemeine Krise der Linkspartei] hinzu. Im roten Blazer | |
| steht „Lisa“ Kula auf der Bühne, im Ausfallschritt, als wolle sie zu einem | |
| Wettlauf durchstarten. „Es wird Zeit, den Schlafwagenwahlkampf in Schwung | |
| zu bringen“, ruft sie in die Runde. | |
| ## Kula: „Hessen braucht einen Wechsel“ | |
| „Mehr als katastrophal“ nennt Kula die Bilanz der schwarz-grünen | |
| Landesregierung von [3][Ministerpräsident Boris Rhein (CDU)], die „zur | |
| Spaltung beigetragen“ habe. „Die Armut ist in Hessen stärker gewachsen als | |
| in allen anderen Flächenländern“, argumentiert sie. Das „Schulsystem aus | |
| der Kaiserzeit“ sei überfordert und sorge mitnichten für | |
| Chancengerechtigkeit. „Hessen braucht einen Wechsel“, ruft Kula. | |
| Ihr Co-Spitzenkandidat Schalauske nimmt den grünen [4][Wirtschafts- und | |
| Verkehrsminister Tarek Al-Wazir] ins Visier. Bei den Rodungen im | |
| Dannenröder Forst und im Fechenheimer Wald für den Bau des | |
| Riederwaldtunnels habe der Grüne der „Asphalt-statt-Wald-Politik“ nichts | |
| entgegengesetzt. | |
| Während der grüne Bundeswirtschaftsminister LNG-Terminals für „schmutziges | |
| Fracking-Gas“ im Rekordtempo durchgesetzt habe, dauere die Genehmigung | |
| eines Windrads in Hessen 38 Monate. Es brauche die Linke im nächsten | |
| hessischen Landtag, „damit die Menschen, die zu wenig gehört werden, eine | |
| Stimme haben, eine Stimme für soziale Gerechtigkeit“. | |
| Die Botschaft kommt an beim Sommerfest in Wiesbaden „Die Linke ist die | |
| einzige Partei, die wenigstens noch an soziale Gerechtigkeit denkt“, sagt | |
| Elisabeth Stein der taz. „Leider kann sie es nicht umsetzten“, fügt sie | |
| hinzu. Ihr Nachbar, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, | |
| ergänzt: „Das Geld, das fehlt, fließt in Waffen und Munition!“ Gleichzeit… | |
| würden neun [5][Goethe-Institute geschlossen], ereifert sich an seiner | |
| Seite die 67-jährige Elisabeth Stein. | |
| ## Das letzte Flächenland im Westen mit Linken-Fraktion | |
| Seit 2008 gehört die Linkspartei dem Hessischen Landtag an. Mit 5,1 Prozent | |
| schaffte sie damals ganz knapp den Einzug ins Parlament. Bei den | |
| Landtagswahlen 2009 (5,4 Prozent), 2013 (5,2 Prozent) und 2018 (6,3 | |
| Prozent) gelang jeweils der Wiedereinzug. | |
| Mittlerweile ist Hessen das einzige Flächenland in Westdeutschland, in der | |
| die Linkspartei noch im Landtag vertreten ist – und es spricht derzeit | |
| einiges dafür, dass auch diese Parlamentspräsenz nach dem Wahltag am 8. | |
| Okober verlustig gehen wird. Die aktuellen Umfragen von Infratest Dimap und | |
| der Forschungsgruppe Wahlen für Hessen sehen die Linkspartei bei 3 bis 4 | |
| Prozent, also unter der Fünfprozenthürde. | |
| Gegen Mittag zieht das Wahlkampfquartett Kula, Schlauske, Wissler und Gysi | |
| von Wiesbaden nach Frankfurt weiter. Die Szene vor der Hauptwache dort | |
| erinnert schon eher an Wahlkampf. Gut zweihundert Menschen sind gekommen, | |
| einige haben rote Fahnen mitgebracht. Einen riesigen aufblasbaren Hai haben | |
| sie neben der Bühne aufgestellt. „Miethaie zu Fischstäbchen!“, steht da. | |
| Daneben eine Dachs-Figur. „Tax the dax!“ ist dessen Parole. Umverteilung | |
| durch Vermögens- und Erbschaftssteuern ist hier das zentrale Thema der | |
| hessischen SpitzenkandidatInnen und ihrer prominenter UnterstützerInnen. | |
| Janine Wissler gibt den Ton an: Eine dreistellige Zahl von Milliardären | |
| gebe es in Deutschland, doch „im Schatten der Banktürme wachsen Kinder in | |
| Armut auf, nur weil man nicht bereit ist, Reiche und Superreiche zu | |
