Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung am Berliner Kulturforum: Ein zeitgemäßes Leuchten
> „Spätgotik“ ist eine anmutige, in elegantes Blau getauchte Schau. Vier
> Berliner Häuser haben sie gemeinsam konzipiert.
Bild: Konrad Witz: Die Königin von Saba vor Salomo, 1435–1437
Nun ja, wie eine populäre Blockbuster-Ausstellung kündigt sich die
Ausstellung mit dem Titel „Spätgotik“ in der Berliner Gemäldegalerie
wirklich nicht an. Zunächst denkt man an dunkle hohe Kirchen,
höfisch-strenge Glaubensrituale und den mächtigen Klerus, mehr an Buße und
Sühne als an fröhliche Lebenszugewandtheit oder gar Profanes.
Doch der Eindruck täuscht. Die Spätgotik, die Epoche ab 1420/30 bis 1500,
ist eines der innovativsten Kapitel der Kunstgeschichte, wo Malerei,
Skulptur, Druck und Goldschmiedekunst zwischen formaler und inhaltlicher
Befreiung und Glaubensvorgaben balancieren. Und auch wenn ihr diese
Widersprüchlichkeit eingeschrieben bleibt, ist die Spätgotik in ihrem
starken Erneuerungswillen ein Wegweiser für die Renaissance.
Wer die außergewöhnliche Tafel „Der Liebeszauber“, um 1470 von einem Köl…
Meister gefertigt, entdeckt, sieht, wie der künstlerische Freiheitsdrang
sich neue Themen suchte: Liebespaare! Nahezu Instagram-tauglich posiert da
ein langhaariges blondes Mädchen wie ein GNTM-Sternchen mit
Knospenbrüstchen und in spitzen Schläppchen, ihre Nacktheit wird durch ein
transparentes Tuch noch unterstrichen.
Die zarte Lady gießt Zauberwasser über ein rotes Herz in einer Schatulle,
um die Funken gleichzeitig wieder zu löschen. Wird es für die Liebe
reichen? Für die Verführung allemal – der Jüngling lugt bereits durch den
Türrahmen im Hintergrund.
## Kunst für das das libidinöse Spiel in Schlafgemächern
Ein derart stimulierendes Bild wie „Liebeszauber“ hätte den Kirchenmännern
die Schamesröte ins Gesicht getrieben, doch so ein Werk entstand natürlich
nicht für die Betbank, sondern für die Schlafgemächer und das libidinöse
Spiel reicher Kauf- oder Adelsmänner. Ein Berliner Schatz – laut Kurator
Stephan Kemperdick das einzig erhaltene erotische Tafelbild aus der Zeit.
Angeregt durch niederländische Entwicklungen veränderten sich ab den
1420er-Jahren die bildnerischen Ausdrucksmittel: Licht und Schatten, Körper
und Raum samt Materialität führen zu zunehmend wirklichkeitsnaher
Gestaltung. Man muss die Augen zukneifen, um zu erkennen, dass die
schillernden Edelsteine auf dem Hut des Königs Salomon von Konrad Witz
nicht echte, auf das Bild gesetzte Diamanten sind, sondern tatsächlich
gemalt.
Auch Emotionalität wird – für damalige Verhältnisse – eine eigene
Bildqualität. Die Heilige Katharina (1450/1470) schaut so, als wolle sie
den Himmel verfluchen vor lauter irdischer Sorgen. Auf den Altarbildern der
„Karlsruher Passion“ (1450) zeigen die Folterer Jesu derbe, fratzenhafte
Gesichter, ihr Ausdruck wirkt so, als säßen Männer aus dem Volk am
Stammtisch zusammen. Sogar eine Fliege bekommt ihren Einsatz. Wo ist der
arme Gottessohn da nur hineingeraten?
