Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Auswandern nach Spanien: Expat non grata
> Barcelona ist bei digitalen Nomad:innen besonders beliebt,
> gleichzeitig wird die Stimmung gegen sie feindseliger. Wer ist wirklich
> schuld an der Gentrifizierung?
Bild: Sich am Beach mal wieder richtig spüren. Jake Wright leitet in den früh…
Barcelona taz | Es ist kurz vor sieben am Morgen und der Himmel über
[1][Barcelona] verfärbt sich langsam rosa. Der Strand ist gefüllt mit
Menschen, die nach dem perfekten Start in den Tag suchen. Laufgruppen
joggen die Promenade entlang, Yogamatten werden neben den Felsen direkt an
der Brandung ausgerollt, und am Horizont gleiten Silhouetten auf Surfboards
übers Wasser.
Während langsam die Sonne aufgeht, sitzen im Sand einhundert Menschen und
starten in eine geführte Meditation. „Lebe in der Gegenwart, das ist dein
ganz persönlicher Moment“, sagt jemand auf Englisch. Die Teilnehmenden
hören die Stimme des Coaches durch Bluetooth-Kopfhörer. Nach der Einheit
umarmen sich die Mitglieder der Gruppe und springen ins Meer. „Wie könnte
man den Tag besser beginnen“, sagt eine Französin zu ihrer Freundin aus
Seattle, bevor sie in die Wellen eintaucht, „und das ist in Barcelona ein
ganz normaler Mittwoch.“
Die Sehnsucht nach einem guten Leben lockt vor allem Menschen aus anderen
Ländern an den morgendlichen Strand. Für viele bringt Barcelona alles mit,
was es zu ihrem Glück braucht. Es gibt bis zu 3.000 Stunden im Jahr Sonne
und das Meer direkt vor der Tür. Der gute Ruf hat sich herumgesprochen:
Immer mehr Menschen ziehen in die Mittelmeermetropole. Vor allem die
Gruppe der „reichen Zuwanderer:innen“ wächst dabei, also Menschen, die aus
Ländern mit einem höheren Bruttoinlandsprodukt als Spanien stammen –
Expats. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Lateinischen Ex (heraus)
und Patria (Vaterland). Expats wandern wegen des Lebensgefühls aus und
nicht, weil sie es müssen. In Barcelona hat sich die Gruppe dieser
Zugezogenen [2][in den vergangenen 25 Jahren vervierfacht]. Der Zuwachs ist
mit der Pandemie nochmals gestiegen, denn seitdem gibt es immer mehr
digitale Nomad:innen, die für ihren Job nur einen Laptop und Internet
benötigen.
[3][Aber was macht es mit einer Stadt, wenn so viele Zugezogene dort nach
einem schönen Leben suchen]? Barcelona verändert sich wie viele andere
europäische Metropolen rasant. Auch in Berlin oder London sorgen
Globalisierung und Gentrifizierung nicht nur für Vielfalt, sondern auch für
Konflikte. In Barcelona werden diese Spannungen besonders scharf
ausgetragen – denn die Stadt ist klein und der Ansturm groß.
Joan Maria Soler lebt seit über 50 Jahren in Barcelona. Er engagiert sich
in der lokalen Nachbarschaftsvereinigung des Stadtviertels Poblenou,
[4][die seit 1972 die Interessen der Bewohner:innen vertritt]. Soler,
ein studierter Philosoph mit grauem Bart, setzt sich in seinem Verein gegen
Umweltverschmutzung ein und demonstriert am Frauenkampftag.
Sein Viertel erkennt er nicht wieder. „Manchmal laufe ich durch die Straßen
und weiß nicht, wo ich bin.“ Er spaziert langsam durch Poblenou, den Blick
auf Co-Working-Cafés und internationale Restaurants gerichtet, wo in seiner
Jugend noch traditionelle Bars und Nachbarschaftsläden lagen. Der starke
urbane Wandel des Viertels berge das Risiko sozialer Verdrängung, heißt es
von seinem Verein.
Poblenou war während des 20. Jahrhunderts noch eines der größten
Industriegebiete Spaniens. Alte Fotos zeigen schmutzige Textilfabriken vor
rauchverhangenem Himmel. An den Wohnhäusern blätterte die Fassade ab,
Abwasser floss direkt an den Schotterwegen entlang. Statt eines Sandstrands
gab es am Meer nur Felsen und heruntergekommene Baracken. Ans Schwimmen war
gar nicht zu denken.
