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# taz.de -- An der Grenze Polens zu Belarus: „Betreten verboten“
> Stacheldraht und Soldaten: Polen macht seine Grenze dicht, um Flüchtlinge
> abzuhalten. Jetzt wird sogar eine Mauer gebaut. Ein Ortsbesuch.
Auf einem verschneiten Feld steht ein Jeep in Tarnfarben. Ein paar hundert
Meter weiter beginnt Belarus und ein dichter Mischwald. Auf polnischer
Seite ist die Staatsgrenze mit einem in drei bis fünf Rollen übereinander
gestapelten dünnen Nato-Draht mit rasierklingenartigen Widerhaken
gesichert. So etwas nennt man hier koncertyna. Der im Herbst 2021 hastig
errichtete Grenzzaun soll Flüchtlinge davon abhalten, über die grüne Grenze
in die EU einzureisen.
Plötzlich geht ein Ruck durch den Jeep, dann scheppert eine Stimme aus den
Lautsprechern auf dem Dach: „Ihre Reise endet hier. Das ist nicht, was
Ihnen versprochen wurde. Gehen Sie zurück nach Minsk. Vor dort werden Sie
nach Hause gebracht. Ihr Albtraum wird ein Ende haben.“ Auf der anderen
Seite des Zauns sind keine Flüchtlinge zu sehen, die dies hören könnten.
Dennoch wird die Ansage aufEnglisch, Französisch und drei weiteren Sprachen
in Endlosschleife wiederholt.
Ein Kamerateam der französischen Presseagentur AFP dreht den Jeep, auch
zwei polnische Crews sind zugegen. Zusammen sind wir acht JournalistInnen,
die von sechs Grenzschutzbeamten begleitet und bewacht werden. Seit dem
Herbst vergangenen Jahres ist das unmittelbare Grenzgebiet zu Belarus – 3
Kilometer breit und 418 Kilometer lang – eine [1][Sperrzone]. Frei bewegen
dürfen sich dort nur die Einwohner der 183 Ortschaften sowie Pendler, die
innerhalb der Zone arbeiten. Humanitären Organisationen wie den Ärzten ohne
Grenzen oder dem Roten Kreuz ist der Zutritt streng untersagt, trotz eines
gegenteiligen Urteils des Obersten Gerichtshofs in Warschau. Alle
Ortsschilder innerhalb der strefa, wie man auf Polnisch sagt, sind mit der
Warnung „Betreten verboten“ gekennzeichnet. Und schon etwa 15 Kilometer vor
der eigentlichen Sperrzone stoppen Grenzschützer alle diejenigen, die
keinen Passierschein besitzen.
Seit ein paar Wochen organisiert der polnische Grenzschutz Touren für
JournalistInnen. Ausländische KorrespondentInnen werden vom Geheimdienst
überprüft, bevor sie sich einer Reise anschließen dürfen. Details zur
geplanten Fahrt gibt es vorab nicht.
## An der Grenze bei Usnarz Górny
Im Dorf [2][Usnarz Górny], hart an der Grenze gelegen, haben sich im
letzten Herbst dramatische Szenen abgespielt: Belarussische
Sicherheitskräfte hatten eine größere Gruppe Frauen, Männer und Kinder aus
Afghanistan und dem Irak bis an den polnischen Grenzzaun gebracht. Dort
ließen sie die Menschen ohne Nahrung und Wasser unter freiem Himmel zurück.
Auf der polnischen Seite nahmen schwer bewaffnete Grenzschützer Stellung.
Hinter ihnen versuchten Vertreter humanitärer Organisationen, Anwälte und
Reporter mit Megafonen, Handys und beschriebenen Pappkartons Kontakt zu den
Menschen hinter dem Zaun aufzunehmen. Verzweifelt schrien diese „Wasser!“,
„Hunger!“. Doch der polnische Grenzschutz ließ weder Essen und Getränke,
noch warme Kleidung, Teddys für die Kinder oder Powerbanks zum Laden der
Handys durch. Die ganze Welt erfuhr von dem Drama der Flüchtlinge, die zu
Geiseln des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenkos geworden
waren.
