# taz.de -- Arbeitskampf bei Lieferdiensten: Kein Streik ist illegal | |
> Der Lieferdienst Gorillas entlässt massenhaft aktive Arbeitnehmer:innen. | |
> Die Entlassungen könnten rechtswidrig sein. | |
Bild: Die einen machen Profite, die anderen Lärm | |
BERLIN taz | [1][Seit Monaten toben beim Lieferdienst Gorillas nun die | |
Arbeitskämpfe.] Immer wieder legten Beschäftigte ihre Arbeit nieder, um | |
etwa gegen zu schwere Rucksäcke oder die Kündigung von Kolleg:innen zu | |
protestieren. Letzte Woche machte das Unternehmen damit auf rabiate Weise | |
Schluss: [2][Laut der Gewerkschaft Verdi feuerte das Unternehmen bis zu 350 | |
Fahrradkuriere – Rider genannt –, die sich zumeist zuvor an den | |
Arbeitskämpfen beteiligt hatten.] | |
Doch handelt es sich beim Streikrecht nicht um ein grundgesetzliches | |
Menschenrecht? Die Sache ist wohl etwas komplizierter, da die | |
Arbeitsniederlegungen der Beschäftigten spontan geschahen. Bis heute hat | |
keine Gewerkschaft den Arbeitskampf formal übernommen. [3][Solche „wilden | |
Streiks“ sind laut deutschem Arbeitsrecht formal illegal.] | |
Dass wilde oder auch politische Streiks in Deutschland illegal sind, liege | |
an der Rechtsprechung der Nachkriegszeit, sagt Martin Bechert. Diese sei | |
stark von der NS-Vergangenheit vieler damaliger Richter:innen geprägt | |
gewesen. Der Arbeitsrechtsanwalt vertritt 20 der gefeuerten Gorillas-Rider, | |
die sich gegen ihre Kündigungen wehren wollen. Bechert glaubt dennoch, dass | |
wilde Streiks auch in Deutschland legal seien. Inzwischen gelte auch hier | |
die Europäische Sozialcharta – und nach dieser sei Streiken auch ohne | |
gewerkschaftliche Organisation legitim. | |
Verbindlich zu klären wäre die Frage wohl nur in einem langwierigen und | |
grundsätzlichen Gerichtsprozess. Zu diesem werde es aber gar nicht erst | |
kommen, so Bechert. Denn die Kündigungen seien schon aus viel simplerem | |
Grund „haltlos“: Viele der Rider wurden zuvor nicht abgemahnt. Noch klarer | |
sei die Rechtslage bei denjenigen seiner Mandant:innen, die auf einer | |
Vorschlagsliste für die laufende Betriebsratswahl standen. | |
## Turbokapitalistische Geschäftspraktiken | |
Bechert glaubt, Gorillas sei sich darüber bewusst, dass das Unternehmen vor | |
Gericht kaum eine Chance besäße. Es setze darauf, dass sich die Mehrheit | |
der Rider nicht wehren werde. Viele seien Migrant:innen, die nicht ein | |
halbes Jahr auf ein Urteil des Arbeitsgerichts warten könnten. „Sie müssen | |
essen, also suchen sie sich notgedrungen einen neuen Job“, so Bechert. | |
Gorillas bediene sich der „turbokapitalistischen Geschäftspraktik, jeden, | |
der einem aus welchem Grund auch immer nicht passt, rauszuschmeißen“. | |
Auflösen könne den Schlamassel die Gewerkschaft Verdi. Würde sie den Streik | |
formal übernehmen, wäre er nachträglich legitimiert, sagt Bechert – auch | |
die Kündigungen wären damit rechtswidrig. Die Gewerkschaft aber lehnt das | |
ab. Verdi-Pressesprecher Andreas Splanemann betonte zwar gegenüber der taz, | |
dass er die Massenentlassungen von Gorillas für eine „absolute Sauerei“ | |