Wie ganz Barcelona hat sich auch Poblenou durch die Olympischen Spiele 1992
neu ausgerichtet, es entstand die heute so beliebte Promenade. Die zweite
große Veränderung brachte ein Stadtumbau Anfang der 2000er Jahre. Poblenou
wurde zum Zentrum von Barcelonas neuer Start-up-Szene. Große Firmen wie
Amazon, Meta oder Google ließen sich hier nieder. Und mit den
internationalen Unternehmen kamen die internationalen Arbeitskräfte.
Die katalanische Regierungsagentur Catalonia Trade & Investment unterstützt
seit Jahren globale Tech-Firmen bei ihrer Niederlassung in der Stadt. Laut
der [5][Financial Times] zählt Barcelona inzwischen zu den Top drei der
europäischen Start-up-Städte. Möglich machen das einladene
Unterstützungsprogramme. Die Stadt bietet Subventionen für Selbstständige,
vereinfachte Visaverfahren für digitale Nomad:innen und Steuervorteile
für Start-ups. Das macht das Leben von Gründer:innen einfacher und
Barcelona für Expats attraktiver.
Und auch bei der Integration will die Stadt helfen. Die Abteilung Barcelona
International Welcome bietet Expats persönliche Unterstützung und Beratung
an. „Willkommen, Talente“ heißt es auf der Website.
In Poblenou bestimmen heute moderne Bürogebäude und stylische Cafés das
Stadtbild. Die kreative Unternehmer:innenszene hat übernommen. Joan
Maria Soler schaut die gläsernen Bürotürme hinauf. Nur vereinzelt ragt
dahinter noch ein verrosteter Schornstein in den Himmel. Das Viertel ist
bei Expats wegen der vielen Arbeitsplätze beliebt, der Strand ist fußläufig
zu erreichen.
„Die Industrie war die Realität von Poblenou, heute ist das Viertel wie
Science-Fiction“, merkt eine Anwohnerin an, „und all das ist in nur 50
Jahren passiert?“ Aus dem „katalanischen Manchester“ ist das „Brooklyn
Barcelonas“ geworden, Magazine bezeichnen Poblenou als „Barcelonas
coolstes Stadtviertel“. Joan Maria Soler ist ganz anderer Meinung. Die
Zuschreibungen seien bloß Marketing und sollen Investitionen anziehen. Von
den Interessen der Bewohner:innen sei das weit entfernt.
Er läuft entlang der Rambla de Poblenou, der Flaniermeile des Viertels.
„Hier war mal eine Metzgerei“, sagt Joan Maria Soler ruhig und deutet auf
ein amerikanisches Restaurant, vor dem eine große Touristengruppe sitzt.
„Daneben ein Eisenwarenladen, hier wurden Lampen verkauft, dort gab es
Churros.“ Er zeigt auf ein Nagelstudio, ein libanesisches Restaurant, ein
Café, das für „Good coffee and vibes“ wirbt.
Die Nachbarschaftsläden verschwinden aus Poblenou. „Wir finden hier keine
lokalen Geschäfte mehr, sondern nur noch große Franchise-Ketten und
Restaurants für Tourist:innen“, merkt Joan Maria Soler an.
Dass sich Barcelona sehr verändert hat, bemerken auch die Expats. Jake
Wright hat die morgendliche Meditationsgruppe am Strand ins Leben gerufen.
Vor vier Jahren ist er aus seiner Heimat Melbourne nach Barcelona gezogen.
Als selbstständiger Osteopath und Gesundheitscoach möchte er sich für mehr
Achtsamkeit in der Stadt einsetzen. Mit seinem Unternehmen Show Up
organisiert er unter anderem spirituelle Retreats.
„Wir haben vor gut zwei Jahren zu sechst damit begonnen, jetzt kommen Woche
für Woche meist 200 Menschen“, erzählt der 31-Jährige. Aktuell plant er, in
Barcelona ein Saunazentrum zu errichten. Wie immer lädt Wright die anderen
Teilnehmenden nach der Morgenmeditation in ein Café im Strandviertel ein.
„Wir möchten Verbindung schaffen“, sagt er, den Kaffeebecher in der Hand
und das Gesicht in der Sonne. Er trägt den Pullover seiner eigenen Marke,
die zu Show Up dazu gehört: „Sag Menschen, dass du sie liebst“, steht auf
Englisch auf der Rückseite.
