| # taz.de -- Auswandern nach Spanien: Expat non grata | |
| > Barcelona ist bei digitalen Nomad:innen besonders beliebt, | |
| > gleichzeitig wird die Stimmung gegen sie feindseliger. Wer ist wirklich | |
| > schuld an der Gentrifizierung? | |
| Bild: Sich am Beach mal wieder richtig spüren. Jake Wright leitet in den früh… | |
| Barcelona taz | Es ist kurz vor sieben am Morgen und der Himmel über | |
| [1][Barcelona] verfärbt sich langsam rosa. Der Strand ist gefüllt mit | |
| Menschen, die nach dem perfekten Start in den Tag suchen. Laufgruppen | |
| joggen die Promenade entlang, Yogamatten werden neben den Felsen direkt an | |
| der Brandung ausgerollt, und am Horizont gleiten Silhouetten auf Surfboards | |
| übers Wasser. | |
| Während langsam die Sonne aufgeht, sitzen im Sand einhundert Menschen und | |
| starten in eine geführte Meditation. „Lebe in der Gegenwart, das ist dein | |
| ganz persönlicher Moment“, sagt jemand auf Englisch. Die Teilnehmenden | |
| hören die Stimme des Coaches durch Bluetooth-Kopfhörer. Nach der Einheit | |
| umarmen sich die Mitglieder der Gruppe und springen ins Meer. „Wie könnte | |
| man den Tag besser beginnen“, sagt eine Französin zu ihrer Freundin aus | |
| Seattle, bevor sie in die Wellen eintaucht, „und das ist in Barcelona ein | |
| ganz normaler Mittwoch.“ | |
| Die Sehnsucht nach einem guten Leben lockt vor allem Menschen aus anderen | |
| Ländern an den morgendlichen Strand. Für viele bringt Barcelona alles mit, | |
| was es zu ihrem Glück braucht. Es gibt bis zu 3.000 Stunden im Jahr Sonne | |
| und das Meer direkt vor der Tür. Der gute Ruf hat sich herumgesprochen: | |
| Immer mehr Menschen ziehen in die Mittelmeermetropole. Vor allem die | |
| Gruppe der „reichen Zuwanderer:innen“ wächst dabei, also Menschen, die aus | |
| Ländern mit einem höheren Bruttoinlandsprodukt als Spanien stammen – | |
| Expats. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Lateinischen Ex (heraus) | |
| und Patria (Vaterland). Expats wandern wegen des Lebensgefühls aus und | |
| nicht, weil sie es müssen. In Barcelona hat sich die Gruppe dieser | |
| Zugezogenen [2][in den vergangenen 25 Jahren vervierfacht]. Der Zuwachs ist | |
| mit der Pandemie nochmals gestiegen, denn seitdem gibt es immer mehr | |
| digitale Nomad:innen, die für ihren Job nur einen Laptop und Internet | |
| benötigen. | |
| [3][Aber was macht es mit einer Stadt, wenn so viele Zugezogene dort nach | |
| einem schönen Leben suchen]? Barcelona verändert sich wie viele andere | |
| europäische Metropolen rasant. Auch in Berlin oder London sorgen | |
| Globalisierung und Gentrifizierung nicht nur für Vielfalt, sondern auch für | |
| Konflikte. In Barcelona werden diese Spannungen besonders scharf | |
| ausgetragen – denn die Stadt ist klein und der Ansturm groß. | |
| Joan Maria Soler lebt seit über 50 Jahren in Barcelona. Er engagiert sich | |
| in der lokalen Nachbarschaftsvereinigung des Stadtviertels Poblenou, | |
| [4][die seit 1972 die Interessen der Bewohner:innen vertritt]. Soler, | |
| ein studierter Philosoph mit grauem Bart, setzt sich in seinem Verein gegen | |
| Umweltverschmutzung ein und demonstriert am Frauenkampftag. | |
| Sein Viertel erkennt er nicht wieder. „Manchmal laufe ich durch die Straßen | |
| und weiß nicht, wo ich bin.“ Er spaziert langsam durch Poblenou, den Blick | |
| auf Co-Working-Cafés und internationale Restaurants gerichtet, wo in seiner | |
