# taz.de -- Nahost-Konflikt in Berlin: Lieber schön bedeckt halten | |
> Eine Fotoausstellung, die muslimisches Leben in Berlin zeigt, wird | |
> zurückgezogen. Es ist ist nicht die erste Absage im Zuge des | |
> Nahost-Kriegs. | |
Bild: Zu kontrovers in diesen Zeiten? Raphael Malik setzt muslimisches Leben in… | |
BERLIN taz | „Inszenierte Dokumentationen“ nennt Raphael Malik seine Fotos. | |
Mithilfe von Freund*innen, die Modell stehen, und von Requisiten, die er | |
mag, setzt er Bilder in Szene, die man unter der Überschrift „Muslimisches | |
Leben in Berlin“ zusammenfassen könnte: Auf drei Fotos tragen junge Männer | |
das arabische Jalabiya-Gewand, zwei zusätzlich eine Kufiya, das Pali-Tuch. | |
Ein Foto zeigt eine junge Frau mit Kopftuch, eines einen betenden Mann in | |
einer Moschee, ein anderes ist eine Nahaufnahme orientalischer Fliesen, die | |
ein grünes Tuch mit arabischen Schriftzeichen rahmen. | |
Zehn Fotos des Charlottenburgers sollten demnächst ausgestellt werden, im | |
Showroom des Print-Dienstleisters Pixel Grain in Mitte. Doch dann bekam | |
Malik, so berichtet er es der taz, vorigen Freitag eine E-Mail, die ihn so | |
schockierte, [1][dass er sie auf Instagram veröffentlichte]. Seine Bilder | |
seien eine „starke Arbeit“, schrieben ihm die Galeristen, doch aufgrund der | |
„aktuellen politischen Lage im Nahen Osten“ habe man sich nach langer | |
Diskussion entschlossen, sie „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht zu zeigen. | |
Zwar sei man sich bewusst, dass die Fotos mit dem aktuellen Konflikt nichts | |
zu tun haben, heißt es weiter in der Mail. „Um Konflikte zu vermeiden, | |
möchten wir eine einseitige Präsentation muslimischen Glaubens ohne einen | |
entsprechenden Gegenpol, der beispielsweise jüdisches Leben in Berlin zum | |
Thema hat, aktuell nicht in einer Ausstellung zeigen.“ | |
## Theater ziehen Stücke zurück | |
Die Absage ist nicht die erste im Zuge des neuen Nahost-Krieges. Am 14. | |
Oktober hatte das Gorki Theater die Aufführung des Stücks „The Situation“ | |
von Yael Ronen abgesetzt, in dem es um Teilnehmer eines Deutschkurses geht, | |
die die „Situation“ in Nahost nach Berlin verschlagen hat. Das Stück sei | |
2015 in einer anderen Realität entstanden, [2][schreibt die Autorin Ronen], | |
diese sei seit dem 7. Oktober, dem Tag des Angriffs der Hamas, „in ihren | |
Grundfesten erschüttert“. [3][Die Theatermacher ergänzen zur Begründung f�… | |
ihre Absage]: „Zur ‚Situation‘ gehört heute der Krieg. Wir erkennen unse… | |
Ohnmacht.“ | |
Auch das TD Berlin, früher Theaterdiscounter, hat eine Vorstellung | |
abgesagt. Am heutigen Donnerstag hätte eigentlich das Soloprogramm „Mein | |
Bedrohliches Gedicht“ Premiere gehabt. Das Stück behandelt den wahren Fall | |
der palästinensischen Lyrikerin Dareen Tatour, „die ein Gedicht über | |
Widerstand schreibt, auf Social Media postet und sich in einem israelischen | |
Gefängnis wiederfindet“, heißt es auf der Webseite des Theaters. | |
Tatsächlich bekommt das [4][Video-Gedicht von Tatour] mit seiner | |
Glorifizierung von Martyrium und Kampf nach dem 7. Oktober einen ganz neuen | |
Beigeschmack. „Damit hat sich aus unserer Sicht der Kontext, in dem die | |
Inszenierung rezipiert werden würde, stark verändert“, [5][schreiben die | |
Theatermacher*innen] zu ihrer Absage. | |
Die israelisch-palästinensische Schauspielerin Lamis Ammar, die die Rolle | |
von Tatour spielen sollte, kritisiert das Vorgehen des Theaters. In einem | |
