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# taz.de -- Esther Kinsky in Leipzig ausgezeichnet: Kleine Fluchten in die Schw…
> Erzählschema aufbrechen, das gelingt Esther Kinsky in ihrem Roman „Hain“,
> für den sie den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat.
Bild: Esther Kinsky freut sich mit ihrem Publikum in Leipzig über den Preis
Nichts ist im Grunde buchmessenfremder als die Literatur. Wenn einem die
Preisträgerin Esther Kinsky begegnete, konnte einem das auffallen. Im
kleinen Kreis, wenn sie auf Übersetzerkollegen traf – sie arbeitet ja auch
als Übersetzerin – oder auf Verlagsmenschen, die sie kannte, wirkte sie
ganz zugewandt. Inmitten des Trubels aber hat sie etwas grundsätzlich
Irritiertes, etwas von Hier-gehöre-ich-nicht-hin.
Von der Preisverleihung gibt es ein Pressefoto, auf dem sie in der Riege
der PreisträgerInnen ganz links steht und irgendwohin schaut. Bücher
schreiben kann sie. Wichtige Autorin darstellen noch nicht so richtig.
Aber eigentlich ist das auch ein schönes Bild, es passt zu ihrem Roman. So
eine Buchmesse erzählt viel von Anfängen und Dabeiseinsfreude. Junge
Menschen, die zum ersten Mal auf einer Verlagsparty sind und ihre
Initiation feiern. Aufgeregte Leserinnen, die durch die Messegänge
schleichen, auf der Suche nach ihren Lieblingsautoren.
Esther Kinskys Roman „Hain“ erzählt von etwas anderem. Davon, dass das
Leben weitergeht, auch wenn etwas zu Ende gegangen ist; nur, dass man es
manchmal nicht in das Erzählschema von Anfang, Mitte und Schluss
hineingedrückt bekommt.
## Ein Trauerbild von Fra Angelico
Auch Esther Kinskys „Hain“ hat drei Teile, aber sie sind eher so angeordnet
wie das dreiteilige Trauerbild von Fra Angelico, das sie ganz am Schluss
beschreibt: Es gibt eine Gleichzeitigkeit von Begrüßung, dem Weiterleben
der Hinterbliebenen und von Tod.
Anlass für die Ich-Erzählerin, mit dem Erzählen anzufangen, ist der Tod
ihres Lebenspartners. Erzählt wird aber auch viel vom längst gestorbenen
Vater, der dem Kind und der Jugendlichen fremd geblieben ist mit seinen
vielen kleinen Fluchten von seiner eigenen Familie: in die Kneipe, in die
Schweigsamkeit oder auch nur zu so ausgedehnten Schwimmstunden, dass die
Mutter am Strand immer schon zu einem Opernglas griff und aufs Meer nach
ihm Ausschau hielt.
## Übergänge und Erinnerungen
Es ist ein Buch, bei dem man sich in Gesprächen in diese kleinen Floskeln
flüchtet: Ja, manchmal sei es halt „poetisch“ oder auch „elegisch“ und…
auch „lakonisch“. Und zugleich ist es ein Buch, mit dem man gut allein sein
kann und das einen in den Momenten, in denen es einen erwischt, daran
erinnert, dass es immer man selbst ist, der sein Leben lebt. Außerdem wäre
es ganz schön, wenn bald ein versierter Philologe daranginge, genau
auseinanderzunehmen, wie hier die Übergänge zwischen Landschafts- und
Fotobeschreibungen, zwischen den Road Trips durch Italien und den Ausflügen
in die Erinnerungen funktionieren.
Aktuelle Kommentare zur Gegenwart enthält das Buch nicht. Na ja,
untergründig vielleicht dann doch. Unter der Überschrift „Migration“ ist
einmal von der Wanderung der Aale die Rede, die auf ihrem Rückweg ins
Sargassomeer auch Strecken über Land zurücklegen. „Noch lange verfolgte
mich die Vorstellung, versehentlich abends auf eine Wiese zu geraten, über
die Tausende Aale, sich in unglaublicher Anstrengung windend, durchs Dunkel
vorwärts klatschten, einer sagenhaften Heimat zu.“
Hinter der Oberfläche dieses Satzes steckt so viel Erschrecken über die
Härten des Lebens, aber auch so viel Bereitschaft zu Empathie, wie sie die
Ausgrenzer in den Gegenwartsdebatten wohl niemals aufbringen werden.
16 Mar 2018
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Autorin
Suhrkamp Verlag
Russische Literatur
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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Autorin.
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