| Jugend noch traditionelle Bars und Nachbarschaftsläden lagen. Der starke | |
| urbane Wandel des Viertels berge das Risiko sozialer Verdrängung, heißt es | |
| von seinem Verein. | |
| Poblenou war während des 20. Jahrhunderts noch eines der größten | |
| Industriegebiete Spaniens. Alte Fotos zeigen schmutzige Textilfabriken vor | |
| rauchverhangenem Himmel. An den Wohnhäusern blätterte die Fassade ab, | |
| Abwasser floss direkt an den Schotterwegen entlang. Statt eines Sandstrands | |
| gab es am Meer nur Felsen und heruntergekommene Baracken. Ans Schwimmen war | |
| gar nicht zu denken. | |
| Wie ganz Barcelona hat sich auch Poblenou durch die Olympischen Spiele 1992 | |
| neu ausgerichtet, es entstand die heute so beliebte Promenade. Die zweite | |
| große Veränderung brachte ein Stadtumbau Anfang der 2000er Jahre. Poblenou | |
| wurde zum Zentrum von Barcelonas neuer Start-up-Szene. Große Firmen wie | |
| Amazon, Meta oder Google ließen sich hier nieder. Und mit den | |
| internationalen Unternehmen kamen die internationalen Arbeitskräfte. | |
| Die katalanische Regierungsagentur Catalonia Trade & Investment unterstützt | |
| seit Jahren globale Tech-Firmen bei ihrer Niederlassung in der Stadt. Laut | |
| der [5][Financial Times] zählt Barcelona inzwischen zu den Top drei der | |
| europäischen Start-up-Städte. Möglich machen das einladene | |
| Unterstützungsprogramme. Die Stadt bietet Subventionen für Selbstständige, | |
| vereinfachte Visaverfahren für digitale Nomad:innen und Steuervorteile | |
| für Start-ups. Das macht das Leben von Gründer:innen einfacher und | |
| Barcelona für Expats attraktiver. | |
| Und auch bei der Integration will die Stadt helfen. Die Abteilung Barcelona | |
| International Welcome bietet Expats persönliche Unterstützung und Beratung | |
| an. „Willkommen, Talente“ heißt es auf der Website. | |
| In Poblenou bestimmen heute moderne Bürogebäude und stylische Cafés das | |
| Stadtbild. Die kreative Unternehmer:innenszene hat übernommen. Joan | |
| Maria Soler schaut die gläsernen Bürotürme hinauf. Nur vereinzelt ragt | |
| dahinter noch ein verrosteter Schornstein in den Himmel. Das Viertel ist | |
| bei Expats wegen der vielen Arbeitsplätze beliebt, der Strand ist fußläufig | |
| zu erreichen. | |
| „Die Industrie war die Realität von Poblenou, heute ist das Viertel wie | |
| Science-Fiction“, merkt eine Anwohnerin an, „und all das ist in nur 50 | |
| Jahren passiert?“ Aus dem „katalanischen Manchester“ ist das „Brooklyn | |
| Barcelonas“ geworden, Magazine bezeichnen Poblenou als „Barcelonas | |
| coolstes Stadtviertel“. Joan Maria Soler ist ganz anderer Meinung. Die | |
| Zuschreibungen seien bloß Marketing und sollen Investitionen anziehen. Von | |
| den Interessen der Bewohner:innen sei das weit entfernt. | |
| Er läuft entlang der Rambla de Poblenou, der Flaniermeile des Viertels. | |
| „Hier war mal eine Metzgerei“, sagt Joan Maria Soler ruhig und deutet auf | |
| ein amerikanisches Restaurant, vor dem eine große Touristengruppe sitzt. | |
| „Daneben ein Eisenwarenladen, hier wurden Lampen verkauft, dort gab es | |
| Churros.“ Er zeigt auf ein Nagelstudio, ein libanesisches Restaurant, ein | |
| Café, das für „Good coffee and vibes“ wirbt. | |
| Die Nachbarschaftsläden verschwinden aus Poblenou. „Wir finden hier keine | |
| lokalen Geschäfte mehr, sondern nur noch große Franchise-Ketten und | |
