| # taz.de -- Auszeichnung in Leipzig für Karl Schlögel: Der Duft des Imperiums | |
| > Den langen Atem gesucht: Der Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse geht | |
| > an Karl Schlögels „Das sowjetische Jahrhundert“. | |
| Bild: Karl Schlögel wird mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategori… | |
| Große Bücher. Monumentale Werke. Die Liste der nominierten Sachbücher war | |
| so homogen, nicht bloß, was das Geschlecht der Autoren anbelangt, dass die | |
| Auswahl völlig uninspiriert wirkte. Gleich dreimal war der C.H.-Beck-Verlag | |
| mit Büchern vertreten. | |
| Na ja Gott, natürlich findet man da unbedingt preiswürdige Bücher, man | |
| findet sogar mehrere, wie gesagt, sogar drei, und vermutlich hätte die Jury | |
| noch drei weitere gefunden, aber vielleicht hat dann jemand gesagt, och nö, | |
| schauen wir doch noch mal bei Suhrkamp, und dort fand man dann wenigstens | |
| ein zeitdiagnostisches, viel gefeiertes, aber antimaterialistisches Buch | |
| des Soziologen Andreas Reckwitz. Gerd Koenen, Bernd Roeck, Karl Schlögel, | |
| Martin Geck – sie alle haben unbedingt preiswürdige Bücher vorgelegt. Aber | |
| finden sie einen Nachhall in aktuellen Debatten? | |
| Die Worte der Juryvorsitzenden Kristina Maidt-Zink ließen ahnen, dass die | |
| Jury bewusst das Große, vielleicht Bleibende sucht: „Entschleunigung“ und | |
| „unzeitgemäße Langsamkeit“, gar der „heroische Daseinskampf“ des aus | |
| unmittelbarer Verwertungslogik herausgelösten Autors setzten den | |
| begrifflichen Rahmen für die Ehrung der Autoren. | |
| Dass Zeitgenossenschaft mithin den Gegenstand des Historikers erst | |
| konstituiert, belegt der 70-jährige Osteuropahistoriker Karl Schlögel immer | |
| wieder. Forschung ist in seinen vielfach ausgezeichneten Büchern untrennbar | |
| verbunden mit lebensgeschichtlicher Erfahrung. „Russland hat mich nun ein | |
| Leben lang beschäftigt“, schreibt er im Vorwort zu [1][„Das sowjetische | |
| Jahrhundert“], für das er nun mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der | |
| Kategorie Sachbuch ausgezeichnet wurde. Es soll einladen zu einer | |
| Neuvermessung der sowjetischen Welt. | |
| ## Macht und Ohnmacht in Russland | |
| Dass er pünktlich zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution noch einmal | |
| über sein Lebensthema geschrieben hat, führt er auf Putins Annexion der | |
| Krim zurück: „Der beschleunigende und entscheidende Impuls war Putins | |
| Annexion der Krim und der unerklärte Krieg gegen die Ukraine seither“, | |
| erklärt er im Vorwort. 2014 hat Schlögel wegen des Ukraine-Kriegs die | |
| Puschkin-Medaille abgelehnt. Der russische Präsident verfolge eine | |
| völkische Politik, aber Puschkin und Putin seien in ganz verschiedenen | |
| Welten, natürlich arbeite er weiter über das Land, sagte er in einem | |
| Interview. | |
| Die Jury würdigte Karl Schlögel in Leipzig als brillanten Stilisten und | |
| meisterhaften Erzähler ohne Nostalgie oder Triumphismus. Seine Arbeit | |
| erinnere an Walter Benjamin, und in der Tat, die Auswahl der Dinge und wie | |
| er von dem Kleinsten zu einer Erzählung des Allgemeineren kommt, das | |
| erinnert an die Streifzüge und die nichtlineare Methode eines Walter | |
| Benjamin. | |
| Wie ein Archäologe gräbt er einzelne Gegenstände aus und untersucht sie auf | |
| ihre Welthaltigkeit hin. Das Tattoo etwa, das in der Perestroika-Zeit zur | |
| Modeerscheinung wird, hinter ihm entdeckt er hierarchische Beziehungen und | |
| entschlüsselt den sozialen Raum, den sie strukturieren. Oder das | |
| Packpapier, von ihm ausgehend erkundet er die Oberfläche einer ganzen | |
| Epoche. Das Parfüm bringt den Duft des Imperiums zum Ausdruck, und das | |
| Treppenhaus gibt Aufschluss über Macht und Ohnmacht in Russland. | |
| Schlögel findet überall Einzigartiges, das vom Paradigmatischen erzählt. | |
| Schlögels Museum macht Spaß und liefert unzählige überraschende Einsichten. | |
| Ganz unbestreitbar. | |
| Die Überschrift dieses Artikels wurde am 19. März um 12.21 Uhr von „Die | |
| umstrittene Politik der Preisvergabe“ in den jetzigen Titel geändert. Die | |
| ursprüngliche Version war irreführend. Wir entschuldigen uns für den | |
| Fehler. | |
| 16 Mar 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tania Martini | |
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