| # taz.de -- Faeser auf Wahlkampftour in Hessen: Kanzler will „Nancy for Presi… | |
| > Die Bundesinnenministerin möchte Hessens erste Ministerpräsidentin | |
| > werden. Dabei erhält sie die volle Unterstützung von Olaf Scholz. | |
| Bild: Eine Frage für Olaf Scholz: „Die Nancy will weg von Dir, wie sehr wün… | |
| Wiesbaden/Mühlheim/Frankfurt am Main taz | Bundesinnenministerin Nancy | |
| Faeser hat am Freitag zur Halbzeit der Schulferien in Hessen ihre | |
| Wahlkampagne gestartet. [1][Nach 25 Jahren in der Opposition will die SPD | |
| in Wiesbaden wieder mitregieren]. Faeser ist mit demonstrativer | |
| Unterstützung von Bundeskanzler Olaf Scholz unterwegs, ihr Chef gibt ihr | |
| Rückendeckung auch für die Ankündigung, nur dann nach Wiesbaden zu | |
| wechseln, wenn sie Ministerpräsidentin wird. | |
| Es ist eine Reise mit vielen Stationen: Auf dem Frankfurter Flughafen haben | |
| Faeser und Scholz mit Sicherheitspersonal gesprochen und sich die neuesten | |
| Geräte zur Gepäckkontrolle vorführen lassen, in Mühlheim am Main eine | |
| familiengeführte Bau- und Möbelschreinerei besichtigt. Im Gewerkschaftshaus | |
| in Frankfurt gab es eine Diskussion mit SozialdemokratInnen und | |
| BetriebsrätInnen. Zum Abschied dieses Heimspiels haben sie „Nancy“ mit | |
| stehenden Ovationen bereits als „nächste hessische Ministerpräsidentin“ | |
| gefeiert. Es bleiben ihr noch acht Wochen in der von manchen kritisierten | |
| Doppelrolle als Wahlkämpferin und Ministerin. In den Umfragen liegt die | |
| [2][CDU mit Ministerpräsident Boris Rhein] vorn. Die SPD rangiert in Hessen | |
| aber immerhin auf Platz zwei, besser als im Bundestrend. | |
| Am Vormittag steht in Wiesbaden ein Termin mit VertreterInnen des | |
| hessischen Gastgewerbes und Handels an. Auf der Terrasse des Hotels | |
| Oranien, mit Blick ins Grüne, diskutieren die Gäste bei sommerlichen | |
| Temperaturen mit UnternehmerInnen, die sicher nicht zur | |
| KernwählerInnenschaft der SPD zählen. Der Kanzler erntet freundlichen | |
| Beifall, als er die Herausforderungen der Coronapandemie und der Krise, die | |
| der russische Angriffskrieg ausgelöst habe, auflistet. „Wir sind | |
| durchgekommen, die allermeisten haben es geschafft“, erinnert er an die | |
| dreistelligen Milliardenhilfen, die Bundesregierung und Bundestag gestemmt | |
| hätten. „Die Schulden sind da“ dämpft er die Erwartungen der | |
| GastronomInnen, die eine dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer für | |
| Speisen auf 7 Prozent erwarten und verspricht wohlwollende Prüfung: „Mal | |
| ist was drin, mal nicht“, sagt er mit seinem verschmitzten Grinsen. | |
| Seine Innenministerin lobt er für das „modernste Einwanderungsgesetz“, das | |
| endlich die nötige Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ermöglicht. Der | |
| Fachkräftemangel ist Thema Nummer eins bei den Gesprächen mit Gastronomie, | |
| Handel und Handwerk. Mit dem [3][Fachkräfteeinwanderungsgesetz], davon ist | |
| der Kanzler überzeugt, hat die vielgeschmähte Ampelregierung im Allgemeinen | |
| und seine Innenministerin im Besonderen geliefert und Punkte gemacht. Nancy | |
| Faeser verspricht nachzuarbeiten, um bürokratische Hürden abzubauen. Das | |
| sei gar nicht so einfach, ergänzt der Kanzler, da müssten auch die Länder | |
| und hunderte Ausländerbehörden ihren Beitrag leisten, spielt er den Ball | |