| Restaurants für Tourist:innen“, merkt Joan Maria Soler an. | |
| Dass sich Barcelona sehr verändert hat, bemerken auch die Expats. Jake | |
| Wright hat die morgendliche Meditationsgruppe am Strand ins Leben gerufen. | |
| Vor vier Jahren ist er aus seiner Heimat Melbourne nach Barcelona gezogen. | |
| Als selbstständiger Osteopath und Gesundheitscoach möchte er sich für mehr | |
| Achtsamkeit in der Stadt einsetzen. Mit seinem Unternehmen Show Up | |
| organisiert er unter anderem spirituelle Retreats. | |
| „Wir haben vor gut zwei Jahren zu sechst damit begonnen, jetzt kommen Woche | |
| für Woche meist 200 Menschen“, erzählt der 31-Jährige. Aktuell plant er, in | |
| Barcelona ein Saunazentrum zu errichten. Wie immer lädt Wright die anderen | |
| Teilnehmenden nach der Morgenmeditation in ein Café im Strandviertel ein. | |
| „Wir möchten Verbindung schaffen“, sagt er, den Kaffeebecher in der Hand | |
| und das Gesicht in der Sonne. Er trägt den Pullover seiner eigenen Marke, | |
| die zu Show Up dazu gehört: „Sag Menschen, dass du sie liebst“, steht auf | |
| Englisch auf der Rückseite. | |
| Viele Expats sind dankbar für solche Veranstaltungen. Die meisten kommen | |
| alleine nach Barcelona und suchen Anschluss. Wer genau als Expat gilt, ist | |
| nicht offiziell definiert. Hört man sich um, ergibt sich ein Bild: [6][Oft | |
| sind es junge Erwachsene zwischen 20 und 40 Jahren, die privilegiert | |
| aufgewachsen sind und einen hohen Bildungsabschluss haben]. Viele Expats | |
| arbeiten als Software-Entwickler:innen, im Vertrieb, in der | |
| wissenschaftlichen Forschung oder sind Unternehmer:innen. Ein Großteil | |
| ist für Firmen ihres Herkunftslandes tätig und verdient ein entsprechendes | |
| Gehalt. | |
| Doch viele Expats kommen auch nur für die Stadt. Einige erzählen, dass sie | |
| monatelang nach einem Job in Barcelona gesucht hätten, nur um endlich an | |
| ihrem Sehnsuchtsort leben zu können. Sie geben sich teilweise mit | |
| niedrigeren Gehältern und Praktika zufrieden, Hauptsache, Sonne, Strand und | |
| Meer. Sie wollen die grauen Winter Nordeuropas hinter sich lassen, die | |
| Schnelllebigkeit der Finanzmetropolen und die Langeweile vieler | |
| Kleinstädte. Barcelona verbindet für sie Urlaubsgefühl mit dem kulturellen | |
| Angebot einer Großstadt. | |
| Mehrere Magazine wählten Barcelona 2025 zu den lebenswertesten Städten der | |
| Welt, bezeichneten es als „das neue New York“. Mit dem guten Ruf wächst die | |
| Zahl der internationalen Einwohner:innen stetig an. Mehr als ein | |
| Drittel der Bevölkerung wurde nicht in Spanien geboren. Wie viele davon aus | |
| reicheren Ländern stammen, kann nur geschätzt werden. [7][Laut offiziellen | |
| Zahlen sind es mehr als 86.000]. Forschende vermuten das Doppelte, was 10 | |
| Prozent der Bevölkerung bedeuten würde. Wahrscheinlich sind es mehr, denn | |
| viele Expats kommen nur für wenige Monate und lassen sich gar nicht erst | |
| registrieren. | |
| Währenddessen wächst der Widerstand der Einheimischen. Schon länger macht | |
| Barcelona mit tourismusfeindlichen Schlagzeilen auf sich aufmerksam. [8][Im | |
| Jahr 2024 kamen fast 16 Millionen Besucher:innen] – eine Zahl, die die | |
| Stadt mit ihren 1,7 Millionen Einwohner:innen regelmäßig an ihre | |
| Belastungsgrenze bringt. Bilder von Einheimischen, die Tourist:innen mit | |
| Wasserpistolen angriffen, gingen um die Welt. Unübersehbar die vielen | |
