| # taz.de -- Antirassismus-Ausbildung bei der Polizei: Gefangen im Vorurteil | |
| > In Bremen soll die Polizei Antirassismus lernen. Einige der | |
| > Vernehmungsratgeber wirken aber wie Katalogbände für Nationalstereotype. | |
| Bild: Den Umgang mit Menschen anderer Kulturen soll die Bremer Polizei lernen. … | |
| BREMEN taz | Polizist*innen, die bei rechtsextremen Straftaten vorschnell | |
| einen politischen Hintergrund ausschließen, rassistische Kontrollen und | |
| Gewalt: Während sich solche Einzelfälle häufen, werden Stimmen laut, die | |
| eine bessere Ausbildung für Beamt*innen fordern. Umso interessanter ist | |
| da, wie wortreich unkonkret die Antwort des Bremer Senats [1][zu Fragen der | |
| Antirassismus-Ausbildung bleibt]. | |
| Eine Auskunft über Unterrichtsmaterialien und genaue Inhalte fehlt. | |
| Punktuelle Maßnahmen wie die Studienreise der | |
| Kommissarsanwärter*innen zur Schoah-Gedenkstätte Yad Vashem im Jahr | |
| 2020 werden erwähnt. Sonst viele gute Absichten: Die Ausbildung sei „am | |
| Leitbild einer bürgerfreundlichen Polizei“ ausgerichtet, teilt Innensenator | |
| Ulrich Mäurer (SPD) der mitregierenden Bürgerschafts-Linken mit. Deren | |
| Fraktionsvorsitzende Nelson Janßen freut es, dass Bremen in der Frage | |
| „schon weiter“ und „sensibilisierter“ als die Polizei in anderen Lände… | |
| sei. | |
| Tatsächlich hat das Land auf dem Papier einiges anzubieten: Seit 2006 haben | |
| alle Anwärter*innen an der Bremer Hochschule für öffentliche Verwaltung | |
| (HFÖV) „eine basale Ausbildung in und Sensibilisierung für Fragen | |
| interkultureller Herausforderungen und Diversity-Maßnahmen durchlaufen“, | |
| sagt das Ressort auf Nachfrage der taz. Und in der Senatsantwort wird | |
| erläutert, dass die Fortbildung für Führungskräfte „in Bezug auf das Thema | |
| (Anti-)Rassismus“ sogar zuletzt ausgebaut wurde, „von 8 auf 16 Stunden“. | |
| „Symbolpolitik“ nennt Lorena Kowalski von der „Kampagne für Opfer | |
| rassistischer Polizeigewalt Bremen“ (KOP) das. „Wenn das alles in der | |
| Ausbildung so verankert ist, dann können wir nur feststellen: Das schlägt | |
| sich nicht in der Praxis nieder!“ | |
| ## „Rassismus mit Todesfolge“ | |
| Nicht nur der Polizei sei Rassismus eingeschrieben. Aber in ihrem Handeln | |
| artikuliere er sich wohl am deutlichsten. So erlebe man Kontrollen, für die | |
| kein Anlass jenseits der Hautfarbe bestehe. Das KOP-Bündnis fordere, viel | |
| grundsätzlicher nachzudenken. „Wir müssen uns fragen, ob wir die | |
| Institution Polizei, dort, wo sie eingesetzt wird, wirklich brauchen.“ | |
| Denn: „Wir sprechen hier von Rassismus mit Todesfolge“, sagt Kowalski. | |
| Man müsse nur daran erinnern, dass ein Bremer Polizist am 18. Juni 2020 | |
| Mohammed Idrissi in Gröpelingen erschossen habe. „Für uns war das Mord.“ … | |
| strukturellen Rassismus zu bekämpfen, sei es nötig, von außen auf die | |
| Polizei einzuwirken. | |
| Nominell ist das in der Ausbildung der Fall: An der HFÖV lehren neben | |
| Polizist*innen auch Wissenschaftler*innen. Das Konzept des Studiengangs | |
| steht zwar fest, das Themenfeld Interkulturalität sei im Curriculum „in | |
| großer Breite und didaktischer Vielfalt fest verankert“, so die Auskunft | |
| von Mäurers Sprecherin Rose Gerdts-Schiffler. | |
| Wie das aber mit Inhalten gefüllt werde, bleibe den Dozierenden überlassen | |
| – Stichwort [2][Wissenschaftsfreiheit]: „Es gibt keine wie auch immer | |
| geartete Prüf- beziehungsweise Zulassungsinstanz, die Lehrmaterialien | |
| vorgibt beziehungsweise ausschließt.“ | |
| ## Umstrittene Literatur | |
| Klären könnten das die Lehrkräfte. Aber Wissenschaftsfreiheit hin oder her, | |
