| # taz.de -- FDP vor Landtagswahl in Hessen: Absturz oder Regierungsbeteiligung? | |
| > Die FDP ringt um Aufmerksamkeit. Spitzenkandidat Stefan Naas will den | |
| > Grünen Tarek Al-Wazir als Wirtschaftsminister ablösen. | |
| Bild: Stefan Naas von der FDP im Hessischen Landtag | |
| Wiesbaden taz | „Wir müssen zulegen, dann werden wir gebraucht“, sagt der | |
| FDP-Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl Stefan Naas und wirkt | |
| dabei ganz und gar nicht verzagt. „Mindestens 7,5 Prozent für die FDP“ | |
| nennt er als Ziel für die Landtagswahl am 8. Oktober. Ohne zu zögern | |
| antwortet er auch auf die Frage nach seiner Wunschkonstellation für Hessen. | |
| „Wir möchten die CDU von ihrem derzeitigen Koalitionspartner befreien“, | |
| sagt Naas. Der 49-jährige Jurist will den amtierenden grünen | |
| [1][Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir] ablösen: „In einer | |
| Deutschlandkoalition aus CDU, SPD und FDP“, sagt er der taz. | |
| Die hessische FDP-Landesvorsitzende, Bundesbildungsministerin Bettina | |
| Stark-Watzinger, setzt auf diesen Spitzenkandidaten. Fünf Wochen vor dem | |
| Wahltermin ist sie aus Berlin angereist und präsentiert vor der | |
| Landespressekonferenz eine Liste von „sieben Trendwenden.“ Es sind | |
| Prüfsteine für eine mögliche Regierungsbeteiligung. | |
| Wie Naas attackiert auch sie die in Hessen seit fast zehn Jahren | |
| Regierenden: Unter Schwarz-Grün bleibe das Land hinter seinen | |
| Möglichkeiten, sagt sie. „Mittelmaß für unsere Kinder ist nicht genug“, | |
| kommentiert sie mit Blick auf Hessens Platz im Bildungsranking der | |
| Bundesländer und beklagt das „unterdurchschnittliche Wachstum“ des Landes. | |
| Bürokratieabbau, Entlastung des Mittelstands, mehr Investitionen in die | |
| Infrastruktur: Die Forderungen der FDP klingen vertraut. Für die Wahl in | |
| Hessen gibt sich auch Stark-Watzinger zuversichtlich, „weil wir die | |
| Selbstbestimmtheit der Menschen in den Mittelpunkt stellen“, sagt sie. Die | |
| aktuellen Umfragewerte nennt sie eine „solide Basis“. Die letzten Zahlen, | |
| die die Forschungsgruppe Wahlen für die FDP veröffentlichte, lagen | |
| allerdings ziemlich nahe am Abgrund der Fünfprozenthürde. | |
| ## Prognosen sehen CDU vorn | |
| Vorsichtshalber haben die Liberalen am frühen Nachmittag am Montag in den | |
| kleinen Medienraum im hessischen Landtag eingeladen. Und die meisten Plätze | |
| bleiben auch leer. Die FDP kämpft um Aufmerksamkeit. Die Fernseh- und | |
| Zeitungsredaktionen bitten eher zum „Triell“. Die SpitzenkandidatInnen von | |
| CDU, SPD und Grünen geben auf großer Bühne den „Dreikampf um die | |
| Staatskanzlei“. | |
| Der amtierende [2][Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU)], sein grüner | |
| Stellvertreter Tarek Al-Wazir und die Kandidatin der SPD, | |
| [3][Bundesinnenministerin Nancy Faeser], scheinen die Sache untereinander | |
| ausmachen zu wollen. Dabei, so die Hoffnung der Liberalen, könnte es am | |
| Ende doch noch auf die FDP ankommen. | |
| Die Forschungsgruppe Wahlen sah bei den Prognosen zur Landtagswahl zuletzt | |
| die CDU klar vorn (30 Prozent), Grüne und SPD dahinter gleichauf (jeweils | |
| 19 Prozent) vor AfD (16 Prozent), FDP (6 Prozent) und Linken (3 Prozent). | |