| Sticker und Graffiti an den Hauswänden und Laternenpfählen, die „Tourists | |
| go home“ fordern. Immer öfter heißt es abgewandelt auch: „Expats go home�… | |
| Direkt gegenüber dem Café, in dem die Meditationsgruppe von Jake Wright | |
| ihren Kaffee trinkt, steht auf Englisch „Kein Willkommen, Ausländerschwein“ | |
| an einem Pfahl. | |
| Das Graffito auf der anderen Straßenseite fällt auch der Gruppe auf. „Vor | |
| zwei Jahren kam mir die Stadt noch gastfreundlicher vor“, sagt jemand. „Ich | |
| habe auch das Gefühl, dass ich mich vor Einheimischen viel öfter dafür | |
| rechtfertigen muss, dass ich in Barcelona lebe“, stimmt eine zweite Person | |
| zu. Alle bemerken die zunehmenden Spannungen in der Stadt. Dabei bleibt es | |
| nicht nur bei Schriftzügen auf den Straßen. | |
| Nachdem Jake Wright von der Meditationsgruppe der spanischen Zeitung [9][El | |
| Periodico ein Interview] über sein Unternehmen gegeben hatte, bekam er jede | |
| Menge wütende Kommentare. Er solle in sein Land zurückkehren und habe kein | |
| Recht, in Barcelona zu leben. Wright möchte aber nicht als jemand gesehen | |
| werden, der für Probleme sorgt. „Ich verstehe die Sorgen, es gibt viel | |
| Zuwanderung in Barcelona. Und natürlich trage ich dazu bei. Aber ich möchte | |
| die Kultur nicht spalten. Meine Veranstaltungen sind für alle gedacht, | |
| nicht nur für Expats.“ Es finden bereits Meditationen auf Spanisch statt, | |
| er arbeitet mit Einheimischen zusammen. | |
| Er deutet auf seinen Geschäftspartner neben sich, mit dem er das | |
| Saunazentrum eröffnen möchte. Enric Gabarro kommt aus einem Vorort | |
| Barcelonas und sei daher „das beste Beispiel für Verbindungen mit | |
| Einheimischen“. Auch er hat an diesem Morgen den Sonnenaufgang am Meer | |
| miterlebt und frühstückt nun gemeinsam mit der Gruppe, wie so oft. „Ich | |
| liebe diese Meditation am Strand“, sagt er. | |
| Enric Gabarro deutet auf das ausländerfeindliche Graffito auf der | |
| gegenüberliegenden Straßenseite: „Es ist bezeichnend, dass diese Aussage | |
| dort auf Englisch und nicht auf Spanisch steht. Denn die Wut richtet sich | |
| nur auf reiche Expats, nicht auf alle Migrant:innen.“ Für Enric Gabarro | |
| ist Barcelona eigentlich eine offene und liberale Stadt. Diese | |
| Gastfreundschaft zeige sich aber nur gegenüber ärmeren Einwander:innen | |
| aus Südamerika oder arabischen Staaten. „Warum sind wir nur auf die | |
| Migrant:innen aus reichen Ländern wütend?“, fragt er sich. Wut auf | |
| Ausländer:innen sei schließlich generell fehl am Platz und die | |
| Auswirkungen von Migration müsse man insgesamt kontrollieren. Dass es einen | |
| Unterschied macht, ob jemand die Wahl hat, nach Barcelona zu ziehen oder | |
| nicht, kommt an dem Café-Tisch an diesem Tag nicht zur Sprache. | |
| Wie in vielen Ländern weltweit wächst auch in Spanien der Rechtspopulismus, | |
| die Partei Vox sieht einkommensschwache Migrant:innen als | |
| [10][„Belastung und Gefahr für die Sicherheit“]. In Barcelona ist diese Art | |
| rassistischer Erzählungen weniger ausgeprägt als in anderen Landesteilen. | |
| Die Stadt gilt als eine der progressivsten in Spanien. Seit Jahren wird | |
| Barcelona von linken Kräften und Sozialisten regiert, Bürgerinitiativen | |
| setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein. Es geht weniger um Migration und | |
| viel mehr um Geld. | |
| Joan Maria Soler von der Nachbarschaftsvereinigung sitzt derweil in einer | |