| zurück. | |
| Der Fahrzeugkolonne des Kanzlers folgen ein Dutzend FotografInnen und | |
| Kamerateams. Überall ergeben sich schöne Motive. Der Kanzler, sichtlich gut | |
| gelaunt und erholt aus dem Urlaub zurück, gibt sich leger, mit offenem | |
| Hemdkragen, die Innenministerin an seiner Seite strahlt im hellblauen | |
| Blazer. | |
| Während der nichtöffentlichen Gespräche warten die JournalistInnen meist | |
| vor der Tür. Das auffällige helle Lachen von Nancy Faeser dringt immer | |
| wieder nach draußen. Den Kanzler kennen die GesprächsteilnehmerInnen in der | |
| Regel aus dem Fernsehen. Nancy Faeser kann viele von ihnen mit Namen | |
| begrüßen, weil sie sie schon bei anderer Gelegenheit getroffen hat. Seit | |
| mehr als zwei Jahrzehnten ist die SPD-Kandidatin im Land unterwegs. Nur | |
| deshalb kann sie sich für die Landtagswahl am 8. Oktober Chancen | |
| ausrechnen, als erste hessische Ministerpräsidentin in die Wiesbadener | |
| Staatskanzlei einzuziehen. | |
| ## Immer noch in Schwalbach zu Hause | |
| Die Bundesinnenministerin ist noch immer im nahen Schwalbach zu Hause. Dort | |
| wohnt sie mit ihrem Mann und dem 9-jährigen Sohn. Sie pendelt zwischen | |
| Berlin und dem Taunusstädtchen. Ihre Familie besucht sie gelegentlich in | |
| Berlin. Dass sie das bedeutende Amt in der Hauptstadt aufgeben würde, um in | |
| Hessen Regierungsverantwortung zu übernehmen, hat auch mit ihrer Familie zu | |
| tun. In Schwalbach war ihr Vater Bürgermeister, später stieg er zum Chef | |
| des Regionalverbands auf, bis zu seinem frühen Tod war er ein Kümmerer. So | |
| sieht sich auch die Tochter. | |
| Die hessischen GenossInnen trauen „ Nancy“ einen Wahlsieg zu. Nicht dass | |
| die SPD vor der CDU landen, aber dass eine Mehrheit ohne CDU und AfD | |
| rechnerisch möglich sein wird. Das sagen sie nicht nur vor der Kamera, wenn | |
| es von ihnen erwartet wird, sondern auch ernsthaft in | |
| Hintergrundgesprächen. 18 Jahre lang hat Faeser im Wiesbadener Landtag | |
| Politik gemacht, unfreiwillig in der Opposition. Sie hat als | |
| innenpolitische Sprecherin der SPD wohl jede Polizeistation mindestens | |
| einmal besucht. Sie ist bekannt und bei den meisten anerkannt, als | |
| Zuhörerin, Nachfragende und gelegentlich auch als Ratgeberin. | |
| Im November 2008 sollte sie Landesjustizministerin im Kabinett der | |
| damaligen [4][SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti] werden, als SPD und Grüne | |
| mit Unterstützung der Linkspartei Roland Koch in Rente schicken wollten. | |
| Der Versuch scheiterte an vier SPD-Abgeordneten, die dem eher rechten | |
| Flügel der Partei angehörten. Zu dem zählte damals auch Faeser, die aber | |
| anders als die anderen zu Ypsilanti stand. Von diesem Desaster hat sich die | |
| Hessen-SPD nur schwer erholt. Die Parteiflügel wurden zwar aufgelöst, doch | |
| in drei Anläufen blieb Ypsilantis [5][Nachfolger Thorsten Schäfer-Gümbel] | |
| ohne Chancen. Bei der Wahl vor fünf Jahren landete die Partei mit 19,8% | |
| sogar noch hinter den Grünen, auf Platz drei. Die regieren seit zehn Jahren | |
| zusammen mit der CDU. „Wenn es eine belastbare und glaubwürdige Mehrheit | |
| für ein Reformbündnis gibt, werden die der [6][Grünen] ihrer Basis nicht | |
| eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der CDU zumuten können“, versichert | |
