Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Staatsbibliothek: Zu viel Orange
> Nach fast 70 Jahren ohne einen zentralen Lesesaal beherbergt die
> Staatsbibliothek Unter den Linden wieder eine „Kathedrale des Wissens“.
Bild: Am 19.03.2013 wurde in Berlin der Lesesaal der Staatsbibliothek Unter den…
Verschobene Eröffnungstermine haben in Berlin ja schon Tradition. Auch der
Neubau des Lesesaals der Staatsbibliothek Unter den Linden dauerte deutlich
länger als geplant. Eigentlich sollte der Saal, der das wichtigste
Etappenziel bei der Generalsanierung der alten „Stabi“ darstellt, schon
2011 eröffnet werden. Doch dann wurde der Termin durch Probleme beim Bau
verzögert. Jetzt aber ist er endlich fertig, und so hat das Gebäudeensemble
erstmals wieder einen Mittelpunkt, nachdem der alte, von einer Kuppel
gekrönte Lesesaal 1944 bei einem Bombenangriff zerstört worden war.
Der Weg in diese „Kathedrale des Wissens“, wie Hermann Parzinger, Präsident
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, den Saal nennt, führt vom
Haupteingang an der Dorotheenstraße zunächst durch einen seltsam
limonengrünen Eingangsbereich: eine Farbe, die unfreiwillig an öffentliche
Sanitäranlagen denken lässt. Dann geht es über eine elegant freischwebende
Treppe in den zentralen Lesesaal. Sofort fällt die Zweiteilung des
rechteckigen Raums ins Auge: Während die untere Hälfte von holzverkleideten
Bücherwänden umgeben ist, bilden milchige Glaswände den oberen Teil und die
Decke, durch die gedämpft das Winterlicht hereinfällt.
## Transluzenter Kubus
Durch diesen Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros HG Merz, das auch mit
der Sanierung der nahen Staatsoper beauftragt ist, sollen zwei Aufgaben
erfüllt werden: Wer unten an einem der Leseplätze sitzt, kann einerseits
das Gefühl haben, in einer gediegenen, abgeschirmten Atmosphäre zu
arbeiten, eingerahmt von Büchern. Geht der Blick jedoch vom Buch oder
Laptop nach oben, verschwindet die Gediegenheit im „transluzenten“, nach
oben hin offen wirkenden Glaskubus. So beschreibt es der Entwurf. Im
Idealfall wollen die Architekten so beides ermöglichen: konzentriertes
Arbeiten – und einen Blick in die Höhe und Weite, um die eigene Perspektive
zu öffnen.
In der Wirklichkeit funktioniert diese schöne Idee nicht ganz so gut, und
das hat mehrere Gründe. Vermutlich um dem kühlen Glaskubus etwas
entgegenzusetzen, ist der untere Bereich des Lesesaals in verschiedenen
Orangetönen gehalten. Das lässt den Raum zwar warm erscheinen, und
angeblich soll Orange sogar die Konzentration fördern. Aber der sehr
intensive Farbton des Teppichs wirkt auf Dauer eher anstrengend als
anregend. Zu diesem unbehaglichen Gefühl trägt auch der strenge Schnitt des
Raumes mit zwei umlaufenden Galerien bei: Wer im Zentrum des Saals sitzt,
kann sich leicht beobachtet fühlen – und die Linsen der zahlreichen in die
Wände eingelassenen Kameras tun ein Übriges. Ganz anders also als im
Lesesaal des zweiten Stabi-Hauses an der Potsdamer Straße, der sich auf
mehreren Ebenen eher geschwungen-verwinkelt präsentiert und viel
Sichtschutz bietet.
Wenn aber der Besucher, ermattet von der Lektüre, dem omnipräsenten Orange
und den vielen Blicken, seine Augen in den milchigen Weiten der Glasdecke
entspannen will, kommt er auch nicht zur Ruhe. Denn dort hängt ein alles
andere als beruhigendes Kunstwerk: die Skulptur „Ohne Fragen“ des Künstlers
Olaf Metzel. Das Werk besteht aus dünnen Aluminiumplatten, die wie einzelne
Buch- und Zeitschriftenseiten bedruckt sind und gemeinsam ein riesiges
Knäuel aus zerknülltem Papier bilden. Was könnte symbolischer sein für die
Vergänglichkeit des gedruckten Worts, aber auch für das entmutigende
Gefühl, die eigene Arbeit eigne sich immer und immer wieder nur für den
Papierkorb? Das ist einerseits hübsch ironisch für eine Bibliothek und
steht in einem schönem Kontrast zur klaren Strenge des Raumes. Aber
irgendwie ist es auch ein wuchtiges Damoklesschwert, das über den Köpfen
der eifrig Lesenden und Schreibenden schwebt.
Wer Ruhe sucht, kann sie im neuen Saal trotzdem finden: Von den Galerien
aus gelangt man in einen Außengang, an den weitere Leseplätze angrenzen.
Hier sitzt man eher für sich, kann aus dem Fenster schauen und bekommt eine
Pause von Orange. Und wer auf der Suche nach Erhabenheit ist, kann eine der
abschließbaren Glaskabinen mieten, die noch oberhalb der Galerien in die
Glaswände eingelassen sind: Hier thront man hoch über Büchern und Menschen.
Auf dem Weg nach draußen bekommt die Besucherin dann noch eine Lektion, wie
Architektur durch ihre BenutzerInnen verändert wird – oder zumindest
verändert werden könnte: Die hellgrüne Umgebung, sagt eine Garderobenfrau
zu anderen, gehe ihr „ziemlich uff’n Zeiger“. Ihre Lösung: „Ick hab sc…
jesacht, da müssen wa einfach ma überall Gänseblümchen druffmalen. Denn
passt det wieda.“
23 Mar 2013
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Humboldt Forum
## ARTIKEL ZUM THEMA
Staatsbibliothek Berlin: Ganz ohne Dichter und Denker
Der Lesesaal in der sanierten Stabi Unter den Linden soll an alte Größe
anknüpfen. Doch wo einst Gelehrtenbüsten standen, herrscht heute
Funktionalität.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.