# taz.de -- Ausstellung über Wolf Biermann: Am lebenden Objekt | |
> Das Deutsche Historische Museum zeigt eine große Schau über Wolf Biermann | |
> und seine beiden Deutschlands. Über eine Liebes- und Hassfigur. | |
Bild: Wolf Biermann, Konzert vor der Ausbürgerung aus der DDR, Köln | |
Da steht das Monster, nicht mitten im Raum, sondern eher unauffällig an | |
einer Wand: grau, groß, kalt und still. Das „Umlauf-Karteigerät Typ KG II“ | |
wurde in Gotha hergestellt und hat Platz für viele, für sehr viele | |
Karteikarten. Dieses hier, wie könnte es beim Thema Biermann anders sein, | |
kommt von der Staatssicherheit, wo es gewiss treue Dienste im Kampf gegen | |
kapitalistische Wühlarbeit geleistet hat. | |
Daneben finden sich ein paar faksimilierte Blätter aus Biermanns | |
Stasi-Akte, die insgesamt 50.000 Seiten umfasst. „Menschlich fühl’ ich mich | |
verbunden mit den armen Stasi-Hunden“, sang Biermann einst in der | |
Chausseestraße, doch die Staatssicherheit war blöde genug, aus der Zeile | |
„die Stasi ist mein Eckermann“ einen „Henkersmann“ zu machen. Lag es am | |
Rauschen der Abhörgeräte, an zu viel Ohrenschmalz oder fehlenden | |
Kenntnissen über Goethes Sekretär in der Normannenstraße? | |
Das Berliner Deutsche Historische Museum hat eine Biermann-Ausstellung auf | |
die Beine gestellt. Solch Unterfangen ist aus den verschiedensten Gründen | |
ein Wagnis. Das Schwierigste: Der Mann lebt noch, und er ist nicht | |
unbedingt für bescheidene Zurückhaltung bekannt. Wir wollen es Museumschef | |
Raphael Gross dennoch gerne glauben, dass sich Wolf Biermann in die | |
Konzeption seiner Schau nicht eingemischt hat. | |
Dafür fehlen auch jegliche Indizien: Der Ausstellung gelingt es, ihren | |
Protagonisten nicht zu beweihräuchern, aber ihn dennoch als den | |
darzustellen, der er nun einmal ist: eine deutsch-deutsche Liebes- und | |
Hassfigur, ein Kommunist und Merkel-Wähler, Fan der Grünen und Mitarbeiter | |
der Tageszeitung Die Welt. Tja. „Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt | |
drin um.“ | |
## Tiefpunkte deutscher Geschichte | |
Natürlich sind da die Bilder aus Köln ausgestellt, gemacht am 13. November | |
1976 bei dem legendären Konzert, nach elf Jahren Auftrittsverbot in der | |
DDR. Drei Tage später folgte als Reaktion die Ausbürgerung aus dem „ersten | |
deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat“ (Eigenwerbung), die schon vorher | |
beschlossen worden war. | |
Wer sich die volle Dröhnung geben will, kann auf einem Bänkchen in einem | |
kleinen Nebenraum Platz nehmen und sich das ganze vielstündige Kölner | |
Konzert reinziehen und dabei feststellen, dass er auch nicht jünger | |
geworden ist. Zu sehen ist in der Ausstellung aber auch das Harmonium, auf | |
dem Biermann an diesem Abend spielte, und ein Foto seines Vaters Dagobert, | |
der an diesem Tag seinen 72. Geburtstag hätte feiern können, wenn er nicht | |
elendig von den Nazis 1943 in Auschwitz ermordet worden wäre, als Jude und | |
als Kommunist. | |
Dass die deutsche Geschichte für so einige Tiefpunkte gut ist, erkennt man | |
ein paar Meter weiter beim Durchblättern des Neuen Deutschland vom 22. | |
November 1976. Seitenlang erklären da Kulturschaffende wie Angehörige der | |
Arbeiterklasse, wie weise doch der Beschluss der Staatsführung gewesen sei, | |
diesen Biermann aus der DDR zu werfen – die Leserbriefflut ist eine | |
Reaktion auf die vehementen Proteste von DDR-Intellektuellen gegen diesen | |
Schritt. | |
Dabei haben sich die Propaganda-Macher dummerweise in ihrer eigenen | |
Argumentation verheddert. Wieso eigentlich wissen all diese | |
Biermann-Kritiker so gut über den Sänger und Dichter Bescheid, wenn von dem | |
doch über mehr als ein Jahrzehnt kein Sterbenswörtchen zu hören gewesen | |
ist? Haben die etwa West-Fernsehen geguckt? | |
Doch kehren wir noch einmal zurück zu Vater Dagobert. Wolf Biermann hat | |
selbst erklärt, seine Ausreise aus der Bundesrepublik in die DDR im Jahr | |
