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# taz.de -- Europas Museumsleute in Saudi-Arabien: Kulturelle Feigenblätter
> Der Kunsthistoriker Hartwig Fischer ist einer von vielen aus dem
> europäischen Kulturbetrieb, die nun in Saudi-Arabien hohe Museumsposten
> bekleiden.
Bild: Eine von mehreren neuen Locations für Saudi-Arabiens Kultur: Ausstellung…
Elf Jahre Gefängnis. Zu dieser Strafe verurteilte ein saudisches Gericht
Anfang Januar Manahel al-Otaibi. Das „Verbrechen“ der 29-jährigen
Fitnesstrainerin und Aktivistin für Frauenrechte: Auf Snapchat hatte sie
2022 das saudische Männervormundschaftsgesetz und dasjenige zum Hidschab
kritisiert und sich beim Shopping ohne den obligaten Schleier gezeigt.
Prompt folgte eine Anklage wegen „terroristischer Straftaten“.
Der Fall der Saudi-Frau offenbart, [1][wie ernst es das Land mit dem
„womens empowerment“ meint,] das zu den erklärten Zielen der „Vision 203…
gehört, mit der Kronprinz Mohammed bin Salman, der De-facto-Monarch des
arabischen Königreichs, seine Heimat seit 2016 zu „modernisieren“ sucht.
Wer gegen den 38-jährigen Thronfolger, dem bis heute das
Kettensäge-Massaker an dem Blogger Jamal Kashoggi 2018 in Istanbul zur Last
gelegt wird, opponiert, wird bestraft. Die Tragik des Falls: Al-Otaibi
gehörte zunächst zu den überzeugten Anhängerinnen der royalen Vision.
Ihre Strafe ist freilich nicht die einzige. In den letzten zwei Jahren
haben saudische Gerichte nach Angaben von Amnesty International und
saudischer Menschenrechtsorganisationen Dutzende Personen wegen ähnlicher
Äußerungen in den sozialen Medien verurteilt. Einhundert Menschen wurden
2024 in dem Land hingerichtet, eine/r fast jeden zweiten Tag.
Diese düstere Bilanz hindert die internationale Kulturwelt jedoch nicht,
dem Ruf der saudischen Regierung scharenweise zu folgen. Wo viel Geld
vorhanden ist, da treten die in der Kulturszene gern lautstark bemühten
moralischen Werte in den Hintergrund.
## Erdölwirtschaft wird durch Kreativwirtschaft ersetzt
Für ihre „Vision 2030“ macht die saudische Regierung Milliarden Dollar
locker, um die auslaufende Erdölwirtschaft durch die Kreativindustrie zu
ersetzen und [2][überzieht das Land mit immer neuen Sportereignissen,
Musikfestivals, Megastädten und neuen Museen].
2022 war Iwona Blazwick, bis dahin Chefin der renommierten Londoner
Whitechapel Gallery, zur neuen Chefin der Königlichen Kommission für Public
Art in der prähistorischen Wüstenoase AlUla berufen worden. Zu ihren
Aufgaben gehört auch der Aufbau einer Zweigstelle des Pariser Centre
Pompidou ebenda. Dann ließ sich die deutsche Kuratorin Ute Meta Bauer zur
künstlerischen Leiterin der zweiten Ausgabe der Diriyah-Biennale ernennen,
die das saudische Kulturministerium in der Hauptstadt veranstaltet.
Dass die Bereitschaft groß ist, sich zum kulturellen Feigenblatt der
kompromittierten saudischen Regierung zu machen, beweist mit Hartwig
Fischer nun der jüngste Fall. Der 62 Jahre alte deutsche Kunsthistoriker
soll Direktor des Museum of World Cultures werden. Sein zukünftiges Haus
ist Teil eines Ensembles von Kulturinstitutionen, das als Royal Art Complex
nach Plänen des 2022 verstorbenen spanischen Architektenstars Ricardo
Bofill in Riad entsteht. 2026 soll es eröffnen. Die Aussicht, beim Aufbau
der gigantischen Prestigeobjekte aus dem Vollen der Erdöldollars schöpfen
zu können, dürften eine ausschlaggebende Rolle für die Annahme des Jobs
gespielt haben.
Der global vernetzte Museumsmann Fischer kann auf eine erfolgreiche
Karriere an der Spitze der Kunstsammlungen in Hamburg und Dresden
zurückblicken. Von seinem letzten Job als Direktor [3][des renommierten
British Museum in London] musste er allerdings zurücktreten. Während seiner
Zeit waren dort rund 2.000 Objekte aus dem Archiv verschwunden und illegal
verkauft worden. Fischer wird in Saudi-Arabien der neu eingerichteten
Museums Commission unterstehen, eines von elf königlichen Gremien, die
Verbindungen zu internationalen Spezialisten aufbauen sollen – vom Theater
bis zur Performance-Kunst. Ihr Chef ist der italienische Museumsmann
Stefano Carboni.
## Historischer Euphemismus
Fragt man die Protagonist:innen des Saudi-Rushs nach ihren Motiven,
antworten sie meist mit historischem Euphemismus: „Ich möchte mich lieber
dort engagieren, wo ich zur Meinungsfreiheit und zur Förderung der Kunst
beitragen kann“, beschied [4][Iwona Blazwick.] „Ich habe mich immer für
diesen kurzen Moment des Vakuums interessiert, in dem etwas Neues geformt
werden kann“, begründet Ute Meta Bauer ihre Faszination für Saudi-Arabien.
Schaut man jedoch auf die Menschenrechtslage im Land, dann mag die Kunst in
der Gesellschaft vielleicht etwas in Bewegung gebracht haben, nicht aber
bei der Regierung.
„Einige der Künstler und Kurator:innen glauben vielleicht, dass
Saudi-Arabien ein aufgeklärtes Land ist und eine demokratische Vision bis
2030 hat. Wir, die in der islamischen Soziogeografie leben, wissen sehr
gut, dass dieses Ziel zu weit entfernt ist“, erinnert [5][Beral Madra, die
Doyenne der türkischen Kunstszene] an die historischen Rahmenbedingungen in
Nahost. „Wenn man bedenkt, dass die Türkei das erste Land ist, das sich dem
Laizismus und der Moderne verschrieben hat, waren 100 Jahre immer noch
nicht genug.“
Was Hartwig Fischer anbetrifft: Noch ist nicht klar, was in dem von ihm
geleiteten Museum gezeigt werden soll. Trotzdem interessiert sich die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz schon für eine Zusammenarbeit.
[6][Noch-SPK-Chef Hermann Parzinger] bestätigte Gespräche mit dessen
designiertem Chef. Eine Anfrage der taz zur Art der kulturellen
Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und zur moralischen Verantwortung der SPK
ließ die Stiftung bislang unbeantwortet.
23 Jul 2024
## LINKS
[1] /Artwashing-bei-der-Kunstbiennale-Venedig/!6008606
[2] /Kulturarbeit-fuer-Saudi-Arabien/!5970595
[3] /Raubkunst-aus-der-Akropolis/!5904881
[4] /Streit-um-Kuratorin-Istanbul-Biennale/!5949594
[5] /Drei-Kunstmachende-ueber-Kultur-in-Tuerkei/!5930358
[6] /Kulturpolitik-in-Deutschland/!6019429
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Saudi-Arabien
Frauenrechte
Bildende Kunst
Museum
Kulturpolitik
Kunst
Saudi-Arabien
Wahlen in der Türkei 2023
Ausstellung
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