| alten Bar an einer Straßenecke in Poblenou und bestellt einen Eiskaffee. | |
| Das Lokal wirkt noch fast so wie vor Jahrzehnten. Es gibt keine englische | |
| Speisekarte, hinter der Theke stapeln sich die Kästen mit dem einheimischen | |
| Bier Estrella-Damm. | |
| Doch die Veränderung des Viertels ist allgegenwärtig. Direkt auf der | |
| anderen Straßenseite wird ein Geschäft umgebaut. Noch klebt Pappe an den | |
| Schaufenstern, aber der Schriftzug verrät, was es einmal werden soll: | |
| „Coffee – Plant Based“ steht an den Scheiben. Joan Maria Soler blickt auf | |
| das neue Lokal gegenüber. „Die Preise, die in diesen Cafés genommen werden, | |
| sind für uns Einheimische nicht normal.“ Wer einen solchen | |
| „Speciality-Coffee“ möchte, zahlt dafür fast das Doppelte des Preises in | |
| einer traditionellen Bar. | |
| Joan Maria Soler schweigt lange. Dann sagt er: „Dieses Viertel ist meine | |
| Heimat, fühlt sich aber kaum noch so an.“ Dem Hass auf Expats will er sich | |
| aber nicht anschließen. Er betont: „Wir machen es uns zu einfach, wenn wir | |
| bestimmte Personengruppen beschuldigen. Es sind die dahinterliegenden | |
| Dynamiken, die für Probleme wie die viel zu hohen Mietpreise sorgen.“ Die | |
| Nachbarschaftsvereinigung kritisiere keine Individuen. „Die Wut ist | |
| vielmehr Spiegelbild eines latenten Unbehagens.“ | |
| Neben dem Kaffee wurde auch das Wohnen lange Zeit immer teurer. Die | |
| steigende Nachfrage in den beliebten Vierteln wie Poblenou, in denen ein | |
| Großteil der Expats lebt, hat die Preise in die Höhe getrieben. | |
| Kapitalinteressen von Investor:innen verschärfen die Wohnungskrise. | |
| Denn Immobilienfonds kaufen zunehmend Wohnungen als Spekulationsobjekte, | |
| statt sie zu vermieten. „Es ist für uns absolut unmöglich geworden, hier in | |
| Poblenou noch eine Wohnung zu bezahlen“, sagt Joan Maria Soler. Seit März | |
| 2024 gilt nun in Katalonien in allen Regionen mit angespanntem | |
| Wohnungsmarkt ein Mietendeckel. Ein Jahr später waren die Mieten in | |
| Barcelona um 6,4 Prozent gesunken. | |
| Bis das zu einer spürbaren Entlastung führt, dauert es aber noch, denn in | |
| den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten in der Stadt um rund 70 Prozent | |
| gestiegen. Ein Quadratmeter in einer Mietwohnung kostet heute | |
| durchschnittlich 26 Euro, spanischer Rekord. Zum Vergleich: In Berlin sind | |
| es derzeit etwa 15 Euro. Die Wohnungsnot trifft vor allem die lokale | |
| Bevölkerung. Tausende Anwohner:innen zogen in den vergangenen Jahren | |
| wegen der hohen Preise von der Innenstadt in die Randregionen der | |
| Metropole. Zwangsräumungen gehören zum Alltag: Im ersten Quartal 2025 | |
| wurden in der Region Katalonien [11][über 2.000 Haushalte verdrängt], weil | |
| sie die Miete nicht mehr zahlen konnten. | |
| Teil des Problems ist auch, dass in Barcelona kaum neuer Wohnraum entsteht: | |
| Nirgendwo sonst in Spanien werden [12][so wenige Neubauten errichtet]. | |
| Dabei wächst die Nachfrage rasant. | |
| Viele Expats, die Gehalt aus reicheren Ländern beziehen, können sich höhere | |
| Preise leisten. Andere rechtfertigen sich: „Ich verdiene mein Geld mit | |
| meinen Unternehmen in Spanien und mache mir genauso Sorgen über die | |
| Inflation und Wohnungskrise. Die Regierung sollte auf die Preistreiberei | |
| von Investor:innen reagieren“, findet Jake Wright. Laut einer Studie | |
