# taz.de -- Tod nach Polizeischüssen in Hamburg: Sein Name war Omar | |
> Der in Barmbek von Polizisten erschossene Palästinenser soll Zeugen | |
> zufolge niemanden bedroht haben. Neue Videos zeigen den Vorfall. | |
Bild: Abgesperrt: Hier kam Omar durch Schüsse der Polizei zu Tode | |
HAMBURG taz | Am 28. Mai hat die Polizei einen mutmaßlichen Angreifer | |
erschossen, der aus dem Libanon nach Deutschland geflohen war. Seine | |
Identität ist nun bekannt: Er hieß Omar und war Palästinenser. Laut neuer | |
Zeugenaussagen hatte Omar, entgegen der Darstellung der Polizei, zuvor | |
niemanden bedroht und auch keine Autos beschädigt. „Allahu akbar“ habe er | |
ebenfalls nicht gerufen. | |
Zudem hat eine neu gegründete Initiative „Gerechtigkeit für Omar!“ von der | |
gegenüberliegenden Straßenseite aus aufgenommenes Videomaterial verbreitet, | |
aus denen sie den Schluss zieht, dass Omar zu einem Zeitpunkt vor der | |
Tötung am Boden gelegen habe. Um ihn herum bewegen sich zehn bis 15 | |
Einsatzkräfte. Allerdings ist in den Aufnahmen der Ort des Geschehens von | |
einer Baustellenabsperrung verdeckt. Man hört einen Schrei und Rufe der | |
Polizei. | |
Hingegen veröffentlichte die Hamburger Morgenpost (Mopo) am gestrigen | |
Montag ein Video, das den Moment der Schussabgabe von oben zeigt: Darin ist | |
klar erkennbar, dass Omar sich unvermittelt in Richtung eines Polizisten | |
umdreht, der ihn verfolgt, und sich auf ihn zu bewegt. Kurz darauf greift | |
sich der Beamte an den Arm und geht zu Boden. Dann werden sieben Schüsse | |
abgegeben. Das vorliegende Material zeigt, dass sich der Vorfall direkt vor | |
Omars Wohnunterkunft und damit vor den Augen der Menschen abspielte. | |
Die Polizei hatte berichtet, dass Omar an der Kreuzung | |
Hebebrandstraße/Sengelmannstraße Passant*innen mit einem Messer bedroht | |
sowie mehrere Autos beschädigt habe. Die alarmierte Streifenpolizei und das | |
Spezialeinsatzkommando seien trotz Einsatzes von Pfefferspray und eines | |
Elektroschockgerätes (Taser) nicht in der Lage gewesen, den 36-Jährigen zu | |
stellen. | |
## Hatte Omar vor den Schüssen schon am Boden gelegen? | |
Die Polizei hat bis heute weder die Anzahl der Einsatzkräfte vor Ort | |
bekannt gegeben noch nähere Informationen über die mutmaßliche Tatwaffe des | |
Palästinensers. In der Nähe des Tatortes wurde lediglich ein Messergriff | |
gefunden. Die Klinge war am Schaft abgebrochen. | |
Die von der Initiative veröffentlichten Handyaufzeichnungen zeigen den | |
Vorfall von der anderen Straßenseite. Omar ist nicht direkt zu sehen, er | |
befindet sich hinter einer Baustellenabsperrung. Die Einsatzkräfte scheinen | |
ihn eingekreist zu haben. Gestik und Blickrichtung legen nahe, dass Omar | |
vor ihnen am Boden liegt. Im Verlauf des knapp 30-sekündigen Videos eilen | |
weitere Einsatzkräfte hinzu. Diese Aufnahmen scheinen einige Minuten vor | |
der Schussabgabe entstanden zu sein. | |
Das Video aus der Mopo zeigt dann schließlich den Eskalationsmoment: Omar | |
steht auf beiden Beinen, die Polizist*innen um ihn herum. Er bewegt | |
sich auf einen Beamten zu, scheint ihn anzugreifen. Sieben Schüsse fallen. | |
Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften der Akademie der Polizei | |
Hamburg, hatte den Schusswaffeneinesatz in der taz kritisiert. Vor dem | |
Hintergrund der neuen Aufnahmen reflektiert er den Vorfall erneut: Auf | |
Grundlage des Bildmaterials habe eine Gefahrensituation bestanden. „Den | |
Einsatzkräften ist erst einmal nichts vorzuwerfen, da sie | |
ausbildungskonform gehandelt haben“, so Behr. Die Situation sei quasi | |
„katalogartig“: Jemand laufe mit einem Messer auf die Einsatzkräfte zu, als | |
Konsequenz werde geschossen. „Es bleibt zu kritisieren, dass keine | |
Technologien entwickelt werden, mit denen Personen gefasst werden können, | |
ohne sie zu töten“, bemängelt Behr. Es fehle an schnell wirksamen | |
Distanzinstrumenten. Er könne sich vorstellen, dass Schäume oder Netze | |
funktionieren könnten. „Daran müsste man forschen und ich frage mich, warum | |
da noch nichts Anwendungsreifes auf dem Markt ist.“ | |
In einer Pressemitteilung der Initiative „Gerechtigkeit für Omar!“ heißt … | |
auf Grundlage einer Zeugenaussage eines Bewohners der Wohnunterkunft, Omar | |
habe die Straße vor dem Heim in Richtung Bahnhof Rübenkamp überquert, um | |
bei seinem Dealer Marihuana zu kaufen. Ein Autofahrer habe sich daran | |
gestört und gehupt, woraufhin Omar nach dem Auto getreten habe. Es sei | |
dabei nicht beschädigt worden. Der Autofahrer habe im Anschluss die | |
Streifenpolizei alarmiert und sei weitergefahren. | |
## Kein Islamist | |
Im Gespräch mit der Initiative äußerte Omars Mitbewohner, dass er weder | |
psychisch krank noch ein religiöser Extremist gewesen sei und dass er sich | |
auch nicht in einem Rauschzustand befunden habe. Er berichtet, dass auf | |
Omar eingeschrien worden sei, er aber kein Deutsch verstehe. Die Frage, | |
warum Omar als islamistischer Terrorist inszeniert wurde, bleibt offen. Ein | |
Pressesprecher der Polizei betont, dass die Schilderungen der letzten | |
Pressemitteilung vom 29. Mai weiterhin Bestand hätten. | |
Der Hamburger Rechtsanwalt Mülayim Hüseyin ist Mitbegründer von | |
„Gerechtigkeit für Omar!“. Die Initiative fordert die Auflösung des | |
Spezialeinsatzkommandos (SEK), die Suspendierung aller beteiligten | |
Einsatzkräfte vom Dienst sowie eine Auseinandersetzung mit Rassismus im | |
Zuge der Ermittlungen. Nach Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft | |
dauern die Ermittlungen weiterhin an. Neue Informationen gebe es keine. | |
Laut der Aussage des Bewohners seiner Unterkunft kam Omar vor etwa zwei bis | |
drei Monaten wegen aufenthaltsrechtlicher Probleme aus der Haft in die | |
Wohnstätte. Er habe von einer Rückkehr nach Palästina geträumt. Um Omars | |
Beerdigung, die heute stattfinden soll, kümmere sich seine Schwester, die | |
in Dortmund wohne. Wann der Obduktionsbericht vorliegen werde, sei unklar, | |
sagt die Staatsanwaltschaft. | |
8 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Lukas Door | |
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