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# taz.de -- Automesse IAA in München: Drinnen Kresse, draußen Protest
> Die IAA präsentiert sich als Mobilitäts-Zukunftslabor.
> Klimaschützer*innen wittern Greenwashing und gehen in München auf
> die Straße.
Bild: Eher nicht die Zielgruppe der IAA: Protestierende am Freitag in München
München taz | Grüner und pinker Rauch steigt aus einem Dachgeschossfenster
in der Münchner Innenstadt. Eine schwarz vermummte Person schaut heraus und
streckt eine Faust in die Luft. Aus einem anderen Fenster entrollt sich ein
langes, schwarzes Transparent. „Block IAA“ steht in weißen Buchstaben
darauf und auf einem weiteren: „Open Spaces for everyone“. Unten auf der
Straße klatscht und jubelt die Menge: Rund 500 Demonstrant*innen ziehen am
Freitag genau in diesem Moment an dem leer stehenden Haus vorbei, das die
Besetzer*innen offenbar in der Nacht in Beschlag genommen hatten.
[1][Später wird es jedoch von der Polizei geräumt, es kommt zu Festnahmen].
Klimaschützer*innen hatten bundesweit nach München mobilisiert, der
Protest gegen die internationale Autoausstellung IAA sollte ihr größtes und
radikalstes Protestevent in diesem Spätsommer werden. Seit der
[2][Besetzung des Dannenröder Forsts] hat das Thema Verkehr bei
Klimaschützer*innen Hochkonjunktur. Die Messe vom 7. bis 12.
September, bei der Spitzenpolitiker*innen gemeinsam mit den CEOs
großer Konzerne die Autorepublik Deutschland feiern, ist da ein perfektes
Ziel.
Dabei hat sich die IAA [3][in diesem Jahr stark verändert]: Sie will keine
reine Automesse mehr sein, sondern heißt jetzt „IAA Mobility“, der Fokus
liegt auf Elektromobilität. Auch gibt sich die Messe offen und dialogbereit
– in so genannten „Open Spaces“ präsentieren Mercedes, BMW und Co ihre
neusten Modelle in der Münchner Innenstadt, frei zugänglich für jede*n. Man
kann es aber auch so sehen: Die IAA beschränkt sich in diesem Jahr nicht
auf die Messehallen, sondern hat die halbe Stadt vereinnahmt. Die
Ausstellungsbereiche sind mit Gittern abgesperrt, Passant*innen müssen
Umwege in Kauf nehmen.
Den Klimaschützer*innen reicht die Neuausrichtung der Messe nicht,
„Autokonzerne entmachten“ ist ihr Motto. Sie fordern eine radikale Abkehr
von der auf das Auto zentrierten Verkehrspolitik. „Klimaschutz ist nur
gegen, nicht mit der Autoindustrie zu machen“, sagt Lou Winters, die
Sprecherin des Bündnisses „Sand im Getriebe“. Das neue Messekonzept ist in
ihren Augen [4][reines Greenwashing].
In der vorübergehenden Hausbesetzung sehen die Aktivist*innen eine
Rückeroberung des von der Messe vereinnahmten Raumes. „Wir haben einen
echten Open Space für alle eröffnet, im Gegensatz zur IAA“, sagt Lou
Schmitz, Sprecherin des Bündnisses „No Future for IAA“. Man werde nicht
zulassen, dass sich die Autobranche die ganze Stadt unterordne.
## Rekordgewinne dank SUVs
Einer Branche, der es ausgesprochen gut geht. Vom Coronakrisenjahr 2020
hat sie sich längst erholt, das Beratungsunternehmen Ernst & Young
errechnete in einer Studie, dass die 16 größten Autokonzerne der Welt in
der ersten Jahreshälfte 2021 zusammen Betriebsgewinne von 71,5 Milliarden
Euro einfuhren – so viel wie nie zuvor. Dabei liegen die Verkaufszahlen der
Pkw noch unter Vorkrisenniveau. Dass die Wirtschaft trotzdem brummt, liegt
laut Analyst*innen an den hohen Gewinnmargen, die vor allem beim Verkauf
von besonders großen und teuren Autos winken. Also am SUV-Trend.
Und der ist auf der IAA ziemlich präsent: IX3, Mustang Mach-E oder EQA
heißen die neusten Modelle. Sie fahren mit Strom, wiegen über zwei Tonnen
und kosten um die 70.000 Euro. Auf schwarzen Podesten stehen die schweren
Maschinen in den Hallen der IAA, in ihrem Lack spiegelt sich der ganze
Stolz der Autoindustrie. An den Wänden jagen rote und lilafarbene
Laserblitze über die Bildschirme, und in fast jeder Ecke steht irgendetwas
Besonderes: ein Stück seltenes Holz in einer Glasvitrine, eine Chilipflanze
in einem Topf, ein gläsernes Automodell oder eine plätschernde
Wasserinstallation. Die Türen der Autos sind offen, man kann sich
reinsetzen, die Garnituren befühlen, die Innenausstattung begutachten.
