# taz.de -- NS-Verfolgung: Ein mutiges Museum | |
> Ein Forschungsprojekt der Bremer Kunsthalle will die Aktivitäten dreier | |
> Kunsthändler rekonstruieren, die vor allem in den 1930er und 40er Jahren | |
> tätig waren. Nur wenige Museen sind bislang dazu bereit. Denn damit nimmt | |
> man in Kauf, seit Jahrzehnten inventarisierte Werke zu verlieren. | |
Bild: Gotthardt Kuehls Ölgemälde "Im Waisenhaus" gehört zu den Werken der Br… | |
472.000 Euro gibt Bernd Neumann (CDU) dieses Jahr für Provenienzforschung | |
aus. Der Kulturstaatsminister würde auch doppelt so viel geben, um Museen | |
und Sammlungen bei der Recherche nach Kunstwerken zu unterstützen, die in | |
der Nazizeit möglicherweise unter Zwang den Eigentümer wechselten. Da aber | |
nur 16 Anträge gestellt wurden, bleibt von der Million im Fördertopf | |
ziemlich viel übrig. In den Vorjahren wurde allerdings noch weniger | |
abgerufen. | |
Die Bremer Kunsthalle gehört zu den Museen, die nun den Mut zur | |
Selbsterforschung aufbringen. Und damit riskieren, seit Jahrzehnten | |
inventarisierte Werke zu verlieren oder von etwaigen Erben zurückkaufen zu | |
müssen. Im Streit mit dem Anwalt der George Grosz-Erben hält das Haus zwar | |
weiterhin an der Position fest, etwa das "Stilleben mit Okarina" von 1931 | |
nicht restituieren zu müssen. Nun aber soll mit Unterstützung aus Berlin | |
ein großer Teil der Bremer Kunsthandelsverflechtungen der 1930er und 40er | |
Jahre aufgearbeitet werden. Potentiell betroffen sind - allein aus dem | |
Besitz der Kunsthalle - 500 Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen. | |
Kein Generalverdacht | |
Bislang sind aus dem fraglichen Kunsthandels-Komplex lediglich | |
Schlaglichter bekannt. Etwa die 1940 unternommene Reise des Bremer | |
Kunsthallen-Direktors Emil Waldmann ins kurz zuvor besetzte Amsterdam. | |
Zusammen mit dem Bremer SA-Bürgermeister Heinrich Böhmcker erwarb Waldmann | |
günstig Alte Meister, der Bürgermeister nutzte die Gelegenheit zudem zum | |
Erwerb der seinerzeit in Deutschland bereits rationierten Damenunterwäsche. | |
Nun geht es darum, die Umstände der Kunsthallen-Zugänge jenseits des | |
Anekdotischen aufzuarbeiten. Gleichwohl bedient sich das strukturelle | |
Anliegen eines individuellen Ansatzes: Als Recherche-Hebel dienen | |
systematische Nachforschungen über die Aktivitäten dreier Bremer | |
Kunsthändler, die in den Zugangsbüchern der Kunsthalle ab 1933 besonders | |
häufig auftauchen: Arnold Blome, Heinrich Glosemeyer und Hugo Oelze. "Das | |
bedeutet aber nicht, dass wir diese drei unter einen Generalverdacht | |
stellen", betont Kunsthallen-Kustodin Dorothee Hansen. Sie ist die | |
Initiatorin des Forschungsprojekts. | |
Schillernde Figuren | |
Eine gewisse Bekanntheit hat bislang lediglich Oelze - und das auch nur | |
mittelbar: Er ist der Bruder von Friedrich Wilhelm Oelze, dem langjährigen | |
Brieffreund des Dichters Gottfried Benn. Die detaillierte Erforschung der | |
Biographien dieser drei Männer ist wesentlich für die Klärung ungesicherter | |
Provenienzen: Durch ihre Hände gingen die fraglichen rund 500 Werke, die | |
heute im Besitz der Bremer Kunsthalle sind. Darüber hinaus standen sie in | |
engem Kontakt zu anderen wichtigen norddeutschen Kulturinstitutionen. | |
Offenbar handelt es sich, so viel ist schon jetzt abzusehen, um zum Teil | |
schillernde Persönlichkeiten. Arnold Blome riss von zu Hause aus, um nicht | |
Bäcker werden zu müssen. 14-jährig umsegelte er Kap Horn. Später studierte | |
er abends an der Bremer Kunstgewerbeschule, während er sich tagsüber als | |
Hafenarbeiter verdingte. Da Blome seine graphischen Fertigkeiten während | |
des Ersten Weltkriegs zur Herstellung pazifistischer Plakate nutzte - und | |
sie auf dem Kasernengelände verteilte - wurde er zum Tode verurteilt und | |
floh nach Schweden. Nach Kriegsende avancierte er wegen seiner | |
hervorragenden Kontakte unter anderem zu Picasso, El Lissitzky, Nolde und | |
Feininger zum gefragten Einkäufer für britische und deutsche Museen. | |
Ergebnisoffene Forschung | |
Blome kann also wohl keineswegs als kühl kalkulierender Kunstkaufmann | |
verbucht werden. Große Teile seiner Sammlung verschenkte er, die Bremer | |
