# taz.de -- 250 Jahre Alexander von Humboldt: Ein widerwilliger Berliner | |
> Er hat Berlin gehasst und dennoch viel gegeben: Alexander von Humboldt. | |
> Zum 250. Geburtstag wird der Universalgelehrte geehrt. | |
Bild: Staue Alexander von Humboldts vor der Humboldt Universität Berlin | |
Es gab eigentlich nichts, was den Naturforscher, den Weltvermesser, ja das | |
Universalgenie Alexander von Humboldt kalt ließ – mit einer Ausnahme. Er | |
scherte sich herzlich wenig ums Geld. Und nur dieser sympathischen | |
Indifferenz war es geschuldet, dass er in seine Heimatstadt Berlin | |
zurückkehrte, die er fürs Studium als Achtzehnjähriger im Jahr 1787 | |
verlassen hatte. | |
Zum ersten Mal kam er im Jahr 1805 zurück, floh aber zwei Jahre später | |
wieder in seine Wahlheimat Paris. Erst 20 Jahre später gelang es König | |
Friedrich Wilhelm III., Humboldt endgültig zurück nach Berlin zu zwingen, | |
indem er indirekt mit der Streichung seiner jährlichen Pension von 2.500 | |
Talern drohte – eine beträchtliche Summe in einer Zeit, als Zimmerleute und | |
Tischler keine 200 Taler im Jahr verdienten. | |
Humboldts Biografin Andrea Wulf hat plastisch herausgearbeitet, wie | |
lebensnotwendig diese Summe für Humboldt war. Sein Erbe hatte er zu einem | |
Drittel mit seiner berühmten, fünfjährigen Forschungsreise nach Südamerika | |
verbrannt, den Rest gab er für sein umfängliches Reisewerk aus. | |
Alexander von Humboldt hat Berlin zeitlebens gehasst. Aufgewachsen ist er | |
vor allem im Schloss Tegel, wo die wohlhabende Familie im Sommer residierte | |
und das übrigens bis heute bewohnt wird von den Nachfahren Wilhelm von | |
Humboldts, des weit weniger berühmten Bruder Alexanders. Im diesem Hause | |
sei er 18 Jahre lang „gemisshandelt und in seiner Sandnatur eingezwängt | |
worden“, schrieb Alexander von Humboldt rückblickend. | |
## Die Macht des Lernens | |
Als er zum ersten Mal nach Berlin zurück musste, erschienen ihm die Stadt | |
und ihre flache Umgebung platt und eintönig, er wurde sofort krank und | |
wollte so schnell wie möglich wieder weg. | |
Erst nach seiner endgültigen Rückkehr 1827 – Humboldt ging bereits auf die | |
sechzig zu – wurde Berlin, wenn auch nur aus der Not heraus, zu einem | |
fruchtbaren Ort für ihn. Er beschloss, dass die Stadt „eine erste | |
Sternwarte, eine erste chemische Anstalt, den ersten botanischen Garten und | |
die erste Schule für transzendente Mathematik“ bekommen solle. Vor allem | |
aber stand er im November 1827 zum ersten Mal im größten Vortragssaal der | |
Berliner Universität Unter den Linden. Anders als damals üblich verlangte | |
er kein Eintrittsgeld und als er seine Vorlesung wegen Überfüllung in ein | |
„geräumigeres Lokal“ verlegen musste, zahlte er dafür sogar die Miete und | |
die Heizkosten. | |
Alexander von Humboldt glaubte an die Macht des Lernens, er wollte sein | |
Wissen streuen, schrieb auch für eine breite Leserschaft außerhalb des | |
Wissenschaftsbetriebs. Seine lebendigen Vorträge hielt der gut aussehende | |
Mann mit der sanften Stimme, der höchstwahrscheinlich schwul war, frei und | |
ohne Notizen. | |
Sie waren nicht nur gut besucht, sondern auch von Zuhörern aus den | |
unterschiedlichsten Schichten, von Angehörigen der königlichen Familie bis | |
hin zu Handwerkern. Humboldt wurde in Berlin zu einer Art | |
Wissenschafts-Popstar. Und: Die Hälfte der Zuhörer, auch das beschreibt | |
Wulf anschaulich, waren Frauen – die erst knapp 60 Jahre später an | |
preußischen Universitäten offiziell als Gasthörerinnen zugelassen wurden. | |
## Seiner Zeit voraus | |
Wulf zeigt, dass die Vorlesungen Humboldts wie Collagen funktionierten, in | |
denen er damals revolutionäre Querverbindungen zwischen allen möglichen | |
Tatsachen und Disziplinen zog. Erst nach seiner zweiten großen | |
Forschungsreise, die ihn nach Zentralasien führte, entwickelte er auf | |
Grundlage seiner Vorträge eine Idee: „Ich habe den tollen Einfall, die | |
ganze materielle Welt in einem Werke darzustellen“. Er begann an der Arbeit | |
zu seinem einflussreichsten Buch, dem Werk seines Lebens, wie er es selbst | |
bezeichnete: dem Bestseller „Kosmos, Versuch einer physischen | |
Weltbeschreibung“, in dem er wie in keinem anderen Buch zeigt, dass alles | |
Wechselwirkung ist. | |
Wer weiß, ob er das geschafft hätte, wenn er nicht verdonnert worden wäre, | |
in Berlin zu lehren. | |
Alexander von Humboldt war seiner Zeit weit voraus, indem er so freizügig | |
alle Welt an seinem Wissen teilhaben ließ. Er gilt als Vordenker der | |
Umweltbewegung, als Erster, der ganzheitlich dachte, indem er etwa einen | |
Begriff der vom Menschen verursachten Klimaveränderungen entwickelte. | |
Außerdem war er ein entschiedener Gegner der Sklaverei und des | |
Kolonialismus, woraus er nicht einmal dem amerikanischen Präsidenten | |
gegenüber einen Hehl machte, der Sklavenhalter war. In Lateinamerika ist | |
Humboldts Name bis heute bekannter als in großen Teilen Europas, seine | |
Ideen haben nicht nur den südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer Simón | |
Bolívar inspiriert, sondern trugen nachweislich zur Befreiung der | |
spanischen Kolonien bei. | |
Es könnte keinen besseren Namensgeber für das Projekt Humboldt Forum geben, | |
das im Humboldtjahr eröffnet und dessen oberstes Ziel es erklärtermaßen | |
ist, so niedrigschwellig wie möglich Deutschlands Verhältnis zu seiner | |
Kolonialgeschichte zu diskutieren. Nirgendwo sonst sollte der 250. | |
Geburtstag dieses Mannes lauter gefeiert werden. | |
Mehr zu Alexander von Humboldt und dem Humboldt-Jahr in der gedruckten | |
taz.berlin an diesem Wochenende. | |
4 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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