# taz.de -- Frauenbeauftragte über Männer-Verantwortung: „Sexismus ist demo… | |
> Bettina Wilhelm spricht über die feministische Verantwortung des Mannes | |
> und den Einfluss von Wirtschaft und Politik auf die Gleichberechtigung. | |
Bild: Sieht sich nicht als Kämpferin: Bremens Landesfrauenbeauftragte Bettina … | |
taz: Frau Wilhelm, kämpfen Sie Ihren Feminismus allein unter Frauen oder | |
gemeinsam mit Männern? | |
Bettina Wilhelm: „Kämpfen“ trifft meine Tätigkeit nicht wirklich. Ich set… | |
mich ein, argumentiere, rege an, diskutiere, streite auch mal – und im | |
besten Fall überzeuge ich. Natürlich ist es Kern und gesetzlicher Auftrag | |
meiner Arbeit wie der meiner Behörde, Strukturen so zu verändern, dass sie | |
Frauen nicht mehr benachteiligen. Das geht aber nur im Miteinander, und | |
auch nicht immer geräuschlos. Und bei vielen unserer Anliegen bedeutet | |
Veränderung nicht nur Veränderung für Frauen, sondern auch für Männer – … | |
den tradierten Rollenbildern beispielsweise. | |
Müsste Ihre Behörde nicht in „Zentralstelle für die Verwirklichung der | |
Gleichberechtigung der Geschlechter“ umbenannt werden? | |
Der Name ist gesetzlich festgeschrieben. Und so langatmig dieser Name auch | |
ist, beschreibt er doch unverändert den – noch unvollendeten – Auftrag, der | |
im selben Gesetz festgeschrieben ist. In vielen Bereichen ist es aber seit | |
Jahren schon so, dass wir die Belange von Männern oder Jungen mitdenken. | |
Anders könnten wir manche Themen gar nicht bearbeiten. | |
In der Gender-Debatte geht es aber oft mehr um Sprache … | |
Sprache drückt unser Denken und Handeln aus, sie spiegelt unsere Auffassung | |
von Wirklichkeit. Nur die männliche Form zu verwenden, unterschlägt die | |
größere Hälfte der Bevölkerung. Sprache wirkt. | |
Wo trifft das auf die Realität der Menschen? | |
Wenn von „Ingenieurinnen und Ingenieuren“ statt nur „Ingenieuren“ | |
gesprochen wird, schätzen Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer | |
ein und trauen sie sich selbst eher zu. Das hat eine Studie ergeben. Eine | |
weitere hat gezeigt: Frauen bewerben sich weniger auf männlich formulierte | |
Stellenausschreibungen. Das meint nicht nur die Berufsbezeichnung, sondern | |
die gesamte Sprache der Ausschreibung. Unternehmen bekommen also weniger | |
Bewerbungen, wenn sie nicht geschlechtergerecht formulieren. Tatsächlich | |
aber sind Stellenanzeigen nach wie vor oft nur männlich formuliert, | |
dahinter dann (m/w) für männlich und weiblich, mittlerweile auch schon mit | |
(d), also divers. | |
Ist das ein Verharren in Traditionen oder können wir von einem Backlash | |
reden? | |
Sowohl als auch. Rollenbilder sind im Umbruch, aber gebrochen ist ihre | |
Wirkmacht noch nicht – mehr noch: Bilder davon, wie Männer und Frauen, | |
Jungs und Mädchen sein sollen, sind heute mächtiger denn je, befeuert von | |
einer Industrie, die mit den Klischees gute Geschäfte macht, sie so aber | |
reproduziert und damit verstärkt. | |
Das bedeutet? | |
Bestes Beispiel: Lego. Früher gab es da eine Form, auf die passte alles: | |
Bausteine, Dächer, Fenster, Räder. Heute gibt es zwei Linien, eine für | |
Jungs, eine für Mädchen. Beide sind nicht kompatibel, die Fee hat eine | |
andere Größe als der Jedi-Ritter. Und Lego ist nur ein Beispiel von endlos | |
vielen anderen. Mädchen und Jungen lernen so vor allem anderen, dass sie | |
verschieden sind und Verschiedenes von ihnen erwartet wird. | |
Spielen politische Parteien hier gar keine Rolle? | |
In unserer Marktwirtschaft kaum. Hier können nur Konsumentinnen und | |
Konsumenten mit ihrem Kaufverhalten etwas bewirken. Und Initiativen wie die | |
Plattform Pinkstinks, die im Netz sehr erfolgreich ein Bewusstsein für | |
Geschlechterklischees schaffen. Politik könnte hier durchaus Impulse | |
setzen, wie beispielsweise Frankreich es tut – macht sie aber nicht. In der | |
Politik erleben wir ja gerade auch eine Rückwärtsbewegung, weniger Frauen | |
denn je sitzen in den Parlamenten. Die ohnehin langsame Entwicklung von | |
Gleichberechtigung wurde in den vergangenen Jahren noch ausgebremst. | |
Kann man denn deren Tempo bestimmen? | |
Man kann sich zumindest darum bemühen. Gerade geschieht aber das Gegenteil: | |
Das Weltwirtschaftsforum hat in seinem Global Gender Gap Report Deutschland | |
gerade eben den Rückwärtsgang attestiert: Wir liegen auf Platz 14, nach | |
Platz 12 vor zwei Jahren und – Achtung! – noch Platz 5 im Jahr 2006. Allein | |
bis die Gleichstellung am Arbeitsplatz erreicht wäre, dauert es beim | |
aktuellen Schneckentempo noch 202 Jahre. | |
