# taz.de -- Angriff auf SPD-Politiker in Dresden: Dresden ist nicht Weimar | |
> Herrschen wieder Weimarer Verhältnisse? Nein, aber: Angriffe wie auf | |
> SPD-Politiker Matthias Ecke sind trotzdem eine Gefahr für die Demokratie. | |
Bild: 1932 in Eschwege, Hessen: Straßenschlacht bei SA-Aufmarsch und Gegendemo… | |
Der Klempner Herbert Stupp lief an einem Montag die Hauptstraße im | |
rheinischen Dorf Wesseling entlang, als sich ein mit Männern voll besetzter | |
Lastwagen nährte. Mehrere Uniformierte stiegen aus. Sie schossen mit | |
Pistolen in alle Richtungen, offenbar als Machtdemonstration. Stupp, | |
gänzlich unbeteiligt, ging getroffen zu Boden. Doch ein Arzt, | |
möglicherweise selbst NSDAP-Anhänger, verweigerte die erste Hilfe. Herbert | |
Stupp starb. Es war der 18. Juli 1932. Die Täter, die mit dem Lkw aus Bonn | |
gekommen waren, gehörten der SA an, der „Sturmabteilung“ der NSDAP. | |
Letzten Freitagabend befestigte Matthias Ecke, Europaabgeordneter [1][und | |
sächsischer SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, im Dresdner Stadtteil | |
Striesen] ein Wahlplakat an einem Laternenpfahl, als er von vier dunkel | |
gekleideten Männern überfallen wurde. Sie schlugen den 41-Jährigen so | |
schwer zusammen, dass er zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus | |
gebracht werden musste. Einer der mutmaßlichen Täter stellte sich zwei Tage | |
später. [2][Er ist 17 Jahre alt] und polizeilich unbekannt. | |
Jetzt werden allenthalben Vergleiche zwischen der politischen Gewalt heute | |
und in der Weimarer Republik gezogen. Aber was haben diese beiden Taten | |
miteinander zu tun? | |
Der Tod von Herbert Stupp in Wesseling reichte der Bonner Deutschen | |
Reichszeitung 1932 für einen Zweispalter. Wenn damals Täter ermittelt | |
worden sind, dann kamen sie spätestens mit der Machtübernahme der NSDAP | |
1933 auf freien Fuß. Der Angriff auf Matthias Ecke sorgt in ganz | |
Deutschland für Empörung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dringt | |
auf ein Treffen aller Länder-Innenminister. Für Sonntagabend wird in Berlin | |
und Dresden zu Demonstrationen gegen die brutale Attacke aufgerufen. | |
Die so unterschiedlichen Reaktionen weisen darauf hin, dass zunächst einmal | |
das Ausmaß der Gewalt unvergleichlich ist. Damals, in den letzten Jahren | |
von Weimar, waren Straßenkämpfe und Saalschlachten ebenso alltäglich wie | |
politische Morde. Die Justiz schaute weg, wenn Taten von rechts begangen | |
wurden. Schon 1921 schrieb der Statistiker Emil Julius Gumpel: „Für 314 | |
Morde von rechts: 31 Jahre 3 Monate Freiheitsstrafe, sowie eine | |
lebenslängliche Festungshaft. Für 13 Morde von links: 8 Todesurteile, 176 | |
Jahre 10 Monate Freiheitsstrafe. Das ist alles Mögliche. Justiz ist das | |
nicht.“ | |
## Angriffe richten sich gegen Engagement | |
Das hat sich geändert – zum Glück. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ein | |
wesentlicher Faktor für die Ausbreitung politischer Gewalt in der Weimarer | |
Republik: Ein Großteil der Staatsbürger wie der Parteien befürwortete die | |
Abschaffung der Republik, darunter sowohl die KPD als auch die NSDAP (ohne | |
diese deshalb in einen Topf werfen zu wollen). SA und Rotfrontkämpfer | |
schenkten sich bei der Gewalt nichts. | |
Das ist anders geworden. Die Linkspartei will allenfalls Reformen | |
durchsetzten. Selbst die in Teilen rechtsradikale AfD behauptet, sie sei | |
eine demokratische Partei (auch wenn daran Zweifel bestehen). | |
Ist also der Angriff von Dresden wie [3][viele andere Vorfälle in jüngster | |
Zeit] eine vernachlässigenswerte Nachricht aus der Provinz? Nicht dazu | |
geeignet, die deutsche Demokratie zu gefährden und auf jeden Fall in keiner | |
historischen Kontinuität stehend? | |
Nein. Denn auch wenn die deutsche Demokratie heute gefestigt ist und eine | |
große Mehrheit der Bürger hinter ihr steht, so erinnert die Tat von Dresden | |
doch an die düsteren Zeiten um 1930. Es ist die enthemmte Gewalt, die | |
alarmiert. Die Bereitschaft, politische Auseinandersetzungen mit der Faust | |
zu führen. Der Konsens in der alten Bundesrepublik, dass so etwas bei | |
Strafe der politischen Ächtung nicht statthaft ist, ist zerbrochen, das | |
zeigen auch manche zynischen Reaktionen aus den Reihen der AfD. Und wenn | |
auch rechts eingestellte Personen zu den Angegriffen zählen, so ist beim | |
weit überwiegenden Teil aller Taten eine rechtsradikale Motivation der | |
Täter naheliegend. | |
Diese Angriffe haben die Zerstörung der Grundlage der Demokratie zum Ziel: | |
des politischen Engagements von Menschen in ihrer Stadt und Gemeinde. Wenn | |
aus Angst niemand mehr kandidieren will, haben die Täter gewonnen. Deshalb | |
taugt das feige Attentat von Dresden zwar kaum für Vergleiche mit ähnlichen | |
Taten in der deutschen Geschichte. Aber eine Gefahr für die Demokratie ist | |
es trotzdem. | |
6 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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