# taz.de -- Obdachlose in Hamburg: Doppelt so viele wie vor neun Jahren | |
> Wohlfahrtsverbände und die Sozialsenatorin deuten die Ergebnisse der | |
> jüngsten Obdachlosen-Befragung in weiten Teilen sehr unterschiedlich. | |
Bild: Laut der Studie beziehen lediglich 29 Prozent der Obdachlosen Hartz IV | |
HAMBURG taz | Bei der Frage, wie nicht-deutschen Obdachlosen geholfen wird, | |
gibt es zwischen der Sozialbehörde und den Wohlfahrtsverbänden einen harten | |
Konflikt. Kein Wunder also, dass es nicht gelang, die Ergebnisse einer in | |
der dritten Märzwoche 2018 durchgeführten Obdachlosenbefragung gemeinsam | |
vorzustellen. Es konnte „kein fachlicher Konsens hergestellt werden“, heißt | |
es in einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der freien | |
Wohlfahrtspflege (AGFW). | |
Unstrittig ist, dass sich die Zahl der auf der Straße Lebenden seit der | |
letzten Zählung von 2009 dramatisch erhöht hat: von damals 1.029 auf 1.910. | |
„Auf Hamburgs Straßen leben heute fast doppelt so viele Menschen wie vor | |
neun Jahren. Das zeigt, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nur begrenzt | |
wirken“, sagt AGFW-Sprecherin Sandra Berkling. | |
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) sagte indes im Abendblatt, dass | |
unter den 1.910 Obdachlosen der Anteil Deutscher relativ (von 70 auf 36 | |
Prozent) und absolut (von rund 720 auf 680) gesunken ist. Das zeige, dass | |
die jahrelange Präventionsarbeit greifen würde. | |
Nach Ansicht der AGFW ist das ein Trugschluss. Die Verbände bemängeln die | |
Durchführung der Zählung. Einigen Trägern seien die Fragebögen nicht | |
rechtzeitig oder in zu kleiner Zahl zur Verfügung gestellt worden. Auch | |
hätten zugesicherte Dolmetscher gefehlt. Zudem sei es in den Monaten vor | |
der Befragung zu „Polizeikontrollen, Freizügigkeitsüberprüfungen und | |
Räumen von Platten“ gekommen. Die Obdachlosen hätten Angst gehabt, dass die | |
zugesicherte Anonymität nicht eingehalten wird. Bei einem Träger hätten | |
deshalb von 233 Menschen, die um Teilnahme gebeten wurden, 146 dies | |
abgelehnt. | |
## Fast keiner der Obdachlosen hofft auf staatliche Hilfen | |
Dennoch gebe es bei den Befragungen wichtige Erkenntnisse: So kamen 71 | |
Prozent der obdachlosen Ausländer nach Hamburg, weil sie Jobangebote hatten | |
oder sich eines erhofften. Nur 1,5 Prozent der Menschen hoffte auf | |
staatliche Hilfen. Und nur 5,5 Prozent kamen über Vermittler, die sie nicht | |
fair behandelten. Da die meisten Befragten arbeiten wollten, aber keine | |
Bleibe fänden, fordert die AGFW die „Schaffung günstiger | |
Arbeitnehmerpensionen für Arbeitsmigranten“. Und für jene, die nicht Fuß | |
auf dem Arbeitsmarkt fassen können, „Zugänge ins soziale Sicherungssystem�… | |
Prekär ist die materielle Lage der Obdachlosen. Nur 29 Prozent beziehen | |
Hartz IV, Rente oder Sozialhilfe. Fast jeder Vierte lebt vom | |
Flaschensammeln (15,2 Prozent) oder Betteln (9,3 Prozent) oder hat gar kein | |
Einkommen (14,3 Prozent). Von den Nicht-Deutschen bezieht gar nur jeder | |
Zehnte staatliche Leistungen. „Bei den übrigen ist jedoch oft gar nicht | |
klar, ob sie einen Rechtsanspruch haben“, sagt Berkling. Die Betroffenen | |
wüssten es meist selbst nicht und trauten sich oft nicht, in eine | |
Beratungsstelle zu gehen. Um diesen Menschen zu helfen, müssten die | |
Beratungsangebote ausgebaut werden. | |
## Leonhard ist bekannt für eine harte Linie | |
Besorgniserregend ist für die Hilfsverbände, dass die Zahl der | |
Wohnungslosen, also jener Menschen, die sich in einer öffentlichen | |
Unterkunft ein Zimmer teilen müssen und keine eigenen vier Wände haben, | |
gestiegen ist. Lebten 2009 noch 2.924 Personen in öffentlichen | |
Unterkünften, sind es derzeit 5.210. | |
Die meisten Menschen lebten länger als ein Jahr dort. Deshalb müsse die | |
Saga 2.000 der jährlich freiwerdenden Wohnungen an akut Wohnungslose | |
vergeben. Etwa ein Viertel dieser Menschen hat die Wohnung durch | |
Zwangsräumung oder fristlose Kündigung verloren. Hier müsse die Prävention | |
besser werden. Denn die dafür eingerichteten „Fachstellen“ schafften es bei | |
20 Prozent der Fälle nicht, den Wohnungsverlust zu verhindern. | |
Die AGFW fordert, die Studie dürfe nicht folgenlos bleiben. Der Senat müsse | |
„erhebliche finanzielle Mittel“ bereitstellen. Senatorin Leonhard verweist | |
darauf, dass Hamburg mit 81 Einrichtungen ein umfangreiches Hilfssystem | |
habe. Sie warnt, staatliche Hilfsangebote für Menschen aus Osteuropa würden | |
auf EU-Ebene vereinbarte Prinzipien der Arbeitnehmerfreizügigkeit | |
gefährden. Leonhard ist bekannt für eine harte Linie. Sie ließ 2017 im | |
Winternotprogramm nicht-deutsche Obdachlose abweisen. Doch nun soll es bald | |
eine Fachtagung geben, um mit den „Akteuren des Hilfesystems“ nach Lösungen | |
zu suchen. | |
14 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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