| sprechen dürfen sie nur durch den Mund ihres Dienstherrn, so die Auskunft | |
| der HFÖV. Das ist der Bremer Innensenator. Und auf die Frage nach konkreten | |
| Lehr- und Unterrichtswerken zu interkultureller Polizeiarbeit gibt Rose | |
| Gerdts-Schiffler keine konkrete Antwort: „Inwieweit und mit welchem Erfolg | |
| diese Literatur genutzt wird, wird nicht erhoben“, heißt es in Bezug auf | |
| Publikationen des Instituts für Rechtspsychologie der Bremer Uni (BRI). | |
| Dabei wäre das interessant, denn eben diese Literatur ist umstritten. Und | |
| ihre Verwendung läge nicht nur räumlich nahe: In der Zeit, als sie den | |
| Bremer Polizeistudiengang neu konzeptioniert hat, hat Luise Greuel, die | |
| heutige Rektorin der HfV, mit BRI-Direktor Dietmar Heubrock zusammen ein | |
| Buch verfasst. | |
| Der Uni-Prof ist auch Lead-Autor von zwei Bänden „Empfehlungen zur | |
| interkulturellen Vernehmung“: Der eine heißt, wortwitzig, „Russen | |
| verstehen, Russen vernehmen“, der andere „Türken und Araber verstehen und | |
| vernehmen“. | |
| Sie sind 2008 und 2012 im Frankfurter Verlag für Polizeiwissenschaft | |
| erschienen. Als im Herbst ihr Einsatz in der nordrhein-westfälischen | |
| Polizeiausbildung bekannt wurde, sorgte [3][das für einen Eklat]. In | |
| Niedersachsen sind sie auch in Gebrauch. | |
| „In Bremen gebe ich Fortbildungen“, sagt Heubrock, „und da greife ich | |
| natürlich auf diese Manuale zurück.“ Sie seien in einem multikulturellen | |
| Team entstanden. Das Anliegen sei genau gewesen, für kulturelle | |
| Unterschiede zu sensibilisieren. „Aus meiner Zusammenarbeit mit Polizei | |
| wusste ich, dass damals dort sehr entschiedene Einstellungen vorherrschten, | |
| dass sich, wer hier herkomme, unseren Verfahrensweisen anzupassen habe“, | |
| sagt Heubrock. | |
| ## Alles echt nur gut gemeint | |
| Dagegen habe man durch die Vermittlung interkultureller Kompetenz angehen | |
| wollen. „Zum Beispiel haben wir die Rolle des Vermittlers im türkischen | |
| Rechtssystem erklärt.“ Wenn Begleitpersonen zu Vernehmungen mitgebracht | |
| wurden, seien sie im Zweifel einfach vor die Tür gesetzt worden. „Wir | |
| werben dafür, das nicht zu tun.“ | |
| So viel zur Absicht. Nicht nur von der Aufmachung her aber wirken Heubrocks | |
| Vernehmungsratgeber wie Katalogbände der Nationalstereotype: „Dem an einer | |
| schnellen und protokollfähigen Klärung des Sachverhaltes orientierten, klar | |
| und präzise fragenden deutschen Polizeibeamten sitzt eine Person gegenüber, | |
| die lebhaft gestikulierend, weit ausholend und ausweichend reagiert“, heißt | |
| es über die Vernehmung von Menschen „aus dem türkisch-arabischen | |
| Kulturkreis“. | |
| Er empfiehlt daher den deutschen Beamten: „Appellieren Sie an den Ruf oder | |
| die Ehre der Familie.“ Und: „Untermalen Sie das Tatgeschehen | |
| körpersprachlich.“ Karikaturen? „Man sieht nur das, was man sehen will“, | |
| sagt Heubrock dazu. Seine Einsichten stützt er auf „eigene Untersuchungen“. | |
| Auf diese Empirie käme es an. Kulturvergleichende Psychologie ist nicht per | |
| se rassistisch. Aber sie ist stets in Gefahr, bestehende Vorurteile nur zu | |
| verfestigen. Deshalb wäre wichtig, zufällige Stichproben zu gewinnen, um | |
| Einstellungen und Erfahrungen zu erheben, erläutert Klaus Boehnke, | |
| Professor für sozialwissenschaftliche Methodenlehre an der Jacobs | |
| University. | |
| Boehnke ist in dieser Frage eine Koryphäe. Bis 2020 war er Präsident der | |
| internationalen Vereinigung für [4][kulturvergleichende Psychologie]. „Wenn | |
| Stichproben wirklich per Zufall gezogen werden, dann kann man auch mit | |