Viele Expats sind dankbar für solche Veranstaltungen. Die meisten kommen
alleine nach Barcelona und suchen Anschluss. Wer genau als Expat gilt, ist
nicht offiziell definiert. Hört man sich um, ergibt sich ein Bild: [6][Oft
sind es junge Erwachsene zwischen 20 und 40 Jahren, die privilegiert
aufgewachsen sind und einen hohen Bildungsabschluss haben]. Viele Expats
arbeiten als Software-Entwickler:innen, im Vertrieb, in der
wissenschaftlichen Forschung oder sind Unternehmer:innen. Ein Großteil
ist für Firmen ihres Herkunftslandes tätig und verdient ein entsprechendes
Gehalt.
Doch viele Expats kommen auch nur für die Stadt. Einige erzählen, dass sie
monatelang nach einem Job in Barcelona gesucht hätten, nur um endlich an
ihrem Sehnsuchtsort leben zu können. Sie geben sich teilweise mit
niedrigeren Gehältern und Praktika zufrieden, Hauptsache, Sonne, Strand und
Meer. Sie wollen die grauen Winter Nordeuropas hinter sich lassen, die
Schnelllebigkeit der Finanzmetropolen und die Langeweile vieler
Kleinstädte. Barcelona verbindet für sie Urlaubsgefühl mit dem kulturellen
Angebot einer Großstadt.
Mehrere Magazine wählten Barcelona 2025 zu den lebenswertesten Städten der
Welt, bezeichneten es als „das neue New York“. Mit dem guten Ruf wächst die
Zahl der internationalen Einwohner:innen stetig an. Mehr als ein
Drittel der Bevölkerung wurde nicht in Spanien geboren. Wie viele davon aus
reicheren Ländern stammen, kann nur geschätzt werden. [7][Laut offiziellen
Zahlen sind es mehr als 86.000]. Forschende vermuten das Doppelte, was 10
Prozent der Bevölkerung bedeuten würde. Wahrscheinlich sind es mehr, denn
viele Expats kommen nur für wenige Monate und lassen sich gar nicht erst
registrieren.
Währenddessen wächst der Widerstand der Einheimischen. Schon länger macht
Barcelona mit tourismusfeindlichen Schlagzeilen auf sich aufmerksam. [8][Im
Jahr 2024 kamen fast 16 Millionen Besucher:innen] – eine Zahl, die die
Stadt mit ihren 1,7 Millionen Einwohner:innen regelmäßig an ihre
Belastungsgrenze bringt. Bilder von Einheimischen, die Tourist:innen mit
Wasserpistolen angriffen, gingen um die Welt. Unübersehbar die vielen
Sticker und Graffiti an den Hauswänden und Laternenpfählen, die „Tourists
go home“ fordern. Immer öfter heißt es abgewandelt auch: „Expats go home�…
Direkt gegenüber dem Café, in dem die Meditationsgruppe von Jake Wright
ihren Kaffee trinkt, steht auf Englisch „Kein Willkommen, Ausländerschwein“
an einem Pfahl.
Das Graffito auf der anderen Straßenseite fällt auch der Gruppe auf. „Vor
zwei Jahren kam mir die Stadt noch gastfreundlicher vor“, sagt jemand. „Ich
habe auch das Gefühl, dass ich mich vor Einheimischen viel öfter dafür
rechtfertigen muss, dass ich in Barcelona lebe“, stimmt eine zweite Person
zu. Alle bemerken die zunehmenden Spannungen in der Stadt. Dabei bleibt es
nicht nur bei Schriftzügen auf den Straßen.
Nachdem Jake Wright von der Meditationsgruppe der spanischen Zeitung [9][El
Periodico ein Interview] über sein Unternehmen gegeben hatte, bekam er jede
Menge wütende Kommentare. Er solle in sein Land zurückkehren und habe kein
Recht, in Barcelona zu leben. Wright möchte aber nicht als jemand gesehen
werden, der für Probleme sorgt. „Ich verstehe die Sorgen, es gibt viel
Zuwanderung in Barcelona. Und natürlich trage ich dazu bei. Aber ich möchte
die Kultur nicht spalten. Meine Veranstaltungen sind für alle gedacht,
nicht nur für Expats.“ Es finden bereits Meditationen auf Spanisch statt,
er arbeitet mit Einheimischen zusammen.