Motive aus dem Alltag nehmen zu, auch die Porträtmalerei entwickelt sich –
deutlich ohne direkten religiösen Bezug. Das „Bildnis des Alexander
Mornauer“ (1470/80) verweist auf seine Amtsführung als Stadtschreiber und
gesellschaftliche Stellung. Erstaunlich, wie plastisch auch seine Hände
ausgearbeitet sind.
## Zu sehen in der Gemäldegalerie
Mit Erfindung der Drucktechnik und den beweglichen Lettern finden diese
Veränderungen eine massenhafte Verbreitung in ganz Europa. Künstler
erlangen überregionale Berühmtheit, signieren selbstbewusst ihre Werke, das
gab es vorher nur höchst selten.
Die Initiatoren des ersten Neuerungsschubs sind Hans Multscher in Ulm,
Stefan Lochner in Köln und Konrad Witz in Basel – alle drei sind durch
Hauptwerke in der Schau vertreten.
Das Schöne ist, dass sich für diese Schau mit Gemäldegalerie,
Kupferstichkabinett, [1][Kunstgewerbemuseum] und Skulpturensammlung vier
Berliner Häuser zusammengefunden haben, die ermöglichen, das 15.
Jahrhundert sowohl mit den verschiedenen Techniken als auch
gattungsübergreifend – mit Ausnahme der Architektur – aufzufächern
Das gab es noch nie in Berlin. Meist gestalteten sich Ausstellungen zum 15.
Jahrhundert rein regional, zum Thema Oberrhein bespielsweise, oder auf die
einzelnen Gattungen Skulptur, Malerei und Grafik bezogen.
## Gotik erfährt ein zeitgemäßes Leuchten
Hundertdreißig Werke werden in der Wandelhalle der Gemäldegalerie stimmig
präsentiert: Altarbilder, Gemälde, Kupferstiche, Buchdrucke, Skulpturen,
Teppiche und Goldschmiedekunst.
Die verschiedenen Zentren wie Basel, Nürnberg oder Köln beleuchten sich
dabei gegenseitig. Und das Kupferstichkabinett darf glänzen, beherbergt es
doch weltweit die größte Sammlung an Grafiken. Hans Multschers furioser
„Wurzacher Flügelaltar“ (1437) ist ohnehin eine „Hausmarke“, mit weit …
500 Jahren ist er so fragil, dass man ihn nur in der Hauptstadt sehen kann.
Es ist eine anmutige, in elegantes Blau getauchte, sehr gut konzipierte
Schau, die einmal mehr zeigt, was Berlin mit seinen bemerkenswert reichen
Sammlungen leisten kann, und wie mit ganz wunderbarer Lichtführung die
Gotik ein zeitgemäßes Leuchten erfährt, das sein Publikum gefangen nimmt.
7 Jun 2021
## LINKS
[1] /Berliner-Kunstgewerbemuseum/!5769153
## AUTOREN
Gabriela Walde
## TAGS
Kunst
Gemäldegalerie
Kulturforum
Berlin Kultur
Ausstellung
Malerei
Schwerpunkt Rassismus
Kommunikation
Design
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausstellung über Wettstreit in der Kunst: Die Gunst der Eris
Wer kann am besten täuschen? Eine Wiener Ausstellung zeigt, wie der
Wettstreit die Kunst der Antike und der Neuzeit antrieb.
Kunst über Schwarz-Weiß-Denken: „Diese Strategie hat Tradition“
Die Umpolung der gezeichneten Welt: Marc Brandenburg zeigt im Palais
Populaire in Berlin Werke, die sich mit Repräsentation auseinandersetzen.
Die Kunst des Bilderverschickens: Existenzbestätigung
Von der Postkarte zum Social-Media-Auftritt: Das Versenden und Teilen von
Fotos ist Thema der Ausstellung „Send me an image“ in der C/O Galerie in
Berlin.
Berliner Kunstgewerbemuseum: Die Schatzinsel am Kulturforum
„Atmoism – gestaltete Atmosphären“ ist eine außergewöhnliche Ausstellu…
Sie widmet sich dem Designer Hermann August Weizenegger.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.