# taz.de -- Alte Meister: "So wollen wir zur Verteilung der Beute schreiten" | |
> Finanziert von der Sparkasse gingen der Bremer Bürgermeister Böhmcker und | |
> Kunsthallen-Direktor Emil Waldmann 1940 in Amsterdam einkaufen. Ein | |
> Interview über "Raub durch Kauf", das Opfer-Image der Kunsthalle und | |
> Julius Langbehns lange Schatten | |
Bild: "Reg. Bürgermeister S.A.-Gruppenführer Böhmcker spricht im festlich au… | |
taz: Herr Artinger, in der Städtischen Galerie haben Sie kürzlich einen | |
Vortrag über eine spezielle Episode der Bremer Kunst- und Kulturpolitik von | |
1940 gehalten, in die die Kunsthalle involviert war. Wie sehen Sie die | |
Geschichte des Museums im "Dritten Reich"? | |
Kai Artinger: Seit den 90er Jahren erscheint die Kunsthalle in den Medien | |
und der Literatur vor allem als bedeutendes Opfer sowjetischer | |
Beutekunst-Politik. Insbesondere das Schicksal der ausgelagerten Bremer | |
Kunstschätze wie der "Baldin-Sammlung" ist immer wieder Gegenstand der | |
Berichterstattung. Die einseitige Konzentration auf diese Aspekte der | |
Geschichte hat dazu geführt, die Anpassung der Institution, ihre | |
Eingebundenheit in die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik, | |
vollkommen auszublenden. | |
Immerhin soll sich Kunsthallen-Direktor Waldmann erfolgreich gegen die | |
Gleichschaltung gewehrt haben. | |
Es wurde der Versuch unternommen, Waldmann seines Postens zu entheben, aber | |
letztlich gehörte er zu jenen deutsch-national gesinnten Museumsdirektoren, | |
die trotz "Machtergreifung" im Amt blieben. Waldmann wurde förderndes | |
Mitglied der SS und passte sich den neuen Verhältnissen so erfolgreich an, | |
dass ihm wegen seiner "treuen Dienste" vom NS-Senat das silberne | |
Treudienst-Ehrenzeichen verliehen wurde und anlässlich seines 60. | |
Geburtstages die höchste Auszeichnung der Hansestadt, die von den Bremer | |
Nationalsozialisten geschaffene "Plakette für Kunst und Wissenschaft". | |
Die erhielt übrigens vor ihm der Bremer Dichter Rudolf Alexander Schröder, | |
der kommissarische Direktor der Kunsthalle nach dem Krieg. Die nach | |
Schröder benannte Stiftung verleiht heute den Bremer Literaturpreis. Die | |
Preisverleihung an Waldmann fand kurz vor der Reise nach Amsterdam statt, | |
die er im November 1940 gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister | |
SA-Gruppenführer Heinrich Böhmcker machte. | |
Was war der Zweck dieser Unternehmung? | |
Der Erwerb von niederländischer Kunst des 17. Jahrhunderts. Böhmcker folgte | |
damit unter anderem dem Beispiel Görings, der sich schon wenige Wochen nach | |
dem Überfall auf die Niederlande im Mai 1940 in die berühmte Kunsthandlung | |
Goudstikker an der Herengracht begeben hatte. Den Nationalsozialisten | |
galten die niederländischen Meister als "gesund, völkisch und | |
bodenverbunden". Hier wirkten völkische Kulturanschauungen nach wie Julius | |
Langbehns Bestseller "Rembrandt als Erzieher", der die | |
nationalsozialistischen Kunstauffassungen beeinflusste. | |
Böhmcker, ein Jurist mit bäuerlichem Hintergrund, dokumentierte mit dem | |
Erwerb Alter Meister auch seinen Aufstieg in die traditionellen Eliten. Ihm | |
hing der Ruf eines Schlägers an. Wegen seiner Brutalität bei den | |
Saal-Schlachten der frühen 30er hatte er den Spitznamen "Latten-Böhmcker". | |
Er ist auch der maßgeblich Verantwortliche für das November-Pogrom von | |
1938, bei dem fünf jüdische Bremer ermordet wurden. Sein Vetter, Dr. Hans | |
Böhmcker, war der Beauftragte der (besetzten) Stadt Amsterdam und in dieser | |
Funktion als "Juden-Kommissar" für die Organisation der ersten Schritte der | |
Vernichtung zuständig. Es ist sicher kein Zufall, dass Dr. Böhmcker schon | |
in der Stadt weilte, als Heinrich Böhmcker und Direktor Waldmann den | |
Kunsteinkauf tätigten. | |
Was ist über die Hintergründe der Amsterdam-Reise noch bekannt? | |
Es gibt eine kurze, fast anekdotisch anmutende Darstellung des langjährigen | |
Vorsitzers des Kunstvereins, Senator a.D. Hermann Apelt. In seinen | |
"Erinnerungen aus 57 Jahren Kunstverein", 1958 publiziert, heißt es: | |
"Zwischen Waldmann und dem Regierenden Bürgermeister entwickelte sich ein | |
freundliches Verhältnis [...] Böhmcker nahm Waldmann mit nach Holland, wo | |
sie gemeinsam Bilder, er außerdem Damenunterwäsche kaufen wollte". | |
Damenunterwäsche? | |