Kunsthalle bekam beispielsweise so bedeutende Werke wie Erich Heckels | |
"Gärtnerei" oder Karl Schmidt-Rottluffs "Das rote Haus". Dessen ungeachtet | |
ist nach Einschätzung von Dorothee Hansen durchaus nicht auszuschließen, | |
dass ein Teil der Blomeschen Sammlung eine problematische Herkunft hat. Von | |
etwaigen Rückgabeforderungen wäre dann nicht nur die Bremer Kunsthalle | |
betroffen, sondern eine ganze Reihe norddeutscher Institutionen. | |
Die Hamburger Kunsthalle besitzt mindestens drei Werke, die durch Blomes | |
Hände gingen, das Oldenburger Landesmuseum sogar 35 Gemälde, 232 | |
Zeichnungen und 83 druckgrafische Blätter. Im Kieler Marinemuseum stapeln | |
sich 19 Kisten mit wertvollen historischen Bänden, das Museum in Jever | |
erbte von Blome eine vollständige Bismarck-Bibliothek. In all diesen Orten | |
muss nun kein ängstliches Bangen beginnen - aber Provenienzforschung ist | |
ihrer Natur nach ergebnisoffen. | |
Als von vorne herein problematischer werden sich wohl die Recherchen | |
erweisen, die sich sich mit Heinrich Glosemeyer befassen. Über den Bremer | |
Genussmittel-Großhändler ist bislang kaum etwas bekannt, das Wenige jedoch | |
weckt Argwohn. Glosemeyer war bis weit in die 40er Jahre als Kunsthändler | |
aktiv, auch Bilder, die im Rahmen des "Sonderauftrag Linz" angekauft | |
wurden, gingen durch seine Hände. Diese Hitler unmittelbar unterstellte | |
informelle Organisation diente der Bestückung des für Linz geplanten | |
"Führermuseums". | |
In der einschlägigen "Lost Art"-Datenbank findet sich beispielsweise eine | |
Suchanfrage für Friedrich Gauermanns Gemäde "Zwei Adler streiten sich um | |
einen verendenden Hirsch", mit dem Glosemeyer im Juli 1944 für den | |
"Sonderauftrag" befasst war. Die Hamburger Kunsthistorikerin Maike Bruhns | |
hat herausgefunden, dass Glosemeyer auch zu den Händlern gehörte, die die | |
sich den Museen als Abnehmer "entarteter" Werke etwa von Max Liebermann | |
andienten. Zwar kam Glosemeyer diesbezüglich nicht zum Zug. In Cottbus | |
jedoch wird derzeit untersucht, unter welchen Umständen Glosemeyer ein | |
Lovis Corinth-Gemälde aus jüdischem Besitz erwarb, das er an die | |
Fürst-Pückler-Stiftung weiter verkaufte. | |
Gegenüber seiner Heimatstadt zeigte sich Glosemeyer generös: Die Bremer | |
Kunsthalle bedachte er unter anderem mit Gemälden von Paula | |
Modersohn-Becker, Gotthardt Kuehl und Fritz von Uhde. Ob diese Schenkungen | |
und Hinterlassenschaften nun zum Bumerang werden, wird sich im Rahmen des | |
Forschungsprojekts erweisen. | |
Spur nach Amsterdam | |
Die Spuren von Hugo Oelze wiederum führen zurück nach Amsterdam, das für | |
den Nazi-Kunsthandel eine große Bedeutung hatte - Göring und andere | |
NS-Größen begaben sich persönlich in die berühmten Galerien an der | |
Herengracht, um sich mit hochwertigem "niederdeutschem" Kulturgut | |
einzudecken. In der Folge von Julius Langbehns Bestseller "Rembrandt als | |
Erzieher" galten die alten Niederländer im völkisches | |
Kulturanschauungs-Konglomerat als "rassisch wertvoll". | |
An der Herengracht hatte auch Oelze seinen Sitz. Das Haus Nummer 590 | |
mietete er zunächst von dem jüdischen Kaufmann Moses Schönberg, der 1943 im | |
polnischen Vernichtungslager Sobibor starb. Zu Oelzes Kunden gehörte neben | |
der Bremer auch die Hamburger Kunsthalle: Sie erwarb von Oelze unter | |
anderem einen "Schmerzensmann" von Lukas Cranach und - 1943 - Gerard Ter | |
Borchs "Toilette einer jungen Dame". Wer der Vorbesitzer dieses Mitte des | |
17. Jahrhundert entstandenen Meisterwerks war und wer, gegebenenfalls, | |
dessen rechtmäßige Erben sind,gilt es nun heraus zu finden. | |
Diese Recherchen sind ein mühseliges Unterfangen. Zahlreiche nur verstreut | |
vorhandene Auktionskataloge müssen gewälzt und diverse Archive | |
durchforstet, auch die wenigen noch lebenden Zeitzeugen befragt werden. Für | |
all das steht der Bremer Kunsthalle ab Herbst eine Fachkraft für ein Jahr | |
zur Verfügung. Immerhin: Die Chancen auf Verlängerung um ein weiteres Jahr | |
stehen mangels Konkurrenz-Anträgen bislang sehr gut. | |
28 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
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