[6][Interview mit dem Spiegel ] sagte sie, die Absage sei ein Beispiel | |
dafür, wie Äußerungen der Solidarität mit Palästina in Kulturbetrieben „… | |
Schweigen gebracht“ würden. „Wer es heutzutage wagt, eine Veranstaltung | |
über Palästina zu machen, dem droht, dass er kein Geld mehr vom Staat | |
bekommt.“ | |
## „Antiislamischer Rassismus“ | |
Zurück zu Malik: Der bekommt für seinen Insta-Post, in dem er vom „Canceln�… | |
seiner Ausstellung berichtet, viel Zuspruch. Nicht wenige Kommentatoren | |
regen sich über „strukturellen“ oder „antiislamischen Rassismus“ auf. … | |
ärgern sich vor allem, dass die Aussteller einen „Gegenpol“ verlangen, um | |
nicht einseitig zu erscheinen. Der Ärger seiner „Follower“ ist so groß, | |
dass Malik am Sonntag einen Kommentar hinterherschickt und betont, dass er | |
„keine Gewalt“ unterstütze. Obwohl viele es verlangen, nennt er den Namen | |
der Agentur bei Instagram nicht. | |
Er wolle nicht, dass das Geschäft einen Shitstorm bekomme, sagt Malik der | |
taz. Die Mitarbeitenden seien sehr nett und professionell gewesen. Noch vor | |
wenigen Tagen sei er dort gewesen und habe Testdrucke seiner Fotos | |
angesehen, da habe man nichts zu ihm gesagt. Einen Tag später habe er die | |
Mail bekommen. Freunde hätten ihn darin bestärkt, den Fall öffentlich zu | |
machen, denn es sei falsch, „die Kunstfreiheit zu beschneiden“, sagt Malik. | |
„Wenn Kunst, die niemanden verletzt, aus Angst nicht mehr gezeigt wird, | |
haben wir ein Problem.“ Auch das Verlangen nach einem Gegenpol halte er für | |
gefährlich: „Die verschiedenen Religionen und Kulturen sind keine | |
Gegensätze oder Gegenpole. Berlin ist eine weltoffene Stadt, so bin ich | |
groß geworden.“ | |
Er habe keine politische Botschaft mit den Fotos, sagt Malik, sie | |
beschäftigten sich mit Jugendkultur, Identität, „vielleicht mit Heimat“. | |
Zudem liebe er die arabische und muslimische Ästhetik: Kleidungsstücke wie | |
Jalabiya und Kufiya oder orientalische Muster auf Teppichen und Fliesen | |
seien für ihn in erster Linie „Stilmittel“. Die Verwendung solcher | |
„kultureller Stücke“ als politische Positionierung im Krieg zu sehen, fän… | |
er nicht gut. „Die Arbeiten sind zeitlich vor dem aktuellen Konflikt | |
entstanden und haben nichts damit zu tun.“ | |
Die Firma Pixel Grain reagiert kurz angebunden auf eine Anfrage der taz. Es | |
habe noch keinen Vertrag oder ein festes Datum für die Ausstellung gegeben, | |
schreibt Geschäftsführer Robert Jarmatz. „Daraus lässt sich schließen, da… | |
wir uns in keiner Weise zur Ausstellung verpflichtet haben.“ Trotzdem sei | |
man nach wie vor daran interessiert, die Bilder auszustellen, die | |
Ausstellung sei nicht „gecancelt“. | |
In der Mail an Malik liest sich das freilich anders, wenn es dort heißt, | |
ohne einen fotografischen „Gegenpol“ möchte man die Bilder aktuell nicht | |
zeigen. | |
15 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/raphaelmalik/ | |
[2] https://www.gorki.de/de/vorstellungsabsage-the-situation | |
[3] https://www.facebook.com/maximgorkitheaterberlin?fref=nf&ref=embed_post | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=R1qnlN1WUAA | |
[5] https://td.berlin/stuecke/mein-bedrohliches-gedicht | |
[6] https://www.spiegel.de/kultur/nahostkonflikt-ich-fuehle-mich-so-isoliert-un… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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