Viele Besucher*innen machen das auch, vor allem die Modelle von
Mercedes, BMW und VW sind heiß begehrt.
Christoph A. ist spät dran an diesem Donnerstag, um 18 Uhr schließt die
Messe, und auch in der letzten halben Stunde gibt es für den Automechaniker
aus Karlsruhe noch viel zu sehen. Der 22-Jährige mit schwarzem Cap und
schwarzem T-Shirt rennt fast über das Gelände, vorbei an den tiefergelegten
Sportwagen, durch die Nachhaltigkeitshalle, in der die meisten Flächen weiß
oder grün sind und überall Bambusbüsche herumstehen, hinüber zu den
dunkleren Farben und den großen E-Autos. Er ist mit Bus und Bahn angereist,
obwohl er ein Auto hat – einen BMW mit Verbrennermotor. „Ich möchte mir
anschauen, wie die Zukunft aussehen könnte“, sagt A., als er schon fast das
andere Ende der Messehallen erreicht hat.
Und die IAA ist gern bereit, ihm Antworten zu geben. Die elektrische
Zukunft, das intelligente und CO2-neutrale Fahren scheinen hier schon
längst Realität zu sein. Wer daran zweifelt, ist eingeladen, sich in ein
Flugtaxi zu setzen – okay, nur ein Prototyp und der bleibt am Boden – oder
sich in einem eiförmigen Mercedes ein Sensorenstirnband aufzusetzen und per
Signalreiz ein Auto auf einem Bildschirm durch eine futuristische
Märchenlandschaft zu steuern.
## Buzzwards und Bienenhonig
So penetrant wird die Erzählung von der nachhaltigen und intelligenten
Mobilität auf der Messe verbreitet, dass man schon ein wenig misstrauisch
werden kann. Buzzwords wie „Sustainability“, „Future“, „Together“ l…
das Publikum von den Ausstellungsflächen an, an den Ständen eines
Autoteile-Zulieferers werden Blumensamen, Kressesaat und Bienenhonig
verschenkt, Mercedes hat neben seinen neusten Elektro-SUVs
Plastiklautsprecher aufgestellt, aus denen Vogelgezwitscher tönt. „So
einfach geht die Verkehrswende wohl nicht, mit einem Pieps“, merkt eine
Frau in Leggings und neonpinkem Funktionsoberteil auf einer Außenfläche
spitz an.
Es ist außerdem auch nicht so, dass es keine klassischen Verbrennerautos
auf der Messe mehr gibt – man muss sie bloß etwas suchen. Wer die
Ausstellung durch den Osteingang betritt, muss erst durch zwei Hallen
voller Fahrräder, wer durch den anderen Eingang kommt, muss sogar das
komplette Programm an Nachhaltigkeit, Start-up und Podiumsdiskussionen zu
Technologien der Zukunft absolvieren. Oder sich auf der Überholspur daran
vorbeimogeln.
In Halle B4 finden Fans der klassischen Modelle dafür dann die „Tuner“, die
tiefergelegten Sportwagen. Eine Gruppe von vier jungen Erwachsenen geht an
einem roten Wagen mit 1.001 PS vorbei, bleibt kurz stehen. „Zu teuer“, sagt
einer von ihnen schließlich und drängt die anderen weiter.
Christoph A. würde sich wiederum kein Elektroauto kaufen – „zu
unausgereift“ sei die Technologie, zu viele Fragen offen, sagt er. So
argumentieren viele Besucher*innen der Messe, wenn man sie fragt. Die
Entsorgung der Lithiumbatterien ist ein ungelöstes Problem, denn die ist
teuer und der Rohstoff selten. Wie das mit dem Aufladen gehen soll, wenn
der Ausbau der Infrastruktur weiterhin so schleppend vorangeht, ist ein
weiteres Problem. Und rechnet man die Produktion und den Abbau von Lithium,
Nickel, Mangan oder Kobalt im Kongo, Chile oder China mit ein, ist die
Umweltbilanz von E-Autos auch nicht mehr so gut.
Christoph A. bezweifelt, ob sich Elektroantriebe angesichts dieser Fragen
auf Dauer überhaupt durchsetzen werden. Die Protestierenden in der
Münchener Innenstadt sind sich da sicherer: „Elektroautos sind kein Teil
der Lösung, sondern befeuern die Klimakrise nur mit einem anderen Antrieb.“
11 Sep 2021
## LINKS
[1] /Aktionen-gegen-Automesse-IAA/!5800060
[2] /Ausbau-der-Autobahn-49/!5730751
[3] /Automesse-in-Zeiten-von-Klimaschutz/!5795482
[4] /Greenwashing-auf-der-IAA/!5798788
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
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SUV
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