Er deutet auf seinen Geschäftspartner neben sich, mit dem er das
Saunazentrum eröffnen möchte. Enric Gabarro kommt aus einem Vorort
Barcelonas und sei daher „das beste Beispiel für Verbindungen mit
Einheimischen“. Auch er hat an diesem Morgen den Sonnenaufgang am Meer
miterlebt und frühstückt nun gemeinsam mit der Gruppe, wie so oft. „Ich
liebe diese Meditation am Strand“, sagt er.
Enric Gabarro deutet auf das ausländerfeindliche Graffito auf der
gegenüberliegenden Straßenseite: „Es ist bezeichnend, dass diese Aussage
dort auf Englisch und nicht auf Spanisch steht. Denn die Wut richtet sich
nur auf reiche Expats, nicht auf alle Migrant:innen.“ Für Enric Gabarro
ist Barcelona eigentlich eine offene und liberale Stadt. Diese
Gastfreundschaft zeige sich aber nur gegenüber ärmeren Einwander:innen
aus Südamerika oder arabischen Staaten. „Warum sind wir nur auf die
Migrant:innen aus reichen Ländern wütend?“, fragt er sich. Wut auf
Ausländer:innen sei schließlich generell fehl am Platz und die
Auswirkungen von Migration müsse man insgesamt kontrollieren. Dass es einen
Unterschied macht, ob jemand die Wahl hat, nach Barcelona zu ziehen oder
nicht, kommt an dem Café-Tisch an diesem Tag nicht zur Sprache.
Wie in vielen Ländern weltweit wächst auch in Spanien der Rechtspopulismus,
die Partei Vox sieht einkommensschwache Migrant:innen als
[10][„Belastung und Gefahr für die Sicherheit“]. In Barcelona ist diese Art
rassistischer Erzählungen weniger ausgeprägt als in anderen Landesteilen.
Die Stadt gilt als eine der progressivsten in Spanien. Seit Jahren wird
Barcelona von linken Kräften und Sozialisten regiert, Bürgerinitiativen
setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein. Es geht weniger um Migration und
viel mehr um Geld.
Joan Maria Soler von der Nachbarschaftsvereinigung sitzt derweil in einer
alten Bar an einer Straßenecke in Poblenou und bestellt einen Eiskaffee.
Das Lokal wirkt noch fast so wie vor Jahrzehnten. Es gibt keine englische
Speisekarte, hinter der Theke stapeln sich die Kästen mit dem einheimischen
Bier Estrella-Damm.
Doch die Veränderung des Viertels ist allgegenwärtig. Direkt auf der
anderen Straßenseite wird ein Geschäft umgebaut. Noch klebt Pappe an den
Schaufenstern, aber der Schriftzug verrät, was es einmal werden soll:
„Coffee – Plant Based“ steht an den Scheiben. Joan Maria Soler blickt auf
das neue Lokal gegenüber. „Die Preise, die in diesen Cafés genommen werden,
sind für uns Einheimische nicht normal.“ Wer einen solchen
„Speciality-Coffee“ möchte, zahlt dafür fast das Doppelte des Preises in
einer traditionellen Bar.
Joan Maria Soler schweigt lange. Dann sagt er: „Dieses Viertel ist meine
Heimat, fühlt sich aber kaum noch so an.“ Dem Hass auf Expats will er sich
aber nicht anschließen. Er betont: „Wir machen es uns zu einfach, wenn wir
bestimmte Personengruppen beschuldigen. Es sind die dahinterliegenden
Dynamiken, die für Probleme wie die viel zu hohen Mietpreise sorgen.“ Die
Nachbarschaftsvereinigung kritisiere keine Individuen. „Die Wut ist
vielmehr Spiegelbild eines latenten Unbehagens.“
Neben dem Kaffee wurde auch das Wohnen lange Zeit immer teurer. Die
steigende Nachfrage in den beliebten Vierteln wie Poblenou, in denen ein
Großteil der Expats lebt, hat die Preise in die Höhe getrieben.
Kapitalinteressen von Investor:innen verschärfen die Wohnungskrise.
Denn Immobilienfonds kaufen zunehmend Wohnungen als Spekulationsobjekte,
statt sie zu vermieten. „Es ist für uns absolut unmöglich geworden, hier in
Poblenou noch eine Wohnung zu bezahlen“, sagt Joan Maria Soler. Seit März
2024 gilt nun in Katalonien in allen Regionen mit angespanntem
Wohnungsmarkt ein Mietendeckel. Ein Jahr später waren die Mieten in
Barcelona um 6,4 Prozent gesunken.
