# taz.de -- Staatsbibliothek Berlin: Ganz ohne Dichter und Denker | |
> Der Lesesaal in der sanierten Stabi Unter den Linden soll an alte Größe | |
> anknüpfen. Doch wo einst Gelehrtenbüsten standen, herrscht heute | |
> Funktionalität. | |
Bild: Statt Kuppel hat der neue Stabi-Lesesaal eine Glasdecke | |
BERLIN taz | Eigentlich sollte am Montagmorgen eine frisch sanierte | |
Staatsbibliothek Unter den Linden ihren Betrieb aufnehmen – eigentlich. | |
Doch in Zeiten der Pandemie bleibt der Prachtbau des kaiserlichen | |
Hofarchitekten Ernst von Ihne (1848–1917) für den Publikumsverkehr vorerst | |
geschlossen. Das verhindert aber nicht, dass die Stiftung Preußischer | |
Kulturbesitz und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) am Mittag | |
einen [1][Festakt] abhalten – zu dem allerdings keine Feiergäste geladen | |
sind. Wolfgang Schäuble spricht für ein virtuelles Publikum im Internet. | |
Der Bundestagspräsident als Vertreter des Volkes nimmt symbolisch den | |
neu-alten Repräsentationsbau entgegen. | |
Anderthalb Jahrzehnte – von 2005 bis 2019 – hat die [2][Sanierung] | |
gedauert, wegen unvorhergesehenen Schwierigkeiten länger als gedacht. Nach | |
einem Dreivierteljahrhundert sind nun auch letzte Kriegsschäden beseitigt, | |
neue Sanitär‑ und Klimatechnik eingebaut und eine Buch-transportanlage | |
installiert worden. Und obwohl das Haus Unter den Linden der | |
Staatbibliothek nur für die Literatur bis etwa 1900 zuständig ist (die | |
moderne Literatur befindet sich im Haus an der Potsdamer Straße), muss es | |
heutzutage natürlich andere Arbeitsbedingungen vorhalten als 1914 – von den | |
Toiletten bis zum Internetanschluss. | |
Ernst von Ihne hatte seinerzeit mit der Staatsbibliothek einen Kult des | |
Wissen inszeniert. Das Gebäude ist also kein bloßer Zweckbau. Für Ihne ging | |
es sowohl um die Verherrlichung von Bildung als auch um die Repräsentation | |
kaiserlicher Größe. An Form und Schmuck kann man das Bildungsprogramm bis | |
heute ablesen. Überall – von der Fassade bis zu den Büsten großer Denker | |
auf den Regalen – hausen Geistesgrößen und mythologische Gestalten. Doch | |
heute erschließt sich das einstige Universum der Bildung kaum noch. | |
## Mehr Nutzfläche als das Humboldt-Forum | |
Das ehemalige kuppelbekrönte Prunkstück des Baus, der im Krieg zerstörte | |
und zu DDR-Zeiten beseitigte Hauptlesesaal, ist durch einen modernen Neubau | |
ersetzt worden. [3][Schlüsselübergabe dieses Lesesaals] war bereits Ende | |
2012. Die Pläne lieferte das Büro von HG Merz. Hans-Günter Merz oblag im | |
Übrigen die künstlerische Leitung der gesamten Renovierung inklusive der | |
sechs neu gestalteten Sonderlesesäle für Handschriften und Nachlässe, | |
historische Drucke, Musikalien, Karten, Kinder-und Jugendliteratur, | |
Zeitungen. | |
470 Millionen Euro hat die Restaurierung gekostet. Das ist vergleichsweise | |
wenig, wenn man bedenkt, dass das 170 Meter lange und 107 breite Gebäude | |
mehr Nutzfläche aufweist als das Humboldt Forum. Allerdings verbergen sich | |
hinter den drei Kolossalgeschossen der Straßenfassaden auch 13 Etagen vom | |
Keller bis unters Dach. | |
In den Lesesaal hinauf steigt man vom Eingang Unter den Linden über die | |
Freitreppe des historischen Vestibüls auf das ehemalige Lesesaalniveau, von | |
wo aus jetzt erneut eine holzverkleidete Treppe in den um eine Etage | |
erhöhten neuen Lesesaal führt. Dieser allegorische Aufstieg zum Licht und | |
Wissen endet allerdings im Unbestimmten. Das Lichtgeviert bleibt diffus, | |
flächig und aussichtslos, es hebt nichts hervor, es taucht alles in eine | |
schattenlose Egalität: Das Licht des Wissens hat keinen Inhalt mehr, es | |
gibt sich neutral und beansprucht nur (vermeintliche) Funktionalität. | |
## Die Epochen beißen sich | |
Genau das aber, die Implementierung des Neuen in eine alte Umgebung mit | |
historischer Ästhetik, ist wohl die eigentliche Krux mit dieser Sanierung. | |
Denn auch wenn HG Merz den Weg zum Wissen wie einen Aufstieg zum Licht | |
reinszeniert, ist Merz’ neuer Lesesaal im Unterschied zum alten kein | |
pseudosakrales Pantheon großer Geister, sondern eine mit Bücherregalen | |
ausgekleidete Kiste mit diffus-gläsernem Deckel. Die Glaskonstruktion ist | |
von innen kaum erkennbar, da sie hinter Stoffen ausgeblendet wird. | |
Diese Lichtregie (Konzept Kress & Adams, Köln) regiert das gesamte Gebäude, | |
das nun als Dienstleistungsapparat fungieren soll. Was heute wie das | |
Hygienekonzept eines Krankenhauses aussieht, war ja bei Ihne noch bunt | |
verziert und schummerig beleuchtet gewesen. Der von HG Merz behauptete | |
Respekt vor dem historischen Überkommenen wird durch die neue Ästhetik so | |
in Wirklichkeit konterkariert: Der Altbau präsentiert sich wie die Leiche | |
in einer Pathologie – fahl und tot. | |
Im Grunde besteht das Problem darin, dass sich hier zwei Epochen | |
miteinander arrangieren sollen, die nicht zueinander passen. Ästhetisch | |
beißt sich etwas. Das Neue will auf Erhabenheit nicht verzichten, hat aber | |
dafür keine Inhalte mehr, das Alte mit seiner Verherrlichung festgefügter | |
Ordnungen und unverbrüchlichen Traditionen wirkt hohl und überlebt. Wie | |
schon beim Reichstag oder beim Humboldt Forum scheint dieser Zwiespalt | |
zwischen Alt und Neu aber offenbar das Signum unserer Zeit – und vielleicht | |
sogar das einer zerrissenen Gesellschaft. | |
24 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://staatsbibliothek-berlin.de/de/aktuelles/benutzung-aktuell/aenderung… | |
[2] /Sanierung-der-Staatsbibliothek/!5635286 | |
[3] /Berliner-Staatsbibliothek/!5070754 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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