| # taz.de -- Berliner Kunstgewerbemuseum: Die Schatzinsel am Kulturforum | |
| > „Atmoism – gestaltete Atmosphären“ ist eine außergewöhnliche Ausstel… | |
| > Sie widmet sich dem Designer Hermann August Weizenegger. | |
| Bild: Ausstellungsansicht mit Urne: Atmoism von Hermann August Weizenegger | |
| Es passt zu unserer absurden Zeit, dass man eine der außergewöhnlichsten | |
| Ausstellungen in Berlin derzeit nicht anschauen kann: „Atmoism – gestaltete | |
| Atmosphären“ von Hermann August Weizenegger. Das Kunstgewerbemuseum am | |
| Kulturforum hat dem Designer eine große Einzelausstellung gewidmet, der | |
| diese Gelegenheit für verschiedenartigste Experimente nutzt – es ist ein | |
| überwältigender Eindruck. | |
| Wer erleben möchte, was progressives Design ist, wird sich diese | |
| Ausstellung nicht entgehen lassen. Weizenegger verbindet auf großartige | |
| Weise Gestaltung, traditionelles Handwerk und Hightech-Verfahren. Bei aller | |
| Innovation steht er auch ganz in der Tradition dieses Kunstgewerbemuseums. | |
| Am Berliner Kulturforum nämlich liegt ein Schatz verborgen, an dem Piraten | |
| ihre Freude gehabt hätten: Goldobjekte, Silbergefäße und kostbares | |
| Geschmeide, das legendäre Lüneburger Ratssilber, Tapisserien und feine | |
| Möbel, Porzellan und Glas, Kleider aus Spitze, Samt und Seide und eine | |
| bemerkenswerte Schuhsammlung finden sich hinter den unscheinbaren | |
| Betonmauern des Museums. | |
| Es handelt sich um eine der weltbesten Sammlungen, die die Entwicklung des | |
| Kunsthandwerks vom Mittelalter bis zur Gegenwart vereint und zugleich | |
| deutsche und internationale Produktionsgeschichte dokumentiert. | |
| ## Die Idee des Kunstgewerbemuseums | |
| Das Konzept der Kunstgewerbemuseen entwickelte sich im Rahmen der | |
| Weltausstellungen ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europas | |
| Hauptstädten und war dazu gedacht, Kunst und Handwerk, aber auch das | |
| neueste Industriedesign auszustellen und zu promoten. 1881 erhielt auch | |
| Berlin ein eigens dafür gestaltetes Gebäude, den heute nach dem Architekten | |
| benannten Martin-Gropius-Bau (Großonkel von Walter Gropius). | |
| Wie üblich bei Museumsbauten im 19. Jahrhundert bildeten Architektur und | |
| überwucherndes Baudekor samt Bildprogramm ein Gesamtkunstwerk, in der die | |
| Sammlung und ihre Objekte in der Masse des Dekors zu verschwinden drohten. | |
| [1][Der heutige, moderne Neubau am Kulturforum] funktioniert ganz anders | |
| und ist vom Architekten Rolf Gutbrod bewusst autark und zurückhaltend | |
| konzipiert, um alle Konzentration auf Inhalte und Kunstgegenstände zu | |
| lenken. Der bereits 1967 geplante Neubau im brutalistischen Stil wurde erst | |
| 1985 eingeweiht. Seine Sammlungen wurden nach der Wiedervereinigung mit der | |
| Ostberliner Sammlung im Köpenicker Schloss zusammengeführt. | |
| Gutbrod formulierte 1967 sehr bewusst ein neues, wegweisendes | |
| Museumskonzept, indem er das Depot in die Präsentation holte, wo er es | |
| hinter der funktionalen Ausstellungsarchitektur verdeckt unterbrachte. So | |
| konnten die Kunstgegenstände bei Bedarf in kürzester Zeit und ohne lange | |
| Wege aktiviert werden. | |
| ## Innen ein cooler Sichtbetonbau | |
| Außen unscheinbar, entstand innen ein cooler Bau aus Sichtbeton und Glas, | |
| grau und weiß, mit einer dominanten Steckhülsenarchitektur im Treppenhaus, | |
| eigenwilligen Verklammerungen von Fenstern und Wänden. Die Räume greifen | |
| ineinander, teils in der vertikalen, teils in der horizontalen Achse. | |
| Die ganze Struktur ist fließend, abwechslungsreich angelegt und präzise | |
| ausgeleuchtet: Die Designkuratorin Claudia Banz setzt den spröden Reiz des | |
| Gebäudes gezielt ein, um den Preziosen Raum und Aura zu geben, was ihre | |
| Einzigartigkeit und Bedeutung im minimalistischen Ambiente voll zum | |