hält. Es sei dennoch „falsch“ von den Ridern gewesen, sich für wilde | |
Streiks zu entscheiden. | |
Der „richtige Weg“, um sich gegen die Schwere von Rucksäcken oder die | |
Kündigung von Kolleg:innen zu wehren, ginge über einen Betriebsrat, in | |
dem derlei Probleme „gemeinsam mit dem Arbeitgeber angegangen“ werden | |
könnten. Wer für solche Ziele streike, liege „quer zum deutschen | |
Arbeitsrecht“, so Splanemann: „Dass es hier keine politischen Streiks gibt, | |
schützt ja auch die deutsche Wirtschaft und damit Arbeitsplätze.“ | |
Zwischen den Vorstellungen der Rider und der traditionellen Gewerkschaften | |
liegen also Welten. Es sei für viele aus Lateinamerika oder Südeuropa | |
stammende Rider „unverständlich, dass in Deutschland Arbeitskämpfe nur sehr | |
eingeschränkt erlaubt sind“, sagt auch Bechert. Verdi hofft dennoch auf | |
Mitgliederzuwachs. „Dann können die Arbeitnehmer:innen kollektiv für | |
Lohnverbesserungen eintreten“, so Splanemann. | |
11 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Streik-bei-Gorillas/!5801411 | |
[2] /Fahrradkuriere-in-Berlin/!5801656 | |
[3] /Protest-bei-Lieferdienst-Gorillas/!5775031 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
## TAGS | |
Gorillas | |
Lieferdienste | |
Streik | |
Arbeitskampf | |
Verdi | |
wochentaz | |
Gorillas | |
Arbeitsrecht | |
Arbeitsrecht | |
Gorillas | |
Gorillas | |
Gorillas | |
Wilder Streik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fahrradkuriere gründen Kollektiv: Ihre eigenen Chefs | |
In Halle haben Fahrradkuriere einen eigenen Kurierdienst aufgemacht – | |
basisdemokratisch und ohne Hierarchien. Inzwischen läuft das Geschäft. | |
Lieferdienst Gorillas: Mini-Gorillas vs. Rider-Rechte | |
Der Lieferdienst führt ein Franchise-Modell für seine Lagerhäuser ein. Der | |
Schritt dient wohl dazu, die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern. | |
Anerkennung von Berufskrankheiten: „Das zu beweisen, ist schwierig“ | |
Damit die Berufsgenossenschaft ein Leiden als arbeitsbedingt anerkennt, | |
muss viel passieren. | |
Streit mit Berufsgenossenschaft: Herr Neumann nervt | |
Erich Neumann ist überzeugt, dass sein Herzleiden von einem Arbeitsunfall | |
herrührt. Anstelle einer Entschädigung bekommt er eine Freiheitsstrafe. | |
Gorillas und das LKA: Staatsschutz beobachtet Streikende | |
Seit Juni beobachten Staatsschützer Proteste von Gorillas-Mitarbeitern. | |
Begründet wird dies mit Unterstützungsaufrufen „linksextremistischer | |
Gruppen“. | |
Arbeitgeber wie aus dem Urkapitalismus: Boykottiert die Gorillas | |
Startups wie der Lieferdienst Gorillas setzen voll auf Wachstum – und | |
zuletzt auf gute Arbeit für ihre Fahrer. Zeit, die App zu löschen! | |
Fahrradkuriere in Berlin: Gorillas feuert Mitarbeiter | |
Protest vor der Gorillas-Zentrale in Berlin. Mehr als 300 Rider sollen ihre | |
Jobs verloren haben, weil sie sich an wilden Streiks beteiligt haben. | |
Protest bei Lieferdienst Gorillas: Wild bestreikt | |
Die Gorillas-Riders streiken unorganisiert – das ist selten, sagt die | |
Basisgewerkschaft FAU. Solche Proteste seien aber oft von Migrant:innen | |
getragen. |