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# taz.de -- Art-Washing aus Schardscha?: Kritik als Poliermittel
> In Hamburg ist selten gezeigte, hochkarätige Kunst aus vornehmlich dem
> arabischen Raum zu sehen. Doch dahinter steht eine widersprüchliche
> Stiftung.
Bild: „Saudi Automobile“, 2011, von Künstlerin Sarah Abu Abdallah, Ansicht…
Ein ovales Holzboot, verwittert von der See, gehalten von einem rostigen
Anker. Vor über zehn Jahren hatte die Familie des libanesischen Künstlers
Rayyane Tabet den Kahn zufällig an der Nordküste ihrer Heimat entdeckt. Es
war genau das Boot, das Tabets Vater fast dreißig Jahre zuvor gemietet
hatte, um vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Zypern zu fliehen. Als
„bewegliches Denkmal“ hängt es nun von der Decke der Hamburger
Deichtorhallen.
Tabets Installation „Cyprus“ kommt der Idee der aktuellen Ausstellung „In
the Heart of Another Country“ noch am nächsten: Das Schwanken der Hoffnung
auf eine sichere Bleibe, die mit Exil und Diaspora stets verbundene
Lebensgefahr sind sofort präsent.
Ansonsten darf man das Thema nicht zu wörtlich nehmen. Ein Großteil der 61
Künstler:innen verbindet damit, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens im
Ausland verbracht haben. Als Galionsfigur fungiert [1][die
libanesisch-amerikanische Künstlerin Etel Adnan]. 1925 in Beirut geboren,
lebte sie lange in Kalifornien und Paris. Ihren Titel hat die Ausstellung
von Adnans 2004 erschienenem Poem „In the Heart of the Heart of Another
Country“, in dem sie ihr Wandern zwischen den Welten reflektiert.
In einer Zeit forcierter Migration legt die Schau den Finger in die Wunde
eines global drängenden Problems. Noch dazu mit 150 hochkarätigen, in
Deutschland fast nie gezeigten Werken. Doch warum mussten die
Deichtorhallen dafür auf die Kunstsammlung der Sharjah Foundation
zurückgreifen?
Die Kooperation offenbart ein kunststrategisches Dilemma. Bei fast jedem
Versuch, „unsere hauptsächliche Blickrichtung von Europa nach Nordamerika
und zurück zu erweitern“, wie es Dirk Luckow, dem Chef der Deichtorhallen
vorschwebte, geraten Ausstellungsmacher:innen an widersprüchliche
Partner.
## Schardscha ist eine veritable Art-Location
Das Emirat Schardscha am Persischen Golf mag sich mit seiner 1993
gegründeten Kunstbiennale, deren 15. Jubiläumsausgabe heute, am 7. Februar
eröffnet, inzwischen einen Ruf als veritable Art-Location erarbeitet haben.
Die Lage der Menschenrechte bleibt in dem besonders konservativen Teilstaat
der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mehr als prekär. Dies gilt
insbesondere für Frauen und die LGTB+-Community. In Schardscha gelten die
Scharia und die Todesstrafe, auch wenn letztere kaum vollzogen wird.
Ende 2021 hatten die Vereinigten Arabischen Emirate im Rahmen einer
Liberalisierungsinitiative die obligatorische Zensur für Kinofilme
abgeschafft. Zudem hatten sie das Verbot des Zusammenlebens unverheirateter
Paare aufgehoben. Ganz aufgehoben wurde die Zensur aber nicht. Das
demonstriert der Fall Ahmed Mansoor. In Abu Dhabi, also auch in den VAE,
sitzt der emiratische Menschenrechtsblogger seit 2017 wegen angeblich
staatsgefährdender Tweets in Haft. Die VAE führen auch weiter Krieg gegen
den Jemen und sind in dem Land für eine humanitäre Katastrophe
mitverantwortlich.
Verschafft ein deutsches Museum der absoluten Minimonarchie am Persischen
Golf über den Umweg der Kunst hier etwa die Credibility, die sie politisch
zu Recht nicht erhält?
Eine so offensichtliche Form des Artwashing wie das Emirat Katar betreibt
man in Schardscha nicht. Hoor Al Qasimi ist die Tochter des regierenden
Emirs Sultan bin Mohammed und Chefin der Schardschaer Kunststiftung. Sie
versucht nicht wie ihre Katarer Kollegin Al Mayassa, das kleine Land
zwischen Saudi-Arabien und dem Iran mit gigantischen Museumspalästen und
spektakulären Public Art Projects gleichsam unangreifbar zu machen – und
gibt dafür eine Milliarde Gas- und Petrodollars im Jahr aus.
