| # taz.de -- Mühsame Suche nach Raubkunst: Forschen wie ein Buchhalter | |
| > Die Hamburger Kunsthall hat ein Projekt zur Erforschung der Herkunft von | |
| > Skulpturen begonnen, die zwischen 1933 und 1945 in das Museum kamen. | |
| Bild: Hier wird jetzt die Provenienz der Skulpturen in der eigenen Sammlung erf… | |
| HAMBURG taz | Provenienzforschung dauert. Und das nicht, weil die Forscher | |
| zu langsam wären. Sondern weil Strukturen fehlen, genauer: weil Politiker – | |
| die Subventionsgeber – von Museen weniger das Erforschen der Sammlung | |
| fordern als spektakuläre Sonderausstellungen. Die wiederum sind mit grellen | |
| Plakaten zu bewerben, damit die Besucher strömen. So kommt es, dass das | |
| Geld eher für Marketingabteilungen als für Wissenschaftler ausgegeben wird, | |
| so dass wichtige Basisarbeiten – und die Dokumentation der Bestände ist | |
| eine solche – entfallen. | |
| Auch die [1][Hamburger Kunsthalle] hat nicht für jeden ihrer Künstler ein | |
| Werkverzeichnis. Wenn also ein Provenienzforscher ergründen will, ob ein | |
| Werk, das vor 1945 entstand und nach 1933 angekauft wurde, zu Unrecht ins | |
| Museum kam, ob die Nazis es Juden billig abgepresst, oder gar geraubt | |
| haben, dann muss er entweder selbst ein Werkverzeichnis anlegen –was dauert | |
| – oder lange in Archiven wühlen, eventuell andere Museen und Kunsthändler | |
| anschreiben, um an Unterlagen zu kommen. | |
| Das ist bei Gemälden schon schwierig genug, und da ist Provenienzforscherin | |
| Ute Haug, als eine der ersten ihrer Art in Deutschland seit 2000 in | |
| Hamburgs Kunsthalle tätig, schon weit gekommen. Die 100.000 Blätter | |
| fassende Druckgrafik-Sammlung des Hauses allerdings ist noch genauso wenig | |
| erforscht wie die Skulpturen. | |
| Letzteres soll sich jetzt ändern: Zwei Forscherinnen sitzen, mit je einer | |
| halben Stelle ausgestattet, seist kurzem mit in Haugs Büro, um drei Jahre | |
| lang die Provenienz der 120 wichtigsten Skulpturen der Kunsthalle zu | |
| erkunden. „Wir haben einen erheblichen Bestand an Skulpturen, deren | |
| Provenienz als bedenklich einzustufen ist und deren Bearbeitung ich nicht | |
| allein schaffen kann“, sagt Haug. | |
| ## Viel Zeit und viel Personal | |
| Deshalb hat sie bei der Berliner Arbeitsstelle für Provenienzforschung, | |
| inzwischen im „Zentrum für Kulturgutverluste“ aufgegangen, ein | |
| entsprechendes Projekt beantragt und bewilligt bekommen. Bis zur | |
| Wiedereröffnung der Kunsthalle, die derzeit grundsaniert wird, Ende April | |
| 2016 wollen die Provenienzforscherinnen die Herkunft derjenigen Werke, die | |
| in der ständigen Sammlung gezeigt werden sollen, soweit wie möglich | |
| erforschen. Das Skulpturen-Provenienprojekt selbst dauert sogar bis Anfang | |
| 2017. | |
| Dass man dafür so viel Zeit und Personal braucht, hängt zum einen mit den | |
| fehlenden Werkverzeichnissen zusammen. Kompliziert ist die | |
| Herkunftsrecherche bei Skulpturen aber auch, weil oft mehrere Güsse | |
| existieren. Edgar Degas zum Beispiel ließ zu Lebzeiten nur eine Skulptur | |
| einer Tänzerin in Bronze ausgießen; weitere 150 Wachsmodelle fanden die | |
| Nachlassverwalter nach seinem Tod 1917 in seinem Atelier. Die Erben | |
| beschlossen, auch sie in Bronze gießen zu lassen: jeweils 20 Serien. 1932 | |
| allerdings wurden weitere zwei Serien gegossen und in den 1950ern nochmals | |
| zwei. | |
| ## Heimliche Raubgüsse | |
| Aber ist das wirklich alles? Kann es nicht weitere, heimliche Raubgüsse | |
| gegeben haben? Und entsprach das überhaupt dem Willen des Künstlers? Wie | |
| gehen Nachfahren mit der Versuchung um, eine Skulptur, die sich gut | |
| verkauft, zu vervielfachen? | |
| Den Provenienzforscherinnen könnte das egal sein, müssten sie nicht mit den | |
| Folgen – einer unübersichtlichen, schlecht dokumentierten Gemengelage – | |
| fertig werden. „Zunächst geht es darum, herausfinden, wie viele Güsse es | |
| gab und welchen ich vor mir habe“, sagt Ulrike Saß, eine der beiden neuen | |