| beziehen [13][30 Prozent der Expats] ein durchschnittliches spanisches | |
| Einkommen oder weniger. | |
| Der Wissenschaftler Jose Mansilla fordert weniger Polarisierung zwischen | |
| „den Expats“ und „den Einheimischen“. Er lebt selbst im Stadtteil Poble… | |
| und forscht zu urbaner Anthropologie an der Autonomen Universität | |
| Barcelona. Seine Wort sind klar: „Expats tragen keine Schuld daran, dass | |
| sich Barcelona verändert. Es ist die gesamte Mittelschicht, die die | |
| Unterschicht aus der Stadt verdrängt.“ Die Gentrifizierung Barcelonas habe | |
| bereits vor über 15 Jahren begonnen, und nicht erst in dem vergleichsweise | |
| kurzen Zeitraum, in dem die Zahl der Expats so angestiegen sei. | |
| Angehörige der Mittelschicht verdienen in Spanien im Schnitt etwa 2.460 | |
| Euro netto im Monat, haben einen höheren Bildungsabschluss und ähnliche | |
| Konsumgewohnheiten. Ob Ausländer:in oder einheimisch, die Mittelschicht | |
| gehe in bestimmte Bars, die Menschen der Arbeiterklasse nicht besuchen, so | |
| Jose Mansilla. Sie kann sich die steigenden Mieten eher leisten. „Es ist | |
| sehr leicht, in eine ‚Expats oder Touristen go home‘-Rhetorik zu verfallen. | |
| Aber es wäre naiv und unangemessen, Expats die Schuld am Wandel Barcelonas | |
| zu geben“, erklärt Jose Mansilla. Im Gegenteil: Sie sollten als Verbündete | |
| betrachtet werden, denn auch sie kämpfen immer mehr mit den steigenden | |
| Mieten. | |
| „Der Protest der Einheimischen ist gerechtfertigt und wir sollten ihn ernst | |
| nehmen. Aber wir müssen aufpassen, dass die Forderungen nicht in eine | |
| Fremdenfeindlichkeit von links übergreifen“, betont Anthropologin Fabiola | |
| Mancinelli, Professorin an der Universität Barcelona. Denn die Schuld an | |
| den bestehenden Spannungen liege nie bei einzelnen Menschen. „Wenn wir nur | |
| auf Migrant:innen schauen, lenken wir von den schwerwiegenderen | |
| Problemen ab.“ | |
| Die sozialistische Regierung hat bereits entschieden, bis 2028 alle | |
| touristischen Mietwohnungen in Barcelona abzuschaffen, um Wohnraum zu | |
| sichern. Schon jetzt werden dafür keine neuen Lizenzen mehr ausgestellt. | |
| Vergangenes Wochenende teilte die spanische Regierung mit, mehr als | |
| [14][53.000 illegale Ferienwohnungen von den Onlineplattformen streichen zu | |
| lassen]. Ministerpräsident Pedro Sánchez kündigte an, sie bald dem | |
| regulären Wohnungsmarkt zuzuführen. | |
| Seit dem Jahr 2018 müssen außerdem 30 Prozent aller Neubauten in Barcelona | |
| Sozialwohnungen sein. Fünf Jahre später wurden davon allerdings gerade | |
| einmal acht einzelne Wohnungen fertiggestellt. | |
| Die linke Oppositionspartei Barcelona en Comú fordert stärkere Maßnahmen | |
| gegen die Wohnungskrise und schärfere Kontrollen: „Es braucht direkte | |
| Eingriffe in den Markt. Großbesitzer:innen müssen strenger besteuert | |
| werden und es müssen mehr Sozialwohnungen erworben werden, statt auf Neubau | |
| zu setzen.“ | |
| Ein positives Beispiel sei Amsterdam, wo der Immobilienkauf nur noch | |
| erlaubt ist, wenn Eigentümer:innen auch einige Jahre darin wohnen. | |
| Oder Paris, wo 50 Prozent aller Neubauten in bestimmten Gebieten entstehen | |
| müssen. All das sollte auch für Barcelona gelten, so Barcelona en Comú. | |
| Die Partei sieht die Zunahme von Expats in Barcelona kritisch und | |
| kritisiert die derzeitige Regierung: „Sie unternimmt nichts, um ein | |