Bis das zu einer spürbaren Entlastung führt, dauert es aber noch, denn in
den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten in der Stadt um rund 70 Prozent
gestiegen. Ein Quadratmeter in einer Mietwohnung kostet heute
durchschnittlich 26 Euro, spanischer Rekord. Zum Vergleich: In Berlin sind
es derzeit etwa 15 Euro. Die Wohnungsnot trifft vor allem die lokale
Bevölkerung. Tausende Anwohner:innen zogen in den vergangenen Jahren
wegen der hohen Preise von der Innenstadt in die Randregionen der
Metropole. Zwangsräumungen gehören zum Alltag: Im ersten Quartal 2025
wurden in der Region Katalonien [11][über 2.000 Haushalte verdrängt], weil
sie die Miete nicht mehr zahlen konnten.
Teil des Problems ist auch, dass in Barcelona kaum neuer Wohnraum entsteht:
Nirgendwo sonst in Spanien werden [12][so wenige Neubauten errichtet].
Dabei wächst die Nachfrage rasant.
Viele Expats, die Gehalt aus reicheren Ländern beziehen, können sich höhere
Preise leisten. Andere rechtfertigen sich: „Ich verdiene mein Geld mit
meinen Unternehmen in Spanien und mache mir genauso Sorgen über die
Inflation und Wohnungskrise. Die Regierung sollte auf die Preistreiberei
von Investor:innen reagieren“, findet Jake Wright. Laut einer Studie
beziehen [13][30 Prozent der Expats] ein durchschnittliches spanisches
Einkommen oder weniger.
Der Wissenschaftler Jose Mansilla fordert weniger Polarisierung zwischen
„den Expats“ und „den Einheimischen“. Er lebt selbst im Stadtteil Poble…
und forscht zu urbaner Anthropologie an der Autonomen Universität
Barcelona. Seine Wort sind klar: „Expats tragen keine Schuld daran, dass
sich Barcelona verändert. Es ist die gesamte Mittelschicht, die die
Unterschicht aus der Stadt verdrängt.“ Die Gentrifizierung Barcelonas habe
bereits vor über 15 Jahren begonnen, und nicht erst in dem vergleichsweise
kurzen Zeitraum, in dem die Zahl der Expats so angestiegen sei.
Angehörige der Mittelschicht verdienen in Spanien im Schnitt etwa 2.460
Euro netto im Monat, haben einen höheren Bildungsabschluss und ähnliche
Konsumgewohnheiten. Ob Ausländer:in oder einheimisch, die Mittelschicht
gehe in bestimmte Bars, die Menschen der Arbeiterklasse nicht besuchen, so
Jose Mansilla. Sie kann sich die steigenden Mieten eher leisten. „Es ist
sehr leicht, in eine ‚Expats oder Touristen go home‘-Rhetorik zu verfallen.
Aber es wäre naiv und unangemessen, Expats die Schuld am Wandel Barcelonas
zu geben“, erklärt Jose Mansilla. Im Gegenteil: Sie sollten als Verbündete
betrachtet werden, denn auch sie kämpfen immer mehr mit den steigenden
Mieten.
„Der Protest der Einheimischen ist gerechtfertigt und wir sollten ihn ernst
nehmen. Aber wir müssen aufpassen, dass die Forderungen nicht in eine
Fremdenfeindlichkeit von links übergreifen“, betont Anthropologin Fabiola
Mancinelli, Professorin an der Universität Barcelona. Denn die Schuld an
den bestehenden Spannungen liege nie bei einzelnen Menschen. „Wenn wir nur
auf Migrant:innen schauen, lenken wir von den schwerwiegenderen
Problemen ab.“
Die sozialistische Regierung hat bereits entschieden, bis 2028 alle
touristischen Mietwohnungen in Barcelona abzuschaffen, um Wohnraum zu
sichern. Schon jetzt werden dafür keine neuen Lizenzen mehr ausgestellt.
Vergangenes Wochenende teilte die spanische Regierung mit, mehr als
[14][53.000 illegale Ferienwohnungen von den Onlineplattformen streichen zu
lassen]. Ministerpräsident Pedro Sánchez kündigte an, sie bald dem
regulären Wohnungsmarkt zuzuführen.