Wieso entwickelt sich Gleichberechtigung denn so langsam? | |
Weil die Hierarchie der Geschlechter so tief verwurzelt ist in unserer | |
Gesellschaft. Das diesjährige Jubiläum des Frauenwahlrechts war da sehr | |
erhellend: Hier wurde nochmal deutlich, wie sehr Frauen bis heute für | |
gleichberechtigte Teilhabe kämpfen müssen. Sexismus ist in unserer | |
Gesellschaft alltäglich. Sexismus ist diskriminierend und in höchstem Maße | |
demokratiefeindlich. Dieser Aspekt kommt mir in der aktuellen Diskussion um | |
den Wert unserer Demokratie deutlich zu kurz. Denn Gleichstellung ist ein | |
Gradmesser für die Demokratie. Der Beißreflex, mit dem Rechtspopulisten auf | |
Gender-Themen reagieren, ist nichts als ein weiterer Beleg ihrer | |
Demokratiefeindlichkeit. | |
Wie positioniert sich Ihre Behörde in diesem politischen Feld wachsender | |
Spannungen? | |
Wir halten Kurs. Und haben in Bremen in fast allen Parteien, die im | |
Parlament vertreten sind, starken Rückhalt, das muss ich hier deutlich | |
sagen. Aber ich ecke auch mal an, das gehört zu meinem Amt. Die ZGF hat | |
insgesamt aber ein gutes Standing, auch auf Bundesebene. Viele unserer | |
Impulse und Projekte finden bundesweite Beachtung und oft auch Nachahmung. | |
Steht Ihre Arbeit in den sprichwörtlich „großen Fußstapfen“ Ihrer | |
Vorgängerin? | |
Das empfinde ich nicht so. Meine Vorgängerin Ulrike Hauffe hat großartige | |
Arbeit geleistet. Ich möchte aber keine Fußstapfen füllen, sondern eine | |
eigene Spur ziehen – mit eigenen Arbeitsschwerpunkten und Methoden. Es wäre | |
falsch, meiner Vorgängerin nachzueifern. | |
Wie sieht Ihr Weg aus? | |
Ich habe drei große Arbeitsfelder benannt, die aus meiner Sicht verstärkt | |
zu bearbeiten sind – was mein Team und ich getan haben und 2019 fortsetzen | |
werden. Das ist der Bereich Gewalt gegen Frauen, das Feld Frauen und Flucht | |
und die Frage, wie mehr Mädchen für Mint-Berufe gewonnen werden können. | |
Welche konkreten Bedarfe machen Sie da aus? | |
Im Bereich Gewalt gegen Frauen setze ich mich für einen Landesaktionsplan | |
und eine Koordinierungsstelle ein – und dafür, dass beides im nächsten | |
Regierungsprogramm festgehalten wird. Bezüglich der Thematik Frauen mit | |
Fluchterfahrung konnten wir in einem umfangreichen Projekt Erkenntnisse | |
über Hürden gewinnen, die dieser Gruppe Teilhabe und Integration erschweren | |
– etwa unzureichende Kinderbetreuung für Sprachkurse. Nun stellen wir | |
Verantwortlichkeit für diese Themen in der Politik her, um Maßnahmen auf | |
den Weg zu bringen. | |
Was hat es mit den Mädchen in Mint-Berufen auf sich? | |
Das Berufswahlverhalten junger Menschen ist nach wie vor | |
geschlechtsspezifisch geprägt. Hier ändert sich zwar etwas, aber nur sehr, | |
sehr langsam – zu langsam. Uns geht es darum, Frauen und Mädchen für Berufe | |
in technischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Kontexten zu | |
interessieren, zu stärken und ihnen diesen Bereich als Möglichkeit zu | |
vermitteln. Dazu haben wir einen umfangreichen Projektantrag gestellt und | |
hoffen auf Gelder, um ein Projekt zur klischeefreien Berufsorientierung auf | |
die Beine zu stellen. | |
Ihr erstes Jahr im Amt war von kontroversen Debatten begleitet – etwa um | |
den Paragrafen 219a. | |
Die Ergänzung des Landesgesetzes, für die ich mich stark gemacht habe, | |
steht. Die Gesundheitssenatorin veröffentlicht als unabhängige Behörde | |
Informationen über Arztpraxen, die Abtreibungen vornehmen. Auf dieser Liste | |
stehen aktuell aber nur die Krankenhäuser und Pro Familia. Denn Ärztinnen | |
und Ärzte möchten in der Öffentlichkeit nicht genannt werden, sie fürchten | |
öffentliche Hetze, leider zurecht. Deshalb bin ich trotz unserer | |
Landesinitiative unverändert davon überzeugt, dass Paragraf 219a des | |
Strafgesetzbuchs, das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, abgeschafft | |
werden muss. | |
2019 beginnt mit dem aus feministischer Sicht fragwürdigen Eiswettfest. | |
Festigt sich da das Problem der Un-Gleichberechtigung? | |
Ja. Man könnte es als Relikt vergangener Zeiten belächeln – wenn dort nicht | |
Macht und Einfluss zusammenkämen, Netzwerke gefestigt und Geschäfte | |
angebahnt würden. Der Ausschluss von Frauen ist eine massive | |
Diskriminierung und ein Skandal. Da sind wir wieder bei der Verantwortung | |
von Männern: Die Frauenrechte sollten den Männern, die das Eiswettfest | |
besuchen und mit ihrer Anwesenheit stärken, endlich nicht mehr egal sein. | |
11 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Lea Schweckendiek | |
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