| # taz.de -- Berliner Zaunpolitik: Jeder Zaun ist politisch | |
| > Die Umzäunung des Görlitzer Park wird weiterhin bekämpft. Es sind nicht | |
| > die ersten Gitter, an denen sich der stadtpolitische Widerstand | |
| > entzündet. | |
| Bild: Zäune sind zum klettern da | |
| ## Dann brannte halb Kreuzberg | |
| Was war schon die Mauer gegen diesen Zaun. Kein normaler Baustellenzaun. | |
| Eine politische Provokation. Ein Versuch, Kinder gegen Kinder auszuspielen | |
| und ein selbstverwaltetes Projekt zu verdrängen. | |
| So sahen es viele Ende der 1980er Jahre im West-Berliner Waldekiez. Das | |
| selbstverwaltete Projekt war der Kinderbauernhof am Mauerplatz. Wer die | |
| Adalbertstraße Richtung Mauer ging, tauchte hinter der Waldemarstraße in | |
| eine fast ländliche Idylle. Schafe grasten auf dem besetzten „Acker“, wie | |
| die Betreiber ihre Fläche nannten. Im Hintergrund die ehemals besetzte | |
| Backsteinfabrik mit dem berühmten Turm. | |
| Seit 1981 konnten hier, im Schatten der Mauer, Kinder Tiere gucken. Bis der | |
| Bezirk herausfand, dass im dicht bebauten SO36 Kinder auch eine Kita | |
| brauchen. Es war die Geburt eines Konflikts, der Kreuzberg und vor allem | |
| die Alternative Liste, die Vorläuferin der Berliner Grünen, spaltete. | |
| Noch bevor mit dem Bau der Kita (natürlich aus Holz, schließlich war | |
| Baustadtrat Werner Orlowsky ein Grüner) begonnen wurde, wurde das Gelände | |
| 1987 eingezäunt. Schnell wurde der Zaun zum Politikum. Jeden Sonntag | |
| mobilisierte die Szene zum Zaunspaziergang. Mal wurde er geschmückt, mal | |
| demoliert, meistens gab es Ärger mit der Polizei. | |
| Anfang 1987 machte Orlowsky einen letzten Kompromissvorschlag. Warum nicht | |
| die Kita auf die Adalbertstraße bauen? Die führte ohnehin nur zu Mauer, | |
| könnte also als Straße entwidmet werden. „Doch da waren der Senat und die | |
| Alliierten vor“, schrieb die taz damals. „Eine Umwidmung der Straße käme | |
| nicht infrage, schließlich führe sie Richtung Osten und müsse im Falle der | |
| Wiedervereinigung vorhanden sein.“ | |
| So kam, was kommen musste. Im Frühjahr 1987 begannen die Bauarbeiten für | |
| die Kita. Unter Polizeischutz. Es war der Auftakt eines Jahres, nach dem in | |
| SO36 nichts mehr blieb, wie es war. Am 1. Mai brannte halb Kreuzberg (samt | |
| Bolle), danach begann die 750-Jahr-Feier, es folgten der Reagan-Besuch, die | |
| Abriegelung des Bezirks, Ausnahmezustand. | |
| Auch am Mauerplatz war bald alles anders. Im Herbst 1987 brannte der Rohbau | |
| der fast fertiggestellten Kita nieder. Der Zaun hatte es nicht verhindern | |
| können. Schnell hieß es: ein Brandanschlag der Autonomen. „Der | |
| revolutionäre Kampf wird immer absurder“, stellte die Kreuzberger SPD | |
| seinerzeit fest. | |
| Erst viele Jahre später stellte sich heraus: Es war ein Pyromane. Armin S. | |
| hieß er, er hatte auch Bolle in der Nacht des 1. Mai abgefackelt. Später, | |
| da war er schon wieder aus dem Knast entlassen, gab er der Kollegin | |
| Plutonia Plarre ein Interview. Als er gesehen habe, wie die Autonomen | |
| Mollis in den geplünderten Bolle geworfen hätten, habe er sich gedacht: „So | |
| funktioniert das nicht. Denen werde ich zeigen, wie man das macht.“ Er habe | |
| die Flaschen aus seinem Rucksack geholt und gerufen: „Vorsicht, das brennt | |