Seit dem Jahr 2018 müssen außerdem 30 Prozent aller Neubauten in Barcelona
Sozialwohnungen sein. Fünf Jahre später wurden davon allerdings gerade
einmal acht einzelne Wohnungen fertiggestellt.
Die linke Oppositionspartei Barcelona en Comú fordert stärkere Maßnahmen
gegen die Wohnungskrise und schärfere Kontrollen: „Es braucht direkte
Eingriffe in den Markt. Großbesitzer:innen müssen strenger besteuert
werden und es müssen mehr Sozialwohnungen erworben werden, statt auf Neubau
zu setzen.“
Ein positives Beispiel sei Amsterdam, wo der Immobilienkauf nur noch
erlaubt ist, wenn Eigentümer:innen auch einige Jahre darin wohnen.
Oder Paris, wo 50 Prozent aller Neubauten in bestimmten Gebieten entstehen
müssen. All das sollte auch für Barcelona gelten, so Barcelona en Comú.
Die Partei sieht die Zunahme von Expats in Barcelona kritisch und
kritisiert die derzeitige Regierung: „Sie unternimmt nichts, um ein
Gleichgewicht wiederherzustellen. Mehr noch, sie begrüßt die Ankunft der
internationalen Arbeiter:innen und betrachtet sie als Quelle des
Reichtums.“ Notwendig seien regulierte Mietpreise, ein Verbot der
Saisonvermietung und wettbewerbsfähige Löhne.
Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Städten, in denen eine
Gentrifizierung stattfindet, ist Barcelona ein Sonderfall. „Die
Konsequenzen fallen hier deutlicher auf als in London oder Paris, weil die
Stadt zum einen nicht besonders groß ist“, erklärt Fabiola Mancinelli.
Barcelona ist eingekesselt: Im Osten liegt das Meer, im Westen sind die
Berge, im Norden und Süden Flüsse. Der Platz kann nicht weiter ausgedehnt
werden, was bestehende Spannungen nur verstärkt.
Zum anderen kämpft die spanische Region Katalonien seit Jahrzehnten um ihre
Identität. Nur noch etwa [15][30 Prozent der Bevölkerung] spricht
regelmäßig Katalanisch. Einheimische sind stolz auf ihre Kultur. Und
vermutlich ist der Widerstand gegenüber Ausländer:innen auch deswegen
so groß: Es herrscht Sorge, dass die katalanische Identität mit der
ansteigenden Zuwanderung komplett ausstirbt. Joan Maria Soler teilt diese
Befürchtung. Er blickt auf das veränderte Stadtviertel um sich herum: „Wenn
keine Regulationen kommen, wird die Identität von Poblenou verloren gehen.“
Auch vor dem Café kommt das Thema an diesem frühen Morgen auf. Eine
Argentinierin, die an der Meditation teilgenommen hat, fragt noch: „Warum
sollte ich Katalanisch lernen, wenn mich doch auch jede:r auf Spanisch
versteht?“ Diese Ansicht teilen viele Expats. Enric Gabarro widerspricht
klar: „Wer hierherzieht, sollte Katalanisch lernen. Jede:r trägt die
Verantwortung für die eigene Integration. Und zu Barcelona gehören zwei
Sprachen. Unsere Kultur darf nicht einfach verloren gehen.“
Immer wieder beklagen Einheimische, dass sich die privilegierten
Ausländer:innen kaum integrieren. Das Klischee lautet: Viele Expats
bleiben unter sich, sprechen nur Englisch und besuchen statt lokaler
Geschäfte die internationalen Cafés, in denen es Matcha Latte gibt. Joan
Maria Soler beunruhigt das: „Es entsteht einfach kaum Kontakt zwischen
Expats und uns Einheimischen.“ Er unterscheide zwischen denen, die sich
aktiv integrieren, und jenen, die nur ein paar Monate bleiben und in ihren
internationalen Gruppen verharren.
„Viele dieser Expats gehen in ‚ihre‘ Cafés und Bars. Sie sprechen kein
Spanisch, wir oft kein Englisch. Wie sollten wir uns annähern?“ Joan Maria
Soler weist auf die vielen Vereine und Sportangebote in Barcelona hin. Raum
zum Austausch sei vorhanden. Aber ohne gemeinsame Berührungspunkte
entstünden schnell Stereotype.