| besteuern, das ist doch irre“, argumentiert die Linke-Parteivorsitzende und | |
| bekommt viel Beifall. | |
| ## Janine Wissler auf Heimatbesuch | |
| Als Wahlkämpferin in Hessen ist Wissler ganz bei sich. Bis vor zwei Jahren | |
| war sie Gesicht und Stimme der hessischen Linken. Und deren | |
| Überlebensversicherung. Wissler rechnet ab mit der Ampel in Berlin, mit | |
| Schwarz-Grün in Hessen. Mit seiner Richtlinienkompetenz habe Bundeskanzler | |
| Olaf Scholz zwar eine Steuerentlastung für Unternehmen von acht Milliarden | |
| Euro durchgesetzt. Aber warum gibt es nicht die zwölf Milliarden, die das | |
| Familienministerium als Bedarf für eine echte Kindergrundsicherung | |
| errechnet hatte, fragt Wissler. | |
| Heftig attackiert sie Bundesinnenministerin [6][Nancy Faeser, die als | |
| Ministerpräsidentenkandidatin der SPD] auf Sieg gesetzt habe und jetzt mit | |
| den Grünen um Platz zwei kämpfe. Den EU-Asylkompromiss nennt Wissler einen | |
| Totalangriff auf das Asylrecht. „Nancy Faeser setzt auf menschliche Härte!“ | |
| SPD und Grüne seien angesichts der Verschiebung des Diskurses nach rechts | |
| eingeknickt. | |
| „Die teuersten Flüchtlinge in diesem Land sind die Steuerflüchtlinge“, h�… | |
| die linke Frontfrau dagegen – und nimmt sich die eigentümlichen Aussagen | |
| von Friedrich Merz zu Zahnarztbesuchen vor. „Nicht die Geflüchteten sind | |
| das Problem, sondern die zwei Klassen-Medizin, bei der Privatpatienten | |
| jederzeit Termine bekommen und Kassenpatienten nicht“, sagt sie. Merz nennt | |
| sie einen geistigen Brandstifter. „Wie lange leistet sich die CDU einen | |
| Vorsitzenden, der öffentlich AfD-Positionen bedient?“, fragt sie. | |
| Von der angeblichen Brandmauer der CDU zu den Rechtsextremen sei unter | |
| diesem Vorsitzenden „nur noch ein Vorhang“ übrig, spielt sie auf den | |
| gemeinsamen Beschluss von CDU, FDP und AfD im Thüringer Landtag an, | |
| gemeinsam die Grunderwerbssteuer zu senken. Mit der Zustimmung zur | |
| Verschärfung des Asylrechts hätten auch die Grünen „den Kampf gegen Rechts | |
| im Grünschnitt-Container entsorgt“, so Wissler. SPD und Grüne wetteiferten | |
| in Hessen lediglich darum, wer künftig als Juniorpartner mit | |
| CDU-Ministerpräsident Boris Rhein mitregieren dürfe. | |
| ## Wahlkampf unter schwierigen Bedingungen | |
| Auf der Hauptwache in Frankfurt wird sie gefeiert. In Berlin hat Wissler | |
| andere Probleme. Die Linkspartei sei „oben“ nicht in einem Zustand, der sie | |
| für WählerInnen attraktiv mache, räumt der Altvordere ein. | |
| „Selbstbeschäftigung, Denunziationen, Egoismen“ – Gysi findet harte Worte | |
| für die innerparteilichen Machtkämpfe. Namen nennt er nicht. | |
| Stattdessen wirbt Gysi für den hessischen Landesverband. „Der ist in | |
| Ordnung“, sagt er und bittet eindrücklich um Stimmen für die | |
| Äppelwoi-GenossInnen: „Wenn Sie die stärken, stärken Sie auch uns, die | |
| Vernünftigen in der Partei“, sagt der Berliner Bundestagsabgeordnete | |
| schmunzelnd. | |
| Dass man trotz der angespannten Lage seinen Humor nicht verlieren muss, | |
| hatte der 75-Jährige zuvor unter Beweis gestellt. Unter der Führung von | |
| Bundeskanzler Olaf Scholz sei die Bundesregierung erkennbar überfordert, | |
| und das wäre sie auch unter Führung von Friedrich Merz, konstatierte er, um | |
| dann zu verkünden: „Nur unter meiner Führung wäre das anders.“ | |
| Auch wenn es im Jubel des Publikums beinahe unterging, fügte Gysi für ihn | |
| typisch schnell noch hinzu: „Das war ein Witz!“ | |
| 1 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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