| gleich ohne Lunte.“ | |
| Die Kita wurde nicht wieder aufgebaut. Zwei Jahre später fiel die Mauer. | |
| Den Kinderbauernhof gibt es immer noch. (wera) | |
| ## Von wegen Tempelhofer Freiheit | |
| „Hinter dem Zaun liegt der Strand“: Der abgewandelte Sponti-Spruch | |
| geisterte durch das autonome Berlin, als sich Anfang 2009, wenige Monate | |
| nach Einstellung des Flugbetriebs am Flughafen Tempelhof, die Idee breit | |
| machte, das Feld in Beschlag zu nehmen. „Have you ever squatted an | |
| airport?“, lautete die Frage, die dann weit über die Szene hinaus | |
| mobilisierte und von einer Mehrheit der Berliner:innen mit Sympathie | |
| verfolgt wurde. | |
| Die Forderungen von Squat Tempelhof, wie die Kampagne schließlich hieß: | |
| „Keine Bebauungen, erst recht keine Luxuswohnungen, [1][weg mit dem Zaun | |
| und Öffnung der Freifläche] für alle.“ So schreibt es Stefan Romvári in | |
| seinem 840-Seiten-Wälzer „Rebellisches Berlin“. Der damalige rot-rote Senat | |
| hatte sich zu diesem Zeitpunkt beim Titel „Tempelhofer Freiheit“, unter dem | |
| über eine Nachtnutzung diskutiert werden sollte, des zweiten Begriffs schon | |
| entledigt – zu wörtlich nahmen ihn viele Berliner:innen. | |
| Es entwickelte sich eine Bewegungsdynamik verschiedener Akteur:innen und | |
| Aktionen – immer wieder stand dabei der Zaun als Trennstück zur ersehnten | |
| „Freien Republik Tempelhof“ im Mittelpunkt. So wurde er auf Ebay zur | |
| Versteigerung angeboten – für Selbstabholer*innen. Und auf einer | |
| Pressekonferenz wurde erläutert, dass das Betreten eines eingezäunten | |
| Geländes kein Hausfriedensbruch sei, wenn man als Imker*in einen | |
| entflogenen Bienenschwarm verfolgt. | |
| Mitte Juni 2009 sollte der acht Kilometer lange Zaun, der extra mit | |
| Stacheldraht verstärkt wurde, in einer Massenaktion überwunden werden. | |
| Tausende versuchten es, am Columbiadamm kam ein Wurfanker zum Einsatz, um | |
| den Zaun niederzureißen. Doch letztlich scheiterte die Massenbesetzung am | |
| polizeilichen Großaufgebot – und am Zaun. | |
| Ein knappes Jahr später, im Mai 2010, wurde das Gelände offiziell geöffnet | |
| – wieder unter Protesten. Die Jubelzeremonien wurden von mehr als 1.000 | |
| Menschen gestört, die gegen Zaun und Wachschutz demonstrierten. Am Ende des | |
| amtlichen Bühnenprogramms ließen sich die Demonstrierenden unter „Der Zaun | |
| muss weg!“-Rufen auf dem Feld nieder, ehe sie im Kessel von der Polizei | |
| nach draußen bugsiert wurden. | |
| Abgesehen von gut 500 Metern Zaun am Columbiadamm auf Höhe des | |
| Flughafengebäudes, die vergangenes Jahr zurückgebaut wurden, blieb die | |
| Umzäunung des Feldes bestehen, ebenso die Pflicht, es zum Einbruch der | |
| Dunkelheit zu verlassen. [2][Die Aufregung darüber hatte sich schnell | |
| gelegt]. Heute bedrohen die Neubauabsichten des Senats, gegen den | |
| erfolgreichen Volksentscheid, die Freiheit Tempelhofs. (epe) | |
| ## Die Reichen bleiben eingezäunt unter sich | |
| Bei Gated Communities verspricht der Zaun den drin wohnenden | |
| Zaunenthusiast*innen mehr Sicherheit. Mit der kiezigen | |
| Mieter*innenstadt Berlin scheint dieses Konzept für amerikanische | |
| Vorstädte erstmal wenig zu tun zu haben, weshalb sich dieses Konzept hier | |