| Mitarbeiterinnen in Hamburg. Anders als Druckgrafiken tragen Güsse nämlich | |
| nur selten Auflagen- und Seriennummern. Findet sich darauf allerdings ein | |
| Gießerstempel, kann der ein erster Anhaltspunkt sein. | |
| Trotzdem – für Degas‘ „Große Arabeske, zweite Position“, so der Titel… | |
| Bronzetänzerin in Hamburgs Kunsthalle, hat Saß einige Eckdaten gefunden: | |
| Spätestens 1926 muss sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim besessen haben; | |
| danach ging sie vielleicht an ein Kölner Museum. An welches, will Ulrike | |
| Saß in Köln erfragen. Danach verschwindet die Skulptur und taucht erst 1952 | |
| wieder auf. | |
| In jenem Jahr hat die Kunsthalle die Figur bei einem Düsseldorfer | |
| Kunsthändler angekauft; woher er sie hatte, und wo die Skulptur in der | |
| Zwischenzeit war, versucht Saß derzeit zu ergründen. All das ist mühsam und | |
| dauert Monate, Jahre; immer wieder muss ein Provenienzforscher die Angaben | |
| in den Unterlagen hinterfragen und dem Wunsch nach schnellen Ergebnissen | |
| widerstehen. | |
| ## Angeblicher Retter | |
| Bei der kleinen Bronzefigur „Tanzendes Mädchen“ des Hamburger Künstlers | |
| Karl Opfermann etwa, die die zweite Provenienzforscherin, Anna Seidel, | |
| bearbeitet, liegt der Fall komplizierter: Carl Schellenberg, Mitarbeiter, | |
| des Museums für Hamburgische Geschichte, hat die Skulptur 1948 der | |
| Kunsthalle angeboten. „Er hat behauptet, er habe sie 1940 davor bewahrt, im | |
| Rahmen der Metallspende-Aktion der Nazis eingeschmolzen zu werden“, sagt | |
| Seidel. Aber wo die Figur den Zweiten Weltkrieg überstand? Und ob der | |
| Anbieter sie in Wahrheit aus einer anderen Quelle oder sie sich | |
| unrechtmäßig angeeignet hatte und bloß reinwaschen wollte? | |
| Vor einigen Wochen glaubte Seidel ganz nah dran zu sein: Ein schwedischer | |
| Auktionskatalog aus den 1930er-Jahren führte die Opfermann-Figur mit Größe, | |
| Titel und Material auf. Allerdings war kein Foto dabei, und als Seidel es | |
| später woanders fand, zeigte sich: die schwedische Figur war nicht | |
| identisch mit der Hamburger. Provenienz weiter ungeklärt, alles zurück auf | |
| Null. | |
| Diese Akkuratesse ist mühsam, aber sie ist wichtig, denn wenn ein Erbe eine | |
| Skulptur mit der falschen Seriennummer einfordert, wird sie weder | |
| restituiert noch zurückgekauft; an der exakten Recherche der | |
| Provenienzforscherinnen hängt also viel Geld. Und natürlich gibt es | |
| interessante Grauzonen: Würde man einen illegalen Raubguss restituieren, | |
| und hätte er den selben Wert wie ein legaler? „Wir würden ihn restituieren, | |
| denn es geht ja um Besitzverhältnisse. Und um den Marktwert zu dem | |
| Zeitpunkt, als das Werk enteignet oder abgepresst wurde“, sagt Ute Haug. | |
| ## Frage nach dem Original | |
| Über den kunsthistorischen Wert eines Werks dagegen lässt sich streiten. | |
| Aber bei Skulpturen vom Original zu sprechen, ist ohnehin problematisch. | |
| „Es war zu allen Zeiten üblich, dass der Künstler das Modell schuf und mit | |
| dem Handwerker, der es ausgoss, Hand in Hand arbeitete“, sagt Anna Seidel. | |
| Sicher, die Skulptur, die der Künstler eigenhändig nachbearbeitet hat, sei | |
| ein klares Original. Aber wenn es nun fünf davon gibt, identisch und nur | |
| durch die Seriennummer unterschieden? | |
| Und wie lange darf man nachgießen, ohne in den Ruch der Fälschung zu | |
| gelangen? Die Provenienzforscherinnen sind froh, dass sie darüber nicht | |
| entscheiden müssen. Sie wühlen sich durch das Dickicht legaler und | |
| illegaler Abgüsse, um Klarheit zu schaffen, illegal Gekauftes zurückzugeben | |
| oder, falls man die Erben nicht findet, in die Datenbank „Lost Art“ | |
| einzustellen. Alles übrige ist Philosophie. | |
| 19 Oct 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.hamburger-kunsthalle.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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