## Kein Blingbling, sondern kritische Kunst
Die 1980 geborene Hoor, Absolventin der Londoner Kunsthochschule Slade und
der Royal Academy of Arts, hat eine viel klügere Form entwickelt, dem
Emirat Schardscha durch zeitgenössische Kunst ein gutes Image zu geben.
Statt auf glitzernde Kunstspektakel oder teure internationale Stars wie
[2][Isa Genzken] oder Damien Hirst in Katar setzt Hoor auf kritische
Künstler:innen. Etwa auf Hassan Sharif. Der 2016 Verstorbene war ein
Pionier der Konzeptkunst in den Emiraten. Hoor baut ihre Sammlung langsam
und gehaltvoll auf. Als Tochter einer arabischen Elitefamilie unternimmt
sie das freilich aus einer privilegierten Position heraus.
Rund 1.300 Werke seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts umfasst sie
inzwischen. Der Mythos, der Schardschas Sammlung einer kritischen Kunst
vorauseilt, führt dazu, dass selbst ein freiheitsliebender Künstler wie
Halil Altındere aus Istanbul, der seit Jahren gegen die Autokratie des
dortigen Präsidenten ficht, gern darin vertreten ist. Oder Abu Lawrence
Hamdam, der für seine Kunst sehr genau auf die Menschenrechte blicken will,
jedoch in Schardscha offenbar nicht.
Die heute 43-jährige Hoor hat es mit ihrer Sammlungspolitik bis an die
Spitze der International Biennial Association (IBA) geschafft. Auch bei den
Berliner Kunst Werken (KW) wirkt sie im Verein.
Aus einem Dilemma kommt auch sie nicht heraus: Je heller der kritische
Kunststern Schardschas unter ihrer Ägide leuchtet, desto deutlicher fallen
auch die demokratischen Defizite des Emirats auf. Vor einer guten Dekade
fielen politischer und ästhetischer Absolutismus gar direkt in eins: 2011
feuerte Emir Sultan, Schardschas „Ruler“, Jack Persekian, den damaligen
Chef der Kunstbiennale, weil er eine anstößige Arbeit des algerischen
Künstlers Mustapha Benfodil gezeigt hatte. Persekian reagierte auf eine
internationale Beschwerdepetition mit untertäniger Selbstkritik: „Das war
sehr dumm von mir.“
## Großteil des Sammlungsbudgets vom Staat
Trotzdem hat Hoor Al Qasimi den Spielraum der Sharjah Foundation in den
letzten Jahren erweitern können. Seit 2015 ist sie durch ein Dekret ihres
Herrschers staatsunabhängig. Den Großteil ihres Budgets erhält sie nach
eigenen Angaben aber weiterhin vom Staat. Eine genaue Summe will sie nicht
nennen.
Mit dem ägyptischen Kunsthistoriker Omar Kholeif, der auch die Hamburger
Ausstellung kuratierte, berief Hoor Al Qasimi im Sommer 2019 einen offen
schwulen Sammlungsleiter und Chefkurator, bislang ohne offene Kritik der
Schardschaer Konservativen hervorzurufen.
So sehr die Zusammenarbeit zwischen den Deichtorhallen und der Sharjah
Foundation nun Fragen aufwirft, instrumentalisiert hat die emiratische
Stiftung die Hamburger offenbar nicht. Die Initiative zu der Schau soll
sogar von Direktor Luckow ausgegangen sein. Er will sie auch vollständig
selbst finanziert haben. Die genaue Höhe der Kosten will er jedoch nicht
preisgeben. Als Hauptsponsor der Foundation listen die Hallen die
„Investbank“ mit Sitz in Schardscha auf, als Sponsoren der Ausstellung
unter anderem den Freundeskreis und die Hamburger Kulturbehörde.
## Wer kennt Ibrahim Massouda?
Von all den politischen Hintergründen erfahren die Besucher der Schau an
der Elbe nichts. Und will man sie weiter außer Acht lassen, so kann sich in
der Ausstellung eine weitestgehend unbekannte Kunstgeschichte jenseits der
transatlantischen Moderne eröffnen.
Wer hat hierzulande schon von Ibrahim Massouda gehört? Der 1925 als Sohn
jüdischer Eltern in Ägypten geborene Künstler gehörte zu den Mitbegründern
der Kairoer „Gruppe für moderne Kunst“ und gilt als wichtiger Vertreter des
ägyptischen Surrealismus.
Seine Spuren verlieren sich, er soll bereits mit vierzig Jahren verstorben
sein. Die engelsgleiche, an Marc Chagall erinnernde Flügelgestalt über
einer dunkelbraunen Stadt auf einem Gemälde aus den 1950er Jahren scheint
in ein ewiges Exil zu streben.
8 Feb 2023
## LINKS
[1] /Ausstellung-von-Etel-Adnan-in-Muenchen/!5890702
[2] /Bildhauerei/!5199479
## AUTOREN
Ingo Arend
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