In Gesprächen wird deutlich: Viele der Expats wollen genauso wenig ein
Klischee sein, wollen sich integrieren. Wie für viele Ausländer:innen
weltweit ist es meist einfacher, sich mit Menschen zu umgeben, die durch
die gleichen Herausforderungen eines neuen Lebens gehen. „Eigentlich ist es
traurig, dass man in Barcelona auch komplett auf Englisch auskommen kann“,
sagt eine französische Expat dazu.
Er sehe, wie viele Expats sich um Integration bemühten, sagt Enric Gabarro.
„Ich sehe aber auch, dass viele Einheimische diese Integration gar nicht
erst wollen.“
Joan Maria Soler biegt in eine Nebenstraße der Rambla ein. In einem kleinen
Gebäude hat eine Kooperative der Nachbarschaftsvereinigung ihren eigenen
Laden eröffnet, in dem nachhaltige Produkte verkauft werden. In den Regalen
liegt unverpacktes Obst und Gemüse, Milch aus Katalonien steht im
Kühlschrank. Früher gab es viele solcher lokalen Läden, die dann mehr und
mehr den großen Supermarktketten und Geschäften wichen. „Aber es gibt auch
Widerstand gegen den Kommerz“, sagt Joan Maria Soler und weist auf die
gefüllten Regale. „Nicht jeder Wandel ist schlecht.“ Auch manche der Expats
kaufen lieber im kleinen Nachbarschaftsladen als im großen Supermarkt.
Schließlich sind die ein originales Stück Barcelona.
20 Sep 2025
## LINKS
[1] /Barcelona/!t5015072
[2] https://www.catalannews.com/society-science/item/barcelonas-expat-populatio…
[3] /Uebertourismus-in-Spanien/!6042728
[4] https://elpoblenou.cat/qui-som/
[5] https://www.ft.com/content/354f8659-fe96-4872-a395-d80d515b033e
[6] /Arbeiten-aus-Urlaubslaendern/!5905140
[7] https://www.catalannews.com/society-science/item/barcelonas-expat-populatio…
[8] https://professional.barcelonaturisme.com/storage/medias/files/1cqlZosI90W0…
[9] https://www.elperiodico.com/es/que-hacer/planes/20250502/amanecer-cascos-ba…
[10] https://elpais.com/espana/2025-03-31/el-discurso-xenofobo-de-vox-en-jaen-m…
[11] https://www.poderjudicial.es/cgpj/en/Judiciary/Panorama/Los-concursos-pres…
[12] https://observatoriodelalquiler.org/barcelona-no-logra-bajar-el-precio-del…
[13] https://elpais.com/espana/catalunya/2024-05-02/no-es-expat-todo-lo-que-rel…
[14] /Regierung-gegen-Wohnungsnot/!6110239
[15] https://elpais.com/espana/catalunya/2025-02-19/el-catalan-gana-267000-habl…
## AUTOREN
Kathrin Boehme
## TAGS
wochentaz
Lesestück Recherche und Reportage
Barcelona
Auswandern
Expats
GNS
Reden wir darüber
Katalonien
teuer
Kolumne Starke Gefühle
Schwerpunkt Stadtland
Serien-Guide
## ARTIKEL ZUM THEMA
Essen in Katalonien: Heilsame Schäume
Katalonien ist für seine Spitzenküche berühmt, doch die Menschen vor Ort
ernähren sich häufig nicht gut. Die Fundació Alícia will das ändern.
Profitgier bei Untervermietungen: Staatliche Kontrolle ist nötig
Wer seine Wohnung untervermietet, sollte nicht die Not jener ausnutzen, die
eine Bleibe suchen. Notfalls sollte das staatlich geregelt werden.
„Volt“ bei der Europawahl: Wenn Expatschnösel politisch werden
Es ist seltsam, dass plötzlich alle „Volt“ für eine wählbare Partei halt…
Nichts könnte falscher sein, als diese Populisten zu unterstützen.
Das Miteinander in der Öffentlichkeit: Die Welt als Schlafzimmer
Der öffentliche Raum als Zuhause, um das sich alle kümmern: könnte das
nicht wunderbar sein? Aber zum Miteinander gehören halt auch die anderen.
Amazon-Serie „Expats“ mit Nicole Kidman: Gemeinsam einsam
Die Amazon-Serie „Expats“ erzählt von drei höchst unterschiedlichen
US-Auswandererinnen in Hongkong. Ihr Verlorensein verbindet sie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.