| Gleichgewicht wiederherzustellen. Mehr noch, sie begrüßt die Ankunft der | |
| internationalen Arbeiter:innen und betrachtet sie als Quelle des | |
| Reichtums.“ Notwendig seien regulierte Mietpreise, ein Verbot der | |
| Saisonvermietung und wettbewerbsfähige Löhne. | |
| Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Städten, in denen eine | |
| Gentrifizierung stattfindet, ist Barcelona ein Sonderfall. „Die | |
| Konsequenzen fallen hier deutlicher auf als in London oder Paris, weil die | |
| Stadt zum einen nicht besonders groß ist“, erklärt Fabiola Mancinelli. | |
| Barcelona ist eingekesselt: Im Osten liegt das Meer, im Westen sind die | |
| Berge, im Norden und Süden Flüsse. Der Platz kann nicht weiter ausgedehnt | |
| werden, was bestehende Spannungen nur verstärkt. | |
| Zum anderen kämpft die spanische Region Katalonien seit Jahrzehnten um ihre | |
| Identität. Nur noch etwa [15][30 Prozent der Bevölkerung] spricht | |
| regelmäßig Katalanisch. Einheimische sind stolz auf ihre Kultur. Und | |
| vermutlich ist der Widerstand gegenüber Ausländer:innen auch deswegen | |
| so groß: Es herrscht Sorge, dass die katalanische Identität mit der | |
| ansteigenden Zuwanderung komplett ausstirbt. Joan Maria Soler teilt diese | |
| Befürchtung. Er blickt auf das veränderte Stadtviertel um sich herum: „Wenn | |
| keine Regulationen kommen, wird die Identität von Poblenou verloren gehen.“ | |
| Auch vor dem Café kommt das Thema an diesem frühen Morgen auf. Eine | |
| Argentinierin, die an der Meditation teilgenommen hat, fragt noch: „Warum | |
| sollte ich Katalanisch lernen, wenn mich doch auch jede:r auf Spanisch | |
| versteht?“ Diese Ansicht teilen viele Expats. Enric Gabarro widerspricht | |
| klar: „Wer hierherzieht, sollte Katalanisch lernen. Jede:r trägt die | |
| Verantwortung für die eigene Integration. Und zu Barcelona gehören zwei | |
| Sprachen. Unsere Kultur darf nicht einfach verloren gehen.“ | |
| Immer wieder beklagen Einheimische, dass sich die privilegierten | |
| Ausländer:innen kaum integrieren. Das Klischee lautet: Viele Expats | |
| bleiben unter sich, sprechen nur Englisch und besuchen statt lokaler | |
| Geschäfte die internationalen Cafés, in denen es Matcha Latte gibt. Joan | |
| Maria Soler beunruhigt das: „Es entsteht einfach kaum Kontakt zwischen | |
| Expats und uns Einheimischen.“ Er unterscheide zwischen denen, die sich | |
| aktiv integrieren, und jenen, die nur ein paar Monate bleiben und in ihren | |
| internationalen Gruppen verharren. | |
| „Viele dieser Expats gehen in ‚ihre‘ Cafés und Bars. Sie sprechen kein | |
| Spanisch, wir oft kein Englisch. Wie sollten wir uns annähern?“ Joan Maria | |
| Soler weist auf die vielen Vereine und Sportangebote in Barcelona hin. Raum | |
| zum Austausch sei vorhanden. Aber ohne gemeinsame Berührungspunkte | |
| entstünden schnell Stereotype. | |
| In Gesprächen wird deutlich: Viele der Expats wollen genauso wenig ein | |
| Klischee sein, wollen sich integrieren. Wie für viele Ausländer:innen | |
| weltweit ist es meist einfacher, sich mit Menschen zu umgeben, die durch | |
| die gleichen Herausforderungen eines neuen Lebens gehen. „Eigentlich ist es | |
| traurig, dass man in Barcelona auch komplett auf Englisch auskommen kann“, | |
| sagt eine französische Expat dazu. | |
| Er sehe, wie viele Expats sich um Integration bemühten, sagt Enric Gabarro. | |