Böhmcker war 1940 noch Junggeselle und galt als Frauenheld. Außerdem war | |
Damenbekleidung 1940 in Deutschland bereits rationiert. | |
Und die künstlerische Ausbeute, wie war die? | |
Böhmcker und Waldmann konnten nach ihrer Rückkehr bei einem Empfang für | |
Führungskräfte im Rathaus 13 Gemälde präsentieren. Waldmann erläuterte | |
deren kunsthistorische Bedeutung, von Böhmcker ist als Schlusswort | |
überliefert: "So wollen wir gleich zur Verteilung der Beute schreiten". Die | |
Kunsthalle bekam vier Gemälde geschenkt, zwei von Abraham Bloemart und | |
jeweils eines von Philip Wouwermann und Ferdinand Bol. Waldmann bedankte | |
sich mit den Worten: "In der Kunsthalle haben wir noch eine leere Wand". | |
Wenn man da die neuen Bilder aufhinge, "dann hätten wir etwas, worüber sich | |
selbst die Hamburger wundern würden". | |
Und die anderen Bilder? | |
Das wichtigste, die Darstellung einer "Andromeda", die seinerzeit zum Werk | |
Tintorettos gerechnet wurde, mittlerweile aber einem Nachfolger | |
zugeschrieben wird, wurde im Arbeitszimmer des Senatspräsidenten im Rathaus | |
aufgehängt. Die anderen Bilder kamen in private Hände, unter anderem in | |
Böhmckers eigene. | |
Aber formal wurde gekauft und nicht geraubt? | |
Ja. Der niederländische Historiker Gerald Aalder bezeichnet "Raub durch | |
Kauf" als die "von den Deutschen bevorzugte Raubmethode". Insbesondere bei | |
dem "Tintoretto" muss man sich wundern, dass diese kunsthistorische | |
Rarität, als die sie Waldmann ansah, überhaupt zum Verkauf angeboten wurde. | |
Böhmcker und Waldmann kauften unter anderem bei de Boer ein. Mindestens ein | |
Fall ist dokumentiert, wo ein ehemaliger jüdischer Partner dieser | |
Kunsthandlung ausreisen konnte, weil er vier Jan Brueghel-Gemälde an | |
deutsche Käufer abtrat. | |
Welche Preise zahlten die Bremer? | |
Für den "Tintoretto" 18.000 holländische Gulden, für den "Wouvermann" und | |
"Bol" 5.000 Gulden, die beiden "Bloemart" kosteten je 1.500. Der | |
Bürgermeister kaufte ein Landschaftsbild von van Huchtenberg für 800 | |
Gulden, was dem Gegenwert von 1.070 Reichsmark entsprach. | |
Wie viel sind die Bilder tatsächlich wert gewesen? | |
Das lässt sich heute schwer ermessen, zumal sie zum Tageskurs des Gulden | |
eingekauft wurden. Die holländische Währung war da schon unter dem Druck | |
der deutschen Besatzungswirtschaft und der steigenden Inflation. Als | |
Beispiel für die hohen Werteinbußen von Kunstwerken kurz vor dem Krieg: Im | |
Juni 1939 verkaufte der jüdische Sammler Meirowsky, der aus Berlin nach | |
Amsterdam emigrierte, eine Küstenlandschaft von van Goyen für 1.200 Gulden. | |
Das waren 1.587 Reichsmark zum aktuellen Tageskurs. Ursprünglich bezahlt | |
hatte er 6.000 Reichsmark. | |
Die Besatzer hielten sich gleich zu Beginn an den reichen Niederlanden | |
schadlos. Auch für die Bremer ergab sich offenbar ein gutes Geschäft, wenn | |
man den überlieferten Worten Böhmckers trauen darf: "Wir sind nicht sehr | |
voll am Beutel hinüber gefahren und haben trotz Schwierigkeiten einiges | |
mitgebracht". Der Vorstand der Bremer Sparkasse hatte Böhmcker mitgeteilt, | |
er teile "in jeder Weise" dessen Auffassung, "dass bei der einmaligen | |
Gelegenheit, diese besonderen Kunstschätze für Bremen zu erwerben", eine | |
vorzeitige Überschuss-Auszahlung von 28.000 Reichsmark zu veranlassen sei. | |
Wo sind die Bilder heute? | |
Das weiß ich nicht. Die holländische Exil-Regierung in London hatte bereits | |
im Juni 1940 eine Notstandsverordnung erlassen, die alle geschäftlichen | |
Transaktionen mit der Besatzungsmacht verbot. Auf dieser Grundlage sorgte | |
die US-Armee im September 1945 für die Beschlagnahmung der Gemälde. Der | |
weitere Verbleib des "Tintoretto" ist unbekannt. Der bereits zitierte | |
Kunstvereins-Vorsitzer Apelt beklagt sich in seinen "Erinnerungen" über die | |
erzwungene Rückgabe, er schreibt: "Nachher aber mussten sie, obwohl ehrlich | |
erworben und bezahlt, ohne Entschädigung wieder heraus gegeben werden, so | |
dass die holländischen Kunsthändler ein doppeltes Geschäft gemacht haben". | |
Diese Interpretation ist typisch für die Verdrängung in der Nachkriegszeit. | |
Für Apelt war der Überfall auf das kleine Nachbarland und dessen Ausbeutung | |
nicht der Rede wert. | |
27 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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