1953 sei auch von dem Willen beseelt gewesen, das Vermächtnis des | |
ermordeten Vaters der Erfüllung näher zu bringen – den Kommunismus | |
voranzubringen. Der junge Biermann ist begabt und er hat Glück. Er darf als | |
Regieassistent unter Helene Weigel am Berliner Ensemble arbeiten. Seine | |
Lyrik wird veröffentlicht. | |
Doch dann geht [1][Biermann in den Augen der DDR-Bonzen zu weit]. Er wagt | |
es, den Mauerbau am Theater zu thematisieren. Seine Antrag auf | |
SED-Mitgliedschaft wird abgelehnt. Man kann in der Ausstellung das | |
Schriftstück bewundern. Ab 1965 erhält Biermann Auftritts- und | |
Publikationsverbot. | |
Erst viele Jahrzehnte später, nun in die Bundesrepublik zwangsweise | |
zurückgekehrt, hat Wolf Biermann an die jüdische Herkunft seines Vaters | |
angeknüpft – mit der Übersetzung von Jizchak Katzenelsons Poem über den | |
Aufstand im Warschauer Ghetto, mit Besuchen in Jerusalem und auch mit | |
seinem Bekenntnis zum Staat Israel während des US-Kriegs gegen den Irak, | |
den er für legitim hielt. Und mit seinem eigenen Holocaust-Mahnmal im | |
Hamburger Garten. Auch dieser Teil von Biermann kommt in der Ausstellung | |
zur Sprache. | |
## Krumme Versuche zu dichten | |
Das Vermächtnis des Vaters, der Kommunismus, ist bei Biermann früher | |
abhanden gekommen, wenn auch erst nach seiner Ausbürgerung. Wenn man sich | |
seine Werke in der Zeit unmittelbar nach 1976 anschaut, seine krummen | |
Versuche, über Grüne, Nazis, den Umweltschutz und Gorleben zu dichten, kann | |
man sich die Trennungsschmerzen vorstellen, die zunächst eine gewisse | |
politische Verwirrung zur Folge hatten. | |
281 Objekte auf 560 Quadratmeter Fläche gibt es in Berlin zu Biermann zu | |
sehen. 99 dieser Exponate stammen aus Wolf Biermanns Vorlass, den der heute | |
86-Jährige vor zwei Jahren der Berliner Staatsbibliothek vermacht hat. Und | |
doch fehlt da etwas. | |
Die Projektleiterin des Deutschen Historischen Museums Doris Blume drückt | |
es so aus: Die Ausstellung „fokussiert auf die Zeiten aus Biermanns Leben, | |
die historische Patina haben“, sagte sie vor der Eröffnung der Schau. Das | |
ist einem historischen Museum einerseits kaum zu verdenken, andererseits | |
wird so der Erzählfaden immer dünner, je weiter Biermanns Geschichte | |
voranschreitet. | |
Ja, es ist schon sehenswert, wie Biermann bei seinem Auftritt im Bundestag | |
anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls 2014 sich der Linkspartei | |
annimmt und dabei so richtig glücklich ausschaut (was man über die Linke | |
weniger behaupten kann). Dass Biermann diese Partei für einen reaktionäre | |
Haufen hält, ist nicht ganz unbekannt wie nicht ganz unbegründet. | |
## Biermann auf dem Maidan | |
Dann folgt noch Wolf Biermann auf dem Kiewer Maidan 2014 und die Frage, wie | |
wohl Leipzig im Revolutionsjahr 1989 ausgesehen hätte, wäre damals Wladimir | |
Putin am Ruder gewesen. Das ist aber auch schon wieder neun Jahre her. | |
[2][Und dann ist da nicht mehr viel.] | |
Man hätte schon gerne gewusst, wie Wolf Biermann den russischen Krieg in | |
der Ukraine einordnet und was er über die chinesische Diktatur denkt, auch | |
wenn das vielleicht in Objekten nur schwer darstellbar ist – es gibt ja | |
auch Hörstationen. Und was ist eigentlich mit der Biermann-Rezeption zu | |
seinen DDR-Zeiten in der Bevölkerung – also jenseits der intellektuellen | |
Elite? Da muss man schon Stefan Wolles großartigen Essay im Katalog lesen, | |
um schlauer zu werden, die Ausstellung bietet dazu nur wenig. | |
Und doch fährt es sich nach einem Besuch dieser Ausstellung ganz besonders | |
beschwingt von den Linden südwärts durch die Berliner | |
Heinrich-Heine-Straße, wo früher einmal ein deutsch-deutscher Grenzübergang | |
bestand. Und Fahrräder keinesfalls zugelassen waren. Und Wolf Biermann | |
schon gar nicht. | |
10 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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