| „Ich sehe aber auch, dass viele Einheimische diese Integration gar nicht | |
| erst wollen.“ | |
| Joan Maria Soler biegt in eine Nebenstraße der Rambla ein. In einem kleinen | |
| Gebäude hat eine Kooperative der Nachbarschaftsvereinigung ihren eigenen | |
| Laden eröffnet, in dem nachhaltige Produkte verkauft werden. In den Regalen | |
| liegt unverpacktes Obst und Gemüse, Milch aus Katalonien steht im | |
| Kühlschrank. Früher gab es viele solcher lokalen Läden, die dann mehr und | |
| mehr den großen Supermarktketten und Geschäften wichen. „Aber es gibt auch | |
| Widerstand gegen den Kommerz“, sagt Joan Maria Soler und weist auf die | |
| gefüllten Regale. „Nicht jeder Wandel ist schlecht.“ Auch manche der Expats | |
| kaufen lieber im kleinen Nachbarschaftsladen als im großen Supermarkt. | |
| Schließlich sind die ein originales Stück Barcelona. | |
| 20 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Barcelona/!t5015072 | |
| [2] https://www.catalannews.com/society-science/item/barcelonas-expat-populatio… | |
| [3] /Uebertourismus-in-Spanien/!6042728 | |
| [4] https://elpoblenou.cat/qui-som/ | |
| [5] https://www.ft.com/content/354f8659-fe96-4872-a395-d80d515b033e | |
| [6] /Arbeiten-aus-Urlaubslaendern/!5905140 | |
| [7] https://www.catalannews.com/society-science/item/barcelonas-expat-populatio… | |
| [8] https://professional.barcelonaturisme.com/storage/medias/files/1cqlZosI90W0… | |
| [9] https://www.elperiodico.com/es/que-hacer/planes/20250502/amanecer-cascos-ba… | |
| [10] https://elpais.com/espana/2025-03-31/el-discurso-xenofobo-de-vox-en-jaen-m… | |
| [11] https://www.poderjudicial.es/cgpj/en/Judiciary/Panorama/Los-concursos-pres… | |
| [12] https://observatoriodelalquiler.org/barcelona-no-logra-bajar-el-precio-del… | |
| [13] https://elpais.com/espana/catalunya/2024-05-02/no-es-expat-todo-lo-que-rel… | |
| [14] /Regierung-gegen-Wohnungsnot/!6110239 | |
| [15] https://elpais.com/espana/catalunya/2025-02-19/el-catalan-gana-267000-habl… | |
| ## AUTOREN | |
| Kathrin Boehme | |
| ## TAGS | |
| wochentaz | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Barcelona | |
| Auswandern | |
| Expats | |
| GNS | |
| Reden wir darüber | |
| Katalonien | |
| teuer | |
| Kolumne Starke Gefühle | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Serien-Guide | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Essen in Katalonien: Heilsame Schäume | |
| Katalonien ist für seine Spitzenküche berühmt, doch die Menschen vor Ort | |
| ernähren sich häufig nicht gut. Die Fundació Alícia will das ändern. | |
| Profitgier bei Untervermietungen: Staatliche Kontrolle ist nötig | |
| Wer seine Wohnung untervermietet, sollte nicht die Not jener ausnutzen, die | |
| eine Bleibe suchen. Notfalls sollte das staatlich geregelt werden. | |
| „Volt“ bei der Europawahl: Wenn Expatschnösel politisch werden | |
| Es ist seltsam, dass plötzlich alle „Volt“ für eine wählbare Partei halt… | |
| Nichts könnte falscher sein, als diese Populisten zu unterstützen. | |
| Das Miteinander in der Öffentlichkeit: Die Welt als Schlafzimmer | |
| Der öffentliche Raum als Zuhause, um das sich alle kümmern: könnte das | |
| nicht wunderbar sein? Aber zum Miteinander gehören halt auch die anderen. | |
| Amazon-Serie „Expats“ mit Nicole Kidman: Gemeinsam einsam | |
| Die Amazon-Serie „Expats“ erzählt von drei höchst unterschiedlichen | |
| US-Auswandererinnen in Hongkong. Ihr Verlorensein verbindet sie. |