| # taz.de -- Berliner Schlossdebatte: Es ist ein Kreuz mit dieser Kuppel | |
| > Noch in dieser Woche erhält das Humboldt Forum in der Berliner | |
| > Schlossattrappe sein umstrittenes Kuppelkreuz. Es darf wieder gestritten | |
| > werden! | |
| Bild: Berliner, schaut auf diese Kuppel. Bald bekommt sie ihr Kreuz | |
| Am Freitag wird es aufgestellt. Wenn die Windverhältnisse stimmen. Berlin | |
| hat sich lang nicht mehr um das [1][Humboldt Forum] in der fast fertigen | |
| Schlossattrappe gezankt, das trotz Corona noch in diesem Jahr peu à peu | |
| eröffnen soll. Wenn es aber seine umstrittene Kuppellaterne inklusive Kreuz | |
| bekommt, können die Windverhältnisse noch so günstig sein. Der Gegenwind | |
| aus der Berliner Stadtgesellschaft ist dem Humboldt Forum sicher – auch, | |
| wenn die Argumente seit langer Zeit ausgetauscht sind. | |
| Viele BerlinerInnen, die ab Freitag das Schloss passieren, werden erstaunt | |
| sein, wie riesig dieses Kreuz auf einer der ohnehin größten und höchsten | |
| Kuppeln in Berlins historischer Mitte am Ende wirken wird. Zur Erinnerung: | |
| Insgesamt ist die so genannte Kuppellaterne zwölf Meter groß. Auf einer | |
| Balustrade stehen acht drei Meter große Cherubim, die eine Zenitkuppel | |
| tragen. Erst auf diese ist das insgesamt knapp fünf Meter hohe Kreuz | |
| inklusive Reichsapfel befestigt. Bei der originalgetreuen Rekonstruktion | |
| sind keine monarchischen Symbole wie Adler, Wappen und Kronen ausgelassen. | |
| Auch das umlaufende Schriftband am Fuß der Kuppel durfte nicht fehlen. Auf | |
| diesem steht: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den | |
| Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass | |
| in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und | |
| auf Erden und unter der Erde sind.“ | |
| Die Kuppel gehört zu den letzten baulichen Veränderungen, die Kaiser | |
| Wilhelm Mitte des 19. Jahrhunderts am Schloss durchführen ließ. Das | |
| Schriftband, dessen Text fast noch ein größerer Skandal ist als das Kreuz | |
| selbst, war damals auch eine Reaktion der preußischen Machthaber auf die | |
| Revolution in Berlin 1848. | |
| ## Ein Grundwiderspruch, der nicht zu lösen ist | |
| Als 2003 der Beschluss des Bundestages kam, das Schloss wiederaufzubauen, | |
| wurde die Rekonstruktion der Kuppel zunächst ausgeschlossen. Im | |
| Ausschreibungstext des Architekturwettbewerbs 2008 taucht die Kuppel dann | |
| wieder auf. Der prämierte Entwurf Franco Stellas sah sowohl Kuppel als auch | |
| Kreuz vor. In einem selbstkritischen Online-Dossier des Humboldt Forums zum | |
| Kuppelkreuz, das sich seit Montag jeder im Internet ansehen kann, sagt der | |
| Architekt: „Ohne Kreuz hätte die Kuppel uns über seine Geschichte sogar | |
| Falsches erzählt.“ | |
| Was Stella weniger auf dem Schirm zu haben scheint: Das Humboldt Forum ist | |
| seit Jahren eine der Institutionen in dieser Stadt, die – um es | |
| euphemistisch auszudrücken – kritischer beäugt wird als jede andere. Schon | |
| lang weisen kritische Stimmen mit penetranter Hartnäckigkeit darauf hin, | |
| dass das Humboldt Forum den Grundwiderspruch, auf dem es baut, nie wird | |
| lösen können. Denn vor einem Vierteljahrhundert wusste noch niemand, warum | |
| Berlin dieses Schloss braucht und womit man es füllen könnte. Trotzdem | |
| begann der Landmaschinenhersteller aus Schleswig-Holstein, Wilhelm von | |
| Boddien, rund ums heutige Schloss eine erste Schlossattrappe aus gelben | |
| Plastikplanen zu bauen und plötzlich wider Erwarten einen Teil der | |