| Ausdruck bringt. | |
| In dieses Universum der kostbaren Dinge bringt Weizenegger eine völlig neue | |
| Dimension von Design, die sich stark mit Wiederverwertung von Material und | |
| der Umwidmung von Dingen auseinandersetzt. Er interveniert gezielt in | |
| Sammlung und Architektur, initiiert über Gegenstände Dialoge und geht | |
| virulenten Fragen von Nutzen, Sinn und Unsinn von Design nach, alles sehr | |
| genau formuliert und doch wunderbar spielerisch. | |
| Weizenegger hat 24 autarke Inseln inszeniert, die er als „gestaltete | |
| Atmosphären“ bezeichnet und die wie Haltestellen im Museum funktionieren, | |
| die Besucher*innen von einem Ort zum nächsten geleiten. Durchgehendes | |
| Präsentationsprinzip sind die auf Pflöcken aufgebockten Emporen, die | |
| jeweils eine andere Gruppe von Dingen präsentieren, wobei jeweils genau | |
| Herstellungsart, Manufaktur oder Firma benannt sind. Weizenegger ist ein | |
| Organisationstalent, denn es handelt sich um Dutzende von Herstellern, mit | |
| denen er zusammengearbeitet hat, viele davon aus Berlin und Brandenburg. | |
| ## Das Loungesofa lädt zum Rumlümmeln ein | |
| Gleich im Eingangsbereich steht eine Insel mit Schminktisch, Schmuckdosen | |
| aus Porzellan von KPM, Tiegeln mit Farbpigmenten von Und Gretel – | |
| naturreine dekorative Kosmetik – und dem „Tube Mirror“, ausgeführt von d… | |
| Poschinger Glasmanufaktur, Frauenau. Dann geht es auf die Discoebene zu | |
| einer multimedialen, vom Musiktrack „The Sound of Atmoism“ von Sternum | |
| beschallten Installation. Das Loungesofa „Container“ aus dunklem, | |
| schalldichten Schaumstoff von „Eurofoam“ aus einem Stück geschnitzt, lädt | |
| dann zum bequemen Rumlümmeln ein. | |
| Beim Weitergehen bestaunt man Regale, Tische, Stühle oder eine Kaffeetasse | |
| mit kubischem Filter; dann Teppiche mit Mustern, die an verschalte | |
| Sichtbetonfassaden erinnern und sich auf Stoffen für Anzüge und anderen | |
| Gegenständen wiederfinden. Auch ein kuscheliger Sessel namens „Pow“ steht | |
| da, der wie ein Fabeltier im Comic aussieht und bunte, im 3D-Druck | |
| hergestellte Glasvasen. | |
| Mal sachlich streng, mal überraschend bunt sind manche Dinge philosophisch | |
| aufgeladen, andere einfach witzig und lustig und man freut sich über | |
| Weizeneggers Einfallsreichtum: Da hängt der glitzernde Kronleuchter | |
| „Sphere“ mundgeblasen aus Borosilikatglas als Hommage an die | |
| Christbaumschmucktradition im Glasbläserdorf Lauscha im Thüringer Wald; | |
| dann trifft man unvermittelt auf einen kafkaesken Raumteiler, eine vertikal | |
| geriffelte Tür, die aus einem Gerhard-Richter-Gemälde stammen könnte und | |
| etwas weiter auf Bodenvasen namens „Bit“, ausgeführt von Keramik | |
| Rheinsberg, die an vergrößerte Flötenmundstücke erinnern. | |
| Am Lift begegnet man einer symmetrischen Inszenierung mit mehreren dieser | |
| „Bit“-Vasen, in deren Zentrum auf einem grellroten Postament die Urne | |
| „Cocoon“ steht: auch mit dem Tod setzt sich Weizenegger konstruktiv | |
| auseinander. | |
| ## Das wiederkehrende Element X-Stuhl | |
| Ein wiederkehrendes Element ist der sogenannte X-Stuhl, der im ganzen Haus | |
| in verschiedenen Farben und Materialien auftaucht und in immer neue | |
| Kontexte gestellt wird; besonders beeindruckend und edel ist die | |
| Hochglanzpolierte Edelstahlvariante, von der man sich vorstellen könnte, | |
| dass sie Prinz Charles als Thron benutzt. | |
| Die Ausstellung zeigt das geistreiche Vergnügen, das es bedeutet, die | |
| Sammlungen immer wieder neu zu reflektieren. Man kann der Direktorin Sabine | |
| Thümmler und der Kuratorin Claudia Banz nur dazu gratulieren, dass sie sich | |
| auf das Abenteuer mit Hermann August Weizenegger eingelassen haben. | |
| 16 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Renata Stih | |
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