| Danach wäre rechnerisch sowohl ein schwarz-grünes als auch ein | |
| schwarz-rotes Zweierbündnisse möglich. Bei kleinen Verschiebungen indes, | |
| wenn kein Zweierbündnis eine Mehrheit erreicht, ist die FDP wieder im | |
| Spiel. | |
| ## „Feuer und Flamme für Hessen!“ | |
| „Die Stimmung ist hervorragend, 40 Prozent der Wahlberechtigten in Hessen | |
| sind noch nicht entscheiden“, macht sich FDP-Spitzenkandidat Naas Mut. | |
| Allerdings ist er im „Triell“, das er gern zum Vierkampf erweitern würde, | |
| der Außenseiter. Während sich Rhein, Faeser und Al-Wazir in vielen Jahren | |
| als feste Größen der Landespolitik etabliert haben, machte Naas in der | |
| Provinz Karriere. Neun Jahre lang amtierte er als direkt gewählter | |
| Bürgermeister von Steinbach, dem Taunusstädtchen im Speckgürtel von | |
| Frankfurt. | |
| Vor fünf Jahren wechselte der Jurist und gelernte Banker in den Landtag. | |
| Als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses erteilt er nun regelmäßig mit | |
| Al-Wazir dem Mann das Wort, dessen Ministeramt er übernehmen will. Freunde | |
| werden die beiden nicht. Dass er Al-Wazir zum Ministerpräsidenten einer | |
| grün-geführten Ampel wählen würde, gilt als ziemlich unwahrscheinlich, | |
| selbst wenn es rechnerisch möglich wäre. „Wir sind anschlussfähig für alle | |
| demokratischen Kräfte der Mitte“, sagt Naas zwar, versichert aber im | |
| gleichen Atemzug: „Mit uns wird es keinen Linksruck geben.“ | |
| Mit Tausenden Plakaten und auf Großveranstaltungen mit Bundesprominenz will | |
| die FDP ihren Spitzenmann bekannter machen. Braungebrannt schaut er | |
| zuversichtlich von den Plakaten in die Landschaft. „Feuer und Flamme für | |
| Hessen!“ steht da. Dass man diesen Satz als Anspielung auf die | |
| Auseinandersetzungen um das Heizungsgesetz lesen kann, tut Naas als | |
| „Quatsch“ ab. „Wir wollen deutlich machen, dass der Spitzenkandidat keine | |
| Schlaftablette ist“, sagt er der taz. In dieser Woche startet auch | |
| Parteichef, Bundesfinanzminister Christian Lindner, in den hessischen | |
| Landtagswahlkampf. Die Kampagne soll kurz vor der Wahl noch einmal Fahrt | |
| aufnehmen. | |
| CDU-Ministerpräsident Boris Rhein hatte zuletzt gewarnt: „Wer FDP wählt, | |
| wählt die Ampel!“ Das hat viele in der FDP empört. Öffentlich möchte | |
| Spitzenkandidat Naas das nicht kommentieren. „Die hessische CDU hat sich | |
| entschieden, links zu blinken“, sagt er nur und wünscht der Union „viel | |
| Spaß noch mit den Grünen“, zum Beispiel bei den CDU-Vorhaben der | |
| Entwicklung der Fusionstechnik zur Energiegewinnung oder der Gentechnik in | |
| Pharmazie und Landwirtschaft. | |
| ## Es herrscht keine Wechselstimmung | |
| Der taz berichtet Naas, am Montagmorgen sei er beim unionsnahen | |
| Wirtschaftsrat im Frankfurter Bankenviertel zu einem Unternehmerfrühstück | |
| geladen gewesen. Dort habe er viel Zuspruch erfahren. Auch habe er viel | |
| Kritik am grünen Wirtschaftsminister vernommen, sagt der FDP-Spitzenmann | |
| und freut sich. Für die Abendveranstaltung im Wiesbadener Roncallihaus, zu | |
| der ihn die taz ihn am Montag begleitet, legt er die Krawatte ab. Anders | |
| als das Unternehmerfrühstück erwarte er an diesem Abend kein Heimspiel, | |
| sagt er. Die katholische und evangelische Kirche haben unter der Frage „Wo | |
