# taz.de -- Absetzbewegungen von der Linkspartei: Linken-Katharsis in Bochum | |
> Nach dem Austritt von Wagenknechtanhängerinnen gibt es in der | |
> Ruhrgebietsstadt keine Linksfraktion mehr. Das hat wohl auch profane | |
> finanzielle Gründe. | |
Bild: Aufruhr in ihrem Wahlkreis: Sevim Dağdelen hier im Februar mit Sahra Wag… | |
BERLIN taz | Die [1][bevorstehende Abspaltung des Flügels um Sahra | |
Wagenknecht] von der Linken wirft ihre Schatten voraus. Im Ruhrgebiet hat | |
der Trennungsprozess begonnen. In der einstigen Wagenknecht-Hochburg Bochum | |
hat sich die Mehrheit der dortigen Linken-Ratsfraktion nun dazu | |
entschieden, nicht mehr darauf zu warten, bis die frühere | |
Bundestagsfraktionsvorsitzende offiziell den Startschuss für ihre neue | |
Partei gibt. | |
Am vergangenen Freitag erklärten die langjährige Fraktionsvorsitzende | |
Gültaze Aksevi sowie Mehriban Özdogan und Mehtap Yildirim, die bisherige | |
Kreisvorsitzende, ihren Austritt aus der Linkspartei und -fraktion. Damit | |
verliert die Linke ihren Fraktionsstatus im Stadtrat. Ihren Schritt | |
erklärten die drei mit dem „katastrophalen Kurs“, auf den die Parteiführu… | |
um Janine Wissler und Martin Schirdewan die Linke gebracht habe. | |
Konkret benannten die drei Ratsfrauen die „selbstzerstörerische | |
Sanktionspolitik der Ampel“ gegenüber Russland, die von der linken Spitze | |
mitgetragen werde, und die „Forderungen aus der Parteispitze nach | |
Waffenlieferungen an die Ukraine“. Außerdem sei der „pluralistische | |
Charakter“ der Partei aufgegeben worden. Stattdessen mache die | |
Parteiführung die Linke „zu einer Sekte“. Das sei „der Weg in den | |
Untergang, den wir nicht mittragen wollen“. | |
Der Sound ihrer Abschiedserklärung erinnert an die Bochumer | |
Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, die als enge Wagenknecht-Vertraute | |
gilt und mit ähnlichen Worten seit längerem kein gutes Haar mehr an ihrer | |
Nochpartei lässt. Mit nicht immer ganz stubenreinen Methoden hat Dağdelen | |
jahrelang den Bochumer Kreisverband dominiert, wozu unter anderem der | |
Komplettaustausch der Ratsfraktion 2014 gehörte. Inzwischen haben sich die | |
Mehrheitsverhältnisse jedoch zu ihren Ungunsten verändert. | |
## Neue Fraktion „Frieden, Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ | |
„Ich gehe jetzt noch stärker davon aus, dass Sevim Dağdelen sich bei der | |
Gründung einer neuen Partei beteiligt“, sagte der seinerzeit abservierte | |
Fraktionsvorsitzende Uwe Vorberg jetzt der WAZ. Der Abgang der drei | |
Ratsfrauen sei „in enger Abstimmung“ mit Dağdelen erfolgt, ist sich der | |
ehemalige Linken-Ratsherr Ralf Feldmann sicher. „Wer noch rätselt, welche | |
Personen auf lokaler Ebene das Gesicht und die Organisation einer | |
Wagenknechtpartei prägen könnten: in Bochum gibt es Anschauungsmaterial“, | |
kommentierte er. | |
Im April hatte [2][die Mitgliederversammlung der Bochumer Linken] mit 27 | |
gegen 16 Stimmen bei zwei Enthaltungen eine von Feldmann eingebrachte | |
[3][Resolution beschlossen], in der es heißt: „Wir erwarten von allen | |
Bundestagsabgeordneten der Linken aus NRW, dass sie in persönlichen | |
Erklärungen und in einem gemeinsamen Beschluss allen Andeutungen und | |
Überlegungen über die Gründung einer anderen Partei öffentlich | |
entgegentreten.“ | |
Mit Ausnahme der Landesvorsitzenden Kathrin Vogler hat keine:r der | |
insgesamt sechs nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten die | |
Erwartung der Bochumer Parteibasis erfüllt – selbstverständlich auch nicht | |
Dağdelen. | |
Wie Dağdelen sind Aksevi, Özdogan und Yildirim eng mit der türkeistämmigen | |
Migrant:innenorganisation DIDF verbunden, die ihre politischen | |
Wurzeln im Maoismus albanischer Prägung hat. Ihre Ratsmandate wollen sie | |