| Stadtgesellschaft und der Politik zu gewinnen. | |
| Boddien hat seinen persönlichen Kalten Krieg entschieden: Die angebliche | |
| Wiedergutmachung des Abrisses der Schlossruinen im Jahr 1950 durch die | |
| SED-Diktatur und die Zerstörung jeglicher Erinnerung an die DDR an diesem | |
| Ort durch den Abriss des Palastes der Republik 2006 bis 2008. Erst sehr | |
| viel später, nämlich im Jahr 2002, fiel eine Entscheidung, die mit Boddien | |
| herzlich wenig zu tun hatte: dass im Schloss vor allem die | |
| außereuropäischen Sammlungen vom Museum für Asiatische Kunst und | |
| Ethnologischem Museum gezeigt werden sollen. Vielen BerlinerInnen erscheint | |
| diese bis heute völlig absurd: koloniale Raubkunst hinter preußischen | |
| Fassaden? Ein Kreuz auf einem Haus, das für Weltoffenheit stehen soll? Wie | |
| soll das zusammengehen? | |
| ## Das Humboldt Forum hat profitiert | |
| An dieser Frage reibt sich das Humboldt Forum nun seit über zehn Jahren. | |
| Und je mehr Kritik an ihm laut wurde – von mangelnder Reflexion der | |
| deutschen Kolonialgeschichte bis hin zu fehlender Provenienzforschung –, | |
| desto interessanter wurden auch die Veranstaltungen und Ausstellungen, die | |
| schon vor Fertigstellung der Ausstellungsräume aus dem Haus kamen. Ein | |
| Vorgeschmack auf die [2][Präsentation der Lautarchive] im Humboldt Forum | |
| zeigte etwa einen stillen Ausstellungsraum für die Zeremoniallieder der | |
| Navajo, die nach wie vor nicht gehört werden dürfen. Teile der | |
| Herkunftsgemeinschaften sehen die Lieder als konkrete Manifestationen | |
| höherer Mächte, die Außenstehenden gefährlich werden können. Auch ein | |
| Werkstattgespräch zur Ausstellung von [3][60 Objekten der Omaha] zeigte: | |
| Das Humboldt Forum ist in den postkolonialen Diskurs eingetreten und mit | |
| Experten aus den Herkunftsländern seiner Sammlungen ins Gespräch gekommen. | |
| Es ist also nicht verwunderlich, dass der Generalintendant des Humboldt | |
| Forums, Hartmut Dorgerloh, sich gut an die „leidenschaftliche Diskussion“ | |
| erinnert, die schon einmal ums Kuppelkreuz auf dem Schloss geführt wurde, | |
| nachdem sich sein Haus 2017 in einer Pressemitteilung für die Einzelspende | |
| bedankte, die das Kreuz möglich machte. Heute wie damals stehe das Humboldt | |
| Forum diesem Kreuz sehr kritisch gegenüber, so Dorgerloh. Er sieht es nun | |
| als primäre Aufgabe des Humboldt Forums, für „Transparenz, | |
| Kontextualisierung und Vermittlung“ zu sorgen. | |
| Die Aufregung um das Schloss wird noch einmal sehr laut werden in diesen | |
| Tagen – und das ist so nachvollziehbar wie erfrischend. Immer wieder wird | |
| zu Recht das Argument laut werden, dass zusätzlich zu den von Boddien | |
| eingesammelten Spendengeldern das Schloss aus Steuergeldern finanziert wird | |
| – 31 Millionen Euro vom Land Berlin, schlappe 483 Millionen Euro vom Bund. | |
| Wie Kultursenator Klaus Lederer (Linke) werden viele sagen, dass das Kreuz | |
| „nahezu alles konterkariert, was das Humboldt Forum will“. | |
| Und trotzdem: Es ist doch erstaunlich, wie ausdauernd die Architektur eines | |
| alten Gebäudes als produktive Reibungsfläche zu dienen in der Lage ist. Man | |
| könnte sich auch einfach darüber freuen, wie sich die Berliner | |
| Stadtgesellschaft noch immer darüber aufregen kann. Wer weiß, was aus dem | |
| Humboldt Forum geworden wäre, wenn es nicht ins Schloss gezogen wäre, | |
| sondern in einen modernen und neutralen Bau. | |
| 28 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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