# taz.de -- Die Freunde und Feinde der Bauern: Der große Irrglauben | |
> Die Mehrheit der Bauern sind tragische Figuren. Sie glauben, dass ihr | |
> Feind ihr Freund sei. Deshalb werden sie immer weniger. | |
Bild: Gras, frische Luft und viel Platz für Milchkühe | |
Die Umweltaktivisten? Die Tierschützer und Grünen, die am Samstag in Berlin | |
unter dem Motto „Wir haben es satt“ für eine Agrarwende demonstrieren? Der | |
durchschnittliche Landwirt in Deutschland hält sie für seine Gegner. Der | |
Bauernverband spricht von [1][Demonstrationen „gegen die Landwirtschaft“]. | |
Die Kritiker der Agrarindustrie seien Träumer, Ignoranten und Heuchler, | |
heißt es in den einschlägigen Internetforen der Branche. Dabei sind in | |
Wirklichkeit die Ökos die besten Freunde der Bauern. | |
Aber diese Freundschaft wird bislang kaum erwidert. Wie die Mehrheit der | |
Landwirte denkt, zeigt ihr Stimmverhalten etwa bei der Bundestagswahl im | |
vergangenen Jahr: Die Grünen kamen bei den Bauern nur auf 5 Prozent, auch | |
Linke und SPD schnitten miserabel ab. [2][CDU und CSU dagegen überzeugten | |
61 Prozent der Wähler unter den Landwirten]. Bei der Landtagswahl [3][in | |
Niedersachsen] erhielten die Christdemokraten sogar 71 Prozent. Die Grünen | |
bekamen 1 klägliches Prozent. | |
Für den gemeinen Bauern ist also klar: Die Union ist mein Freund. Und damit | |
auch der Bauernverband, dessen Linie CDU und CSU treu vertreten. | |
Doch da irren diese Landwirte gewaltig. Die seit Jahrzehnten von der | |
CDU/CSU dominierte Agrarpolitik ist den Bauern nicht gut bekommen. [4][Seit | |
1960] mussten dem Statistischen Bundesamt zufolge ganze [5][80 Prozent der | |
Betriebe] für immer schließen. Jedes Jahr werden es mehr. | |
Das liegt vor allem am Wachstumsdogma, das Union, Bauernverband und die | |
meisten Agrarökonomen nach Kräften gefördert haben. In den 1950er Jahren | |
war es sicherlich sinnvoll, dass die deutschen Landwirte ihre Produktion | |
steigern. Doch seit Jahrzehnten sind sie vor allem dank neuer Technik so | |
produktiv, dass sie mehr Lebensmittel auf den Markt werfen, als die | |
Deutschen essen können. Auch der Export kann nicht genügend aufnehmen. | |
Deshalb sinken die Preise. Rechnet man die Inflation heraus, kassierten die | |
Bauern 2008 rund 6 Prozent weniger für jedes tierische Produkt als 11 Jahre | |
zuvor. | |
## „Wachse oder weiche“ | |
Um trotz der geringen Stückpreise noch etwas zu verdienen, erhöhen viele | |
Landwirte ihre Produktion. Sie bauen noch größere Ställe, und sie | |
bewirtschaften noch mehr Land. Doch so gelangt nur noch mehr Ware auf den | |
eh schon übersättigten Markt und der Preisdruck wächst weiter. Am Ende | |
gehen weitere Betriebe pleite. Das trifft vor allem die kleinen, weil sie | |
oft höhere Stückkosten haben. | |
Die von der Union verteidigten Agrarsubventionen haben den Trend zu „Wachse | |
oder weiche“ sogar noch verstärkt. Denn die Europäische Union vergibt sie | |
vor allem für den Besitz von Äckern und Wiesen: Wer viel Land hat, bekommt | |
viel Geld vom Staat. | |
Das haben die Bauern davon, dass sie immer wieder solche Vertreter im | |
Bauernverband und die Union wählen. In Wirklichkeit ist die CDU/CSU samt | |
Agrarlobby der Feind der Landwirte. | |
Die Bauern sollten sich lieber mit der alternativen Agrarbewegung | |
verbünden. Die Grünen, Umweltorganisationen wie der BUND und der | |
Naturschutzbund oder Verbände wie der Tierschutzbund wollen Freunde der | |
Bauern sein. Sie alle sprechen sich dafür aus, die bäuerliche | |
Landwirtschaft zu erhalten und zu stärken. | |
Das würde auch gelingen, wenn sie sich durchsetzten. Sie fordern, dass | |
Bauern Subventionen dafür bekommen, wenn sie zum Beispiel weniger Gülle in | |
der Natur abladen. Oder dass mehr Tiere nicht nur im Stall, sondern auch | |
auf der Weide gehalten werden. | |
Solche Maßnahmen sind schon aus Umwelt- und Tierschutzgründen nötig. | |
Bislang verschmutzen vor allem die Bauern das Grundwasser mit Nitrat aus | |