| als „Townhouses“ tarnt. | |
| „Sind wir überhaupt noch in Berlin? Und ob!“, zitiert der Stadtforscher Tim | |
| Rieniets ein Werbeplakat der „Eldenaer Höfe“ in Friedrichshain bei einer | |
| Besichtigung solcher Townhouses. Diese teuren Reihenhäuser mit | |
| Concierge-Service in innerstädtischen Vierteln beschreibt er als ein | |
| Projekt, das gleichzeitig Nähe und Distanz zur Stadt verspricht. | |
| Am Schinkelplatz, wo in direkter Nähe zur Stadtschlossattrappe auch | |
| Wohnungen entstanden, bewirbt die Luxusimmobilien-Plattform Far Away Home | |
| ihr Angebot als eine „Residenz“, die mit „einzigartigem Wohngefühl und | |
| direktem Blick auf das Berliner Stadtschloss“ besticht. Kosten soll das | |
| möblierte Appartement mit zwei Eingängen (wegen Diskretion) 28.000 Euro im | |
| Monat. | |
| Klar, dass es da stören würde, wenn Berliner*innen oder | |
| Tourist*innen zu nah am diskreten Nebeneingang vorbeiflanieren dürften. | |
| Die Türen in den Zaunelementen, die mitten in Mitte die Häuser abschirmen | |
| sollen, sind daher auch abgeschlossen. Entgegen vorheriger Absprachen mit | |
| den Investor*innen, die eigentlich freien Durchgang zugesichert hatten. Der | |
| Zaun wird hier eine in die Stadt gestellte Normativität des Faktischen. | |
| (usch) | |
| ## Wem gehört das Ufer? | |
| Der Plötzensee in Wedding ist ein beliebter Badesee. Umgeben von dicht | |
| besiedelten Quartieren im Norden Berlins, bietet das Eiszeitgewässer | |
| unkomplizierte Erfrischung für die Anwohnenden. | |
| Problematisch ist nur, dass das Baden im Plötzensee außerhalb des Freibads | |
| verboten ist. Das Gewässer ist Teil eines Landschaftsschutzgebiets. Als die | |
| Beliebtheit der „Plötze“ in der Pandemie alle Rekorde brach, verschärften | |
| sich auch die Probleme: Wildbader:innen verdichteten den Boden und | |
| verhinderten das Nachwachsen von Schilf, beides fördert die Erosion. | |
| Außerdem stören sie Wasservögel, die am Ufer nisten. | |
| Das Bezirksamt Mitte reagierte, indem es – Überraschung! – einen höheren | |
| Zaun baute. 1,40 Meter statt der bisher kniehohen Barriere sollte nun | |
| Wildbader:innen abhalten. Doch die renitenten, aber sportlichen | |
| Weddinger:innen ließen sich von einer Metallkonstruktion nicht | |
| abhalten; es wurde einfach höher geklettert. Da viele Anwohnende den Zaun | |
| als Verschwörung des Freidbadbesitzers interpretierten, setzte der Bezirk | |
| auf Aufklärung. Parkläufer:innen ermahnten die illegalen Badegäste und | |
| erzählten ihnen etwas über brütende Schwäne. | |
| Im vergangenen Jahr startete der Bezirk dann die Kampagne [3][„Hai-Alarm am | |
| Plötzensee“]: Der Zaun wurde mit großformatigen „Vorsicht Haie!“-Plakat… | |
| zugedeckt, auf denen dann im Kleingedruckten auf die ökologischen Schäden | |
| durch das Wildbaden hingewiesen wurde. | |
| Die Kampagne war witzig, aber von zweifelhafter Effektivität. Es wurde | |
| weiter gesprungen und gebadet. Logisch, dass der Bezirk nun auf sein | |
| schärfstes Schwert setzt: Ordnungsamtsbeamt:innen patrouillieren um | |
| den Plötzensee und verteilen Strafzettel in Höhe von 50 Euro. Ein Zaun ist | |
| eben nur so viel Wert, wie die Kontrolettis, die ihn überwachen. (wah) | |
| 18 Jul 2024 | |
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