| bleibt der Zusammenhalt“ zu einem sozialpolitischen Forum zum Thema Wohnen | |
| geladen. | |
| Dort bekommt die Gewerkschafterin Liv Ditzinger vom Bündnis | |
| „Mietenwahnsinn“ ihr Forum. Sie beklagt die Gentrifizierung und fordert den | |
| Vorrang für öffentlichen Wohnungsbau. Mit der Förderung von Eigenheimen | |
| setzten CDU und FDP aufs falsche Pferd, sagt sie. Tapfer hält Naas dagegen. | |
| Nicht der Staat, sondern die vielen kleinen privaten Vermieter sorgten für | |
| das wachsende Angebot auf dem Wohnungsmarkt, so der Liberale. Deren | |
| Vertrauen in den Wohnungsmarkt müsse man stärken, statt sie mit | |
| Regulierungen zu verunsichern, so Naas. Die Sprecherin der Initiative | |
| „Mietenwahnsinn“ und auch die VertreterInnen von Linken und SPD ernten beim | |
| Publikum erkennbar mehr Beifall als Naas. Doch an diesem Abend werden kaum | |
| Wählerstimmen vergeben. Gekommen sind zu dieser groß angekündigten | |
| Veranstaltung lediglich ein Dutzend Menschen. | |
| Das ist das größte Problem dieses Landtagswahlkampfs in Hessen. Es gibt | |
| keine Wechselstimmung, es gibt kein großes Thema. CDU und AfD arbeiten sich | |
| an der Berliner Ampelregierung ab. Die meisten Beobachter erwarten ein | |
| „weiter so“ mit Schwarz-Grün. Allenfalls der von den Parteistrategen von | |
| CDU, SPD und Grünen inszenierte Dreikampf um die Staatskanzlei sorgt für | |
| etwas Aufmerksamkeit. Wer mobilisiert in den knapp fünf Wochen bis zum | |
| Wahltermin am 8. Oktober 2023 am besten? Diese Frage wird am Ende die | |
| Entscheidung bringen, auch über die Zukunft der hessischen FDP und die | |
| ihres Spitzenkandidaten. | |
| 13 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Tarek-Al-Wazir-im-Hessen-Wahlkampf/!5951210 | |
| [2] /Boris-Rhein-im-Hessen-Wahlkampf/!5949470 | |
| [3] /Wahlkampf-in-Hessen/!5950963 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
| ## TAGS | |
| Landtagswahl in Hessen | |
| FDP | |
| Wahlkampf | |
| Bündnis 90/Die Grünen | |
| Tarek Al-Wazir | |
| FDP | |
| Janine Wissler | |
| Landtagswahl in Hessen | |
| Nancy Faeser | |
| Nancy Faeser | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| FDP bei Landtagswahlen Bayern und Hessen: Wahlschlappen reloaded | |
| Für die FDP sieht es in Bayern und Hessen mau aus. In Bayern fliegen die | |
| Liberalen aus dem Landtag, in Hessen bleibt es eine Zitterpartie. | |
| Die Linkspartei im hessischen Wahlkampf: Wenn die Nacht am tiefsten ist | |
| Bei der Landtagswahl in Hessen sieht es für die Linke nicht so gut aus. Mit | |
| Janine Wissler und Gregor Gysi kam prominente Unterstützung. | |
| Tarek Al-Wazir im Hessen-Wahlkampf: Kaum Chancen für grüne Turnschuhe | |
| Der Grüne Tarek Al-Wazir will Hessens Ministerpräsident werden. Er kämpft | |
| mit prominenter Konkurrenz und schlechten Umfragewerten. | |
| Wahlkampf in Hessen: Die doppelte Nancy | |
| Nancy Faeser (SPD) ist auf Wahlkampftour und muss sich dabei zugleich als | |
| Bundesinnenministerin und potenzielle Ministerpräsidentin Hessens | |
| präsentieren. | |
| Faeser auf Wahlkampftour in Hessen: Kanzler will „Nancy for President“ | |
| Die Bundesinnenministerin möchte Hessens erste Ministerpräsidentin werden. | |
| Dabei erhält sie die volle Unterstützung von Olaf Scholz. |