Heute ist der provisorische Zeltplatz hinter dem Zaun verlassen. Die
Kamerateams filmen die Überbleibsel im Schnee, den sich kilometerweit
hinziehenden Stacheldrahtzaun und die Soldaten, die zu zweit Patrouille
gehen und sich zum Aufwärmen neben ein offenes Feuer stellen. Befragt
werden dürfen sie nicht. Nur ein Grenzschutzfunktionär gibt Auskunft,
anonym und hinter einer Gesichtsmaske, die nur einen Schlitz für die Augen
offen lässt. „Wir verrichten unsere Arbeit auf einem sehr hohen Niveau“,
sagt er. Und: „Wir schützen nicht nur die Grenze Polens, sondern die der
ganzen EU“. Ob er wisse, was aus den Flüchtlingen wurde. „Nein“, schütt…
er den Kopf. „Das ist nicht unsere Aufgabe. Eines Tages waren sie weg.“
Zurück auf dem Hügel, wo wir die beiden Jeeps und den Pkw wegen der
steinhart gefrorenen Spurrillen zurücklassen mussten, kommt uns ein alter
Mann aus dem Dorf entgegen. „Haben Sie Angst vor den Migranten? Sind Sie
froh über die Soldaten, die Sie und ihre Familie jetzt so gut beschützen?“,
fragt ihn eine der Reporterinnen. Der Mann grinst breit und sagt: „Die
einzigen Flüchtlinge, die es bis zum Dorfladen geschafft haben, wollten nur
warme Milch für die Kinder kaufen. Und Schutz? Na ja, jeder macht halt
seine Arbeit.“ Dann geht er auf die Uniformierten zu und fragt, wann die
von den Militärlastern zerfahrenen Dorfstraßen und Feldwege wieder instand
gesetzt werden. Er deutet auf den Weg hinunter zur Grenze: „Wir kommen ja
kaum noch auf unsere Felder!“
Letzte Station der rund vierstündigen Grenztour ist Zubrzyca Wielka. Hier
sollen wir Gelegenheit haben, mit den Dorfbewohnern zu reden. Doch es lässt
sich niemand blicken. Auch zu hören ist nichts, kein Radio, kein Fernsehen.
Aus den Ställen dringen keine Geräusche. Immerhin können die Kamerateams
ein Standbild des Ortsschilds aufnehmen: „Zubrzyca Wielka. Gelände, das
unter das Aufenthaltsverbot fällt. Eintritt verboten“.
## Weiße Container für noch mehr Grenzschützer
Auf dem Rückweg zur Grenzstation in Szudziałowo kommt die Kolonne an einem
weißen Containerlager vorbei, daneben und entlang der Hauptstraße des Ortes
stehen Dutzende olivgrüne Militärlaster. Auf die Frage, ob man hier
anhalten könne, antwortet der Fahrer mit einem knappen: „Hier gibt es
nichts zu sehen!“ Wie viele Soldaten denn hier untergebracht seien?
„Hunderte.“ Insgesamt sind entlang der belarussisch-polnischen Grenze rund
20.000 polnische Grenzschützer, Soldaten und sogenannte terytorialsi –
vaterländisch inspirierte Freizeitkrieger – stationiert.
Während in Szudziałowo an manchen Fenstern der Wohnblocks ein „Wir danken
euch!“-Schild klebt, hält man sich im Dorf Białowieża eher bedeckt. Nachdem
einer der freiwilligen Grenzhelfer einen Biber erschossen hatte, weil der
sich angeblich verdächtig bewegte, lassen die Eltern ihre Kinder nicht mehr
allein in den Wald. „Wir hoffen, dass die Grenzmauer bald fertig ist“, sagt
eine Pensionswirtin. „Dann ziehen hoffentlich die Soldaten wieder ab, und
die Touristen kommen zurück.“ Ihren Namen will sie nicht gedruckt sehen.
Zum Bauplatz der neuen Grenzanlage startet ein Bus mit 35 JournalistInnen
und MitarbeiterInnen diverser polnischer Ministerien vom Dorf Popławce aus.
Die Regierung hat hier neben einem alten Schulgebäude eine Art
Pressezentrum aus weißen Containerboxen eingerichtet. Dort gibt es zwar
keine Informationen zur Grenze, doch man kann sich aufwärmen und die
Internetverbindung nutzen.
## Die Baustelle an der Grenze
Nach einer guten halben Stunde Fahrt ist die Grenze erreicht: Auf einem
matschigen Bauplatz fahren ununterbrochen Lastwagen, Bagger, Betonmischer
und Spiralbohrmaschinen hin und her. Ein Teil der Stacheldrahtsperre ist
bereits demontiert. Ein paar Meter entfernt und parallel zum ehemaligen
Grenzzaun stehen Soldaten mit umgehängten Gewehren und mannshohen
Plexiglasschilden. „Für den Fall, dass wir von der belarussischen Seite aus
angegriffen werden“, erklärt eine Pressesprecherin. Jenseits der Grenze ist
allerdings kein Mensch zu sehen – nur Bäume, so weit das Auge reicht.
Bauleiter Adam Polinski erklärt, dass die [3][neue Grenzanlage] 5,50 Meter
hoch sein werde und aus Stahlstäben mit einer Stacheldrahtrolle als
Abschluss bestehen soll. Seine Firma Unibep sei für die Vorbereitung des
Baugrunds zuständig, könne Bäume bis zu 8 oder auch 12 Meter von der
geplanten Grenzanlage fällen, bohre die Löcher für die Pfähle und betoniere
bereits die Stahlhalterungen in 3 Meter Tiefe ein.
Der Frage, ob Unibep auch die 8 bis 12 Meter breite Schneise durch das
streng geschützte Naturschutzreservat im Białowieza-Urwald schlagen werde,
um dort Platz für die 3 Kilometer lange Grenzanlage zu schaffen, weicht er
aus. „Die Planung ist noch nicht abgeschlossen“, sagt Polinski. Eine der
Pressesprecherinnen des Grenzschutzes sagt dazu: „Dort werden wir so