| SPD-Generalsekretär und Wahlkampfmanager Christoph Degen im Begleitbus der | |
| Tour von Faeser und Scholz. | |
| In Mühlheim am Main besuchen Scholz und Faeser die Bau- und | |
| Möbelschreinerei Kramwinkel. Scholz löst eine Zusage ein, die er dem | |
| Firmenchef als Kanzlerkandidat in einer ZDF-Sendung gemacht hat. | |
| „Versprochen Gehalten!“ strahlt Faeser, die auch hier viele kennt. Das | |
| mittelständische Unternehmen arbeitet gerade einen großen Auftrag für die | |
| Innenausstattung eines neuen Bürohochhauses in Frankfurt ab. Die | |
| Mitarbeitenden fertigen maßgeschneiderte Raumteiler, die später mit | |
| Blumenkästen bestückt werden, und Küchenblöcke. Scholz und Faeser schauen | |
| zu, fragen nach. Am Ende bei Streuselkuchen und Kaffee eine Gesprächsrunde. | |
| „Es war eine sehr freundliche Atmosphäre“, berichtet Halil Öztas, der | |
| örtliche Wahlkreiskandidat der SPD. | |
| ## „Hambelbambel“ und „Dorschennanner“ | |
| Obwohl der Rechtsanwalt nur auf einem hinteren Listenplatz kandidiert, hat | |
| er seine Hoffnung auf ein Landtagsmandat nicht aufgegeben. „Nancy kommt gut | |
| an“, sagt er. 1999 war der heute 46-jährige Sohn türkischer Eltern in die | |
| SPD eingetreten, aus Empörung über die ausländerfeindliche Kampagne des | |
| CDU-Hardliners Roland Koch gegen den Doppelpass. Was denkt er heute, wenn | |
| Faeser als Bundesinnenministerin, die [7][Ausweisung von Clan-Mitgliedern] | |
| erleichtern will? Öztas findet das in Ordnung. „Das zielt auf kriminelle | |
| Strukturen, unabhängig vom Migrationshintergrund. Genauso konsequent ist | |
| Nancy gegen die Reichsbürger vorgegangen“, sagt er der taz | |
| Auf der Terrasse der Lohrbergschänke, mit Blick auf die Frankfurter | |
| Skyline, empfängt bei „Bembel und Gebabbel“ Sportmanager und Entertainer | |
| Bernd Reisig den Kanzler. Vor zwei Jahren hatte „Olaf“ versprochen, als | |
| Kanzler wieder in die Show zu kommen. Damals habe er gedacht, „was raucht | |
| der Mann“, sagt Reisig lachend. Niemand hatte ihn damals auf dem Zettel. | |
| Reisigs Smoking ziert ein schwarz-rot-goldenes Revers, auf dem Kopf trägt | |
| er einen hohen Zylinder. „Nancy“, die mit dem Gastgeber befreundet ist, | |
| sitzt am Nachbartisch. Sie darf dem Kanzler bei der Übersetzung aus dem | |
| Hessischen helfen, als Publikumsjoker. Wer versteht schon auf Anhieb | |
| „Hambelbambel oder „Dorschennanner“? | |
| In dem launigen Format, irgendwo zwischen „Blauer Bock“, Fassenacht und | |
| Politik-Talk, [8][das nur im Netz gestreamt wird], kommt es dann doch noch | |
| zur ernsten Gretchenfrage: „Die Nancy will weg von Dir, wie sehr wünschst | |
| Du ihr Erfolg?“ fragt Reisig. Der Kanzler lobt seine „erstklassige | |
| Bundesinnenministerin“ über den grünen Klee, würde sie aber gleichwohl | |
| gerne als Ministerpräsidentin nach Hessen ziehen lassen. „Dann musst Du ja | |
| eine Neue suchen?“, sorgt sich der Moderator. „Dann habe ich ein Problem“, | |
| räumt Scholz mit ernster Miene ein und verspricht – wieder heiter – auch | |
| dieses zu lösen, wie die vielen anderen Probleme, über die er an diesem Tag | |
| schon geredet hat. | |
| 12 Aug 2023 | |
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| [8] https://www.youtube.com/channel/UCa7z-27qecuTEfoZLW89Krw | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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