behalten. Das Trio kündigte an, eine neue Fraktion zu gründen, die | |
„Frieden, Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (FASG) heißen soll. Die zwei | |
verbliebenen Linken-Ratsmitglieder Horst Hohmeier und Moritz Müller werden | |
hingegen nur als Gruppe weitermachen können. | |
## Welche Rolle spielen finanzielle Interessen? | |
Empört reagierte der von Müller angeführte Bochumer Kreisvorstand der | |
Linkspartei. Der Austritt der drei Ratsmitglieder schwäche die soziale und | |
friedliche Opposition in Bochum. Dabei sei die Begründung der drei | |
Abtrünnigen vorgeschoben. Ohnehin hätten sie seit Monaten nicht mehr an | |
Rats- und Ausschusssitzungen teilgenommen. Deswegen seien sie bereits | |
Anfang September zur Rückgabe ihrer Mandate aufgefordert worden. | |
Bei ihrem Fraktionsaustritt unter Mitnahme der Mandate ginge es vorrangig | |
um eigene Interessen, da alle drei Ratsmitglieder der Partei „bisher | |
beträchtliche Mandatsträgerabgaben schuldig geblieben“ seien, die der | |
Kreisverband schon seit einiger Zeit einfordere. Sie würden „einzig auf den | |
eigenen finanziellen Vorteil“ schielen. „Auch Sevim Dağdelen soll der | |
Bundes- und Landespartei Mandatsträgerabgaben schuldig geblieben sein“, | |
heißt es weiter in der [4][Erklärung des Kreisvorstandes]. Noch im Oktober | |
soll eine Mitgliederversammlung einberufen werden, um die neue Situation zu | |
bewerten. | |
Im nahen Herdecke scheint der Trennungsprozess der | |
Wagenknecht-Anhänger:innen von der Restpartei etwas friedlicher vonstatten | |
zu gehen. In der Antroprosophenmetropole ist der dortige Linksfraktionschef | |
und Wagenknecht-Fan Dieter Kempka in der zweiten Septemberhälfte ebenfalls | |
aus der Linkspartei ausgetreten. Aber weiterhin bildet er mit Vladimir | |
Munk, dem Kreissprecher der Linken im Ennepe-Ruhr-Kreis, eine gemeinsame | |
Fraktion. Die hat allerdings ihren Namen geändert. Sie nennt sich jetzt: | |
„Sahra Wagenknecht Linksfraktion Herdecke“. | |
## Landesverband der Linken reagiert gelassen | |
Der nordrhein-westfälische Landesverband der Linkspartei reagierte betont | |
gelassen auf die Bochumer Austritte. Die seien zwar „bedauerlich, aber | |
nicht sehr überraschend“, sagte Landeschefin Kathrin Vogler der taz. Die | |
Begründung der drei Ratsfrauen sei „wohl nicht zufällig auf dem Rechner | |
einer Mitarbeiterin von Sevim Dağdelen verfasst“ worden. | |
Schließlich würden darin „nur die Falschbehauptungen wiederholt, mit denen | |
Dağdelen und Wagenknecht seit Monaten versuchen, Die Linke zu | |
diskreditieren, um die Bedingungen für ihre geplante neue Partei zu | |
verbessern.“ Ihr sei „total schleierhaft, wie eine solche Partei, wenn sie | |
auf Unwahrheiten aufgebaut wird, sich das Vertrauen von Wähler:innen | |
verdienen will“, so Vogler. | |
Es werde „noch eine Handvoll weiterer Austritte von Mandatsträger:nnen | |
geben“, sagte Landesgeschäftsführer Sebastian Merkens [5][dem nd, dem | |
früheren Neuen Deutschland]. Das sei seit dem Moment klar, in dem | |
Wagenknecht erklärt habe, „die Partei kaputt machen zu wollen“. Er sei sich | |
jedoch sicher, „dass alle, die gehen, Platz machen für neue Menschen, die | |
kommen wollen“. Zumindest der Zweckoptimismus scheint der Linkspartei noch | |
nicht abhanden gekommen zu sein. | |
3 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Sahra-Wagenkecht-und-die-Linkspartei/!5954498 | |
[2] /Linkspartei-in-der-Krise/!5929612 | |
[3] https://dielinke-bochum.de/beschlossen-resolution-wer-immer-gehen-will-wir-… | |
[4] https://www.linksfraktionbochum.de/2023/10/austritt-von-drei-ratsmitglieder… | |
[5] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176676.krise-der-linken-wagenknecht-im-s… | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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