| einer relativ kleinen Zahl schon verlässliche Schlüsse ziehen“, stellt er | |
| fest. | |
| Doch das ist bei den „193 Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren“, | |
| wovon 15 einen afrikanischen, 66 einen russischen und 38 einen | |
| „türkisch/arabischen kulturellen Hintergrund“ aufgewiesen hatten, in der | |
| Arbeit von Heubrock genau nicht der Fall. | |
| ## Keine wissenschaftlichen Ansprüche | |
| Rekrutiert wurden sie im Bekanntenkreis des Autor*innenteams. Ursprünglich | |
| habe man auch etwas zum „afrikanischen Kulturkreis“ machen wollen, sagt | |
| Heubrock. Aber da habe man nur 15 Angehörige befragen können. „Das war uns | |
| zu wenig.“ | |
| Wenn man aber „die Stichprobe nicht per Zufall gezogen hat“, erläutert | |
| Boehnke, müsse man wenigstens detailliert „darüber berichten, wer die | |
| Befragten genau sind, und wie sie für die Studie gewonnen wurden“. Davon | |
| kann in der Untersuchung die Rede nicht sein: Angaben zum Geschlecht | |
| fehlen, die generationelle Verteilung und die tatsächliche Nationalität | |
| werden verschwiegen, der Zivilstand und die Religionszugehörigkeit auch. | |
| „Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt das natürlich nicht“, räumt Heubr… | |
| auf Nachfrage ein. Es gehe ja um „Polizeipsychologische Praxis“. [5][So | |
| heißt die Reihe], in der die Werke erschienen sind. „Für diesen Zweck war | |
| das genug.“ | |
| 26 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://fckaf.de/Uts | |
| [2] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html | |
| [3] https://fckaf.de/rVd | |
| [4] https://www.iaccp.org/?s=Boehnke | |
| [5] https://www.polizeiwissenschaft.de/schriftenreihen/reihe-polizeipsychologis… | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
| ## TAGS | |
| Polizei Bremen | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Polizei Niedersachsen | |
| Antirassismus | |
| Bremen | |
| Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Polizei Hamburg | |
| Polizei | |
| Staatsanwaltschaft Bremen | |
| Videokunst | |
| Polizei Berlin | |
| Andreas Geisel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rassismus an der Hochschule Bremen: Nur ein schlimmer Einzelfall? | |
| Eine Studentin wirft der Hochschule Bremen Rassismus vor. Rektorat und AStA | |
| wollen Konsequenzen ziehen – welche, schätzen sie unterschiedlich ein. | |
| Tod nach Polizeischüssen in Hamburg: Sein Name war Omar | |
| Der in Barmbek von Polizisten erschossene Palästinenser soll Zeugen zufolge | |
| niemanden bedroht haben. Neue Videos zeigen den Vorfall. | |
| Hamburger Polizei erschießt Libanesen: Tod nach sieben Schüssen | |
| Ein Mann schwenkt ein Messer und ruft „allah u akbar“. Die Polizei weiß | |
| sich nicht anders zu helfen, als ihn zu erschießen. | |
| Ermittlungen im Fall Mohammed Idrissi: Polizei schafft Bedrohung | |
| Warum musste Mohammed Idrissi sterben? Falsche Frage: Er musste nicht | |
| sterben. Er ist von der Bremer Polizei erschossen worden. | |
| Videokunst über Tod in Polizeigewahrsam: Ein Mensch brennt | |
| Im Oldenburger Edith-Russ-Haus untersucht der Videokünstler Mario Pfeifer | |
| grauenhafte Todesfälle. Vom Einzelfall kommt er subtil auf die | |
| Gesellschaft. | |
| Rechtsextremismus Polizei Berlin: „Es geht um Selbstreflexion“ | |
| Svea Knöpnadel ist Extremismusbeauftragte der Polizei Berlin. Ein Gespräch | |
| über Korpsgeist, Racial-Profiling-Studien und Prävention. | |
| Rechtsextremismus in der Polizei: Zu fünft gegen Extremismus | |
| Polizeipräsidentin präzisiert den Auftrag der Ermittlungsgruppe „Zentral“. | |
| Die vom Innensenator angekündigte Studie zum Racial Profling kommt nicht. |