# taz.de -- Wannsee Contemporary: Die Party von früher | |
> Bei Wannsee Contemporary erinnert sich Elinor Sahm an die | |
> jüdisch-arabischen Familienfeiern. Durch Zeichnungen kommen alle nochmal | |
> zusammen. | |
Bild: „Saba and Yehezkel“ von Elinor Sahm, Bleistift und Graphit auf Leinwa… | |
Heute. In vier Sprachen steht das Wort an der Wand der Galerie Wannsee | |
Contemporary geschrieben, auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Hebräisch. | |
Was in der gleichnamigen Ausstellung zu sehen ist, ist aber ein Stück | |
Vergangenheit. Großformatige Zeichnungen hat die Künstlerin Elinor Sahm | |
aufgehängt. Sie zeigen Gruppen von Figuren, Zweier- und | |
Dreierkonstellationen, einzelne Personen, Kinder und Erwachsene, Gesichter, | |
Körper, Hände, alles ein wenig verwischt und verwackelt, schemenhaft. | |
In den Zeichnungen hat Sahm ein Videoarchiv ihrer Familie verarbeitet, | |
private Aufnahmen von Feiern und Zusammenkünften sind es, von sogenannten | |
„Haflas“, einem arabischen Wort, das so viel wie „Party“ oder | |
„gesellschaftliches Ereignis“ bedeutet, Familientreffen, wie sie sich um | |
Sahms jüdisch-arabischen Urgroßvater Avraham Abuganim, genannt Sabuli, zu | |
dessen Lebzeiten versammelten und bei denen zusammengesessen, gegessen und | |
musiziert wurde. | |
Elinor Sahm ist 1986 in Jerusalem geboren, seit einem Jahr lebt sie in | |
Berlin. In ihrer Familie vermischen sich jüdische, arabische und deutsche | |
Einflüsse. Ihr Urgroßvater mütterlicherseits, jener Sabuli, ist 1909 in | |
Hebron geboren, seine Eltern waren Einwander*innen aus Marokko und | |
Mazedonien, die damals zum Osmanischen Reich gehörten. | |
Sahms Urgroßvater väterlicherseits wiederum – mit ihm hatte sie sich in | |
früheren Arbeiten intensiv auseinandergesetzt – Heinrich Sahm, war von 1931 | |
bis 1935 Oberbürgermeister von Berlin, dessen Enkel, ihr Vater Ulrich W. | |
Sahm, der erst kürzlich verstorben ist, langjähriger Nahostkorrespondent | |
für verschiedene Medien. | |
## Die Fotografin Varda Polak-Sahm | |
Aufgenommen wurden die neueren der Videos aus dem Archiv, das bis in die | |
1950er Jahre zurückreicht, von Sahms Mutter, der im vergangenen Jahr | |
verstorbenen Fotografin und Journalistin Varda Polak-Sahm, oft, so erzählt | |
es die Künstlerin beim Gespräch in ihrer Ausstellung, an Sahms | |
Geburtstagen, in den 1980er, 90er und 00er Jahren. | |
Einst hatten diese Haflas sogar wöchentlich stattgefunden, am Ende des | |
Schabbat, als Abschluss der Woche. Das Miteinander der Kulturen spiegelt | |
sich in den Zeichnungen wider, Sahms Urgroßvater spielte [1][die arabische | |
Oud], eine deutsche Weihnachtspyramide lässt sich auf einer der Zeichnungen | |
im Hintergrund erkennen. | |
Auf einem 21-minütigen Klangstück zur Ausstellung kann man auch die Stimmen | |
der Familienangehörigen hören, ihre Gespräche, ihr Lachen, ihre Lieder, | |
eine Mischung aus Hebräisch, Arabisch und Ladino. In der Galerie ist dafür | |
ein QR-Code platziert. Man kann, muss es sich aber nicht anhören. Nicht | |
sicher war Sahm sich, ob es nach dem 7. Oktober nicht zu viele Fragen | |
aufwerfen würde, weil es keine Übersetzungen für die Texte gibt. Die | |
Zeichnungen, sie stehen ohnehin für sich selbst. | |
## Ausstellung von Elinor Sahm | |
Galerist Avi Feldman hat als Reaktion auf die Massaker der Hamas das | |
Programm von Wannsee Contemporary abgeändert und kurzfristig Sahms | |
Ausstellung organisiert. Davor war in der Galerie noch eine Ausstellung des | |
queeren palästinensischen Künstlers Muhammad Toukhy zu sehen gewesen. | |
Eigentlich ging es um Männlichkeit, Macht und Identität, doch [2][die | |
Ereignisse des 7. Oktobers und deren Folgen] veränderten die Wahrnehmung: | |
„Jeder hat plötzlich Toukhys Werke zu den Massakern in Verbindung gesetzt“, | |
erzählt Feldman. | |
„Man kann es gar nicht nicht ansprechen“, sagt Sahm. In ihrer Ausstellung | |
versucht sie dem Grauen eine utopische Idee entgegenzusetzen, jene nämlich, | |
dass Feiern wie die abgebildeten auch heute stattfinden könnten. Können sie | |
aber nicht. Viele der Familienmitglieder, die Sahm porträtiert hat, leben | |
nicht mehr. | |
Zu erkennen ist das am schwarz-grauen Graphitstift, mit dem sie diese im | |
Gegensatz zu den bunten noch Lebenden gezeichnet hat. Nur auf den | |
Leinwänden kommen sie alle noch mal zusammen. Solch unbeschwertes | |
[3][jüdisch-arabisches Miteinander] erscheint aktuell in der Realität kaum | |
mehr möglich. Das Private ist bei Sahm eindeutig politisch. „Wenn ich mir | |
die Videos ansehe, schmerzt mich der Gedanke, dass ich die schönen Zeiten | |
meines Urgroßvaters nicht mehr leben kann. Es bleibt nur, sie in Erinnerung | |
zu bewahren und auf etwas Besseres zu hoffen“, sagt sie. | |
## Der Wunsch nach einem anderen Heute | |
Nicht erst jetzt hat sich Sahm mit dem Videoarchiv beschäftigt. Schon für | |
ihre Abschlussarbeit an der Bezalel Academy in Tel Aviv hatte sie | |
Ausschnitte daraus an die Wand der Hochschule gezeichnet. Wie damals | |
beziehen sich auch die neuen Zeichnungen nicht auf konkrete Szenen, | |
vielmehr sind sie aus vielen zusammengefügt. | |
Es sei ihr darum gegangen, die Personen zu erfassen. Um deren Bewegungen in | |
Zeichnung zu übersetzen, hat Sahm Einzelbilder einer Sequenz | |
übereinandergelegt. Nur ein Porträt ist ganz still: Es zeigt die Künstlerin | |
selbst im Hier und Jetzt, blau gezeichnet neben zwei in Schwarz gehaltenen | |
Figuren, zärtlich untergehakt hat sie sich bei ihrem Großvater. Der Wunsch, | |
wieder Kind zu sein, drücke sich darin aus, erzählt Sahm – und der nach | |
einem anderen Heute. | |
15 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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