Düngern, das sich im Körper teils in giftiges Nitrit verwandelt. Die | |
Landwirtschaft ist auch einer der größten Verursacher von Treibhausgasen. | |
Sie ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Artenvielfalt abnimmt. | |
Und die meisten Tiere werden erbärmlich gehalten. | |
Die alternative Agrarbewegung fordert auch, dass die EU-Landwirtschaft | |
weniger für den Export produziert. Gleichzeitig müssten die | |
Importbeschränkungen beibehalten oder ausgebaut werden. Verbote von | |
Hormonfleisch oder bestimmten Desinfektionsmethoden etwa begrenzen | |
Importe zum Beispiel aus Nordamerika. Es gibt auch noch hohe Zölle auf | |
Einfuhren, beispielsweise von Milchprodukten. | |
Wenn die Landwirtschaft ihre Exportorientierung aufgibt, wären die Bauern | |
nicht mehr so stark dem Weltmarkt mit seinem gnadenlosen Preisdiktat | |
ausgeliefert. Und wenn etwa Russland plötzlich ein Boykott gegen Käse aus | |
der EU verhängt, könnte ihnen das weitgehend egal sein. | |
Eine Öko-Reform der Landwirtschaft würde dazu führen, dass weniger | |
Nahrungsmittel produziert und Überschüsse abgebaut würden. Denn | |
Weidehaltung etwa braucht mehr Platz und ist bei hohen Viehzahlen je | |
Betrieb sehr schwierig. Am Ende bekämen die Bauern endlich faire Preise. | |
## Mehr Geld für die Bauern | |
Allerdings müssten die Konsumenten etwas mehr zahlen für ihre Lebensmittel, | |
wenn die Bauern mehr Geld erhalten sollen. Aber diese Mehrbelastungen | |
dürften sich in Grenzen halten. Denn die Landwirte erhalten nur 21 Prozent | |
von jedem Euro, den die Verbraucher für Nahrungsmittel ausgeben. Den Rest | |
kassiert zum Beispiel der Handel. | |
Diese geringen Preissteigerungen könnten durch Steuererleichterungen oder | |
höhere Sozialleistungen für Arme erträglich werden. Finanziert werden | |
könnte das beispielsweise, indem auf Fleisch künftig der normale | |
Mehrwertsteuersatz von 19 statt der aktuellen 7 Prozent erhoben würde. | |
Zollschranken, weniger Exporte, mehr Tierschutz- und Umweltauflagen – da | |
werden Union und Bauernverband sofort schreien: Solche Schritte würden ja | |
das Wachstum vieler landwirtschaftlicher Betriebe bremsen! Das sind doch | |
Eingriffe in den freien Markt! Aber mit dem freien Markt hat die | |
Landwirtschaft jetzt schon wenig zu tun. Sie bekommt seit Jahren rund 50 | |
Prozent ihres Einkommens vom Staat. Wenn die Apfelernte mal wegen Frost im | |
Frühjahr schlecht ist, macht er noch mehr Geld locker. Den Diesel vieler | |
Traktoren subventioniert er sowieso. Der Staat greift eh schon tief in die | |
Landwirtschaft ein. | |
Das ist auch grundsätzlich okay. Schon weil die Erzeugung von Lebensmitteln | |
unverzichtbar für jeden Staat ist. Keiner sollte sich bei den wichtigsten | |
Nahrungsmitteln zu stark abhängig machen von Importen. Es liegt auch im | |
Interesse der Gesellschaft, dass die Agrarbranche auf dem Land | |
Arbeitsplätze schafft. Außerdem lassen sich bei heimischer Ware Umwelt- und | |
Tierschutz zuverlässiger kontrollieren. | |
Die linke Agrarbewegung steht dazu, die Globalisierung in der | |
Landwirtschaft einzuhegen. Union und Bauernverband dagegen opfern kleine | |
Betriebe auf dem Altar des ach so freien Marktes. | |
Die Landwirte müssen endlich aufhören, sich die falschen Freunde zu suchen. | |
Sonst gibt es bald nur noch wenige Agrarfabriken – und keine Bauernhöfe | |
mehr. | |
19 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bauernverband.de/dbv-fordert-realismus-und-respekt-als-leitmotiv… | |
[2] https://www.agrarheute.com/politik/bundestagswahl-2017-so-waehlten-landwirt… | |
[3] https://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Niedersachsen-Gruene-bekommen-n… | |
[4] http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN514402342_1961%7Clog31 | |
[5] https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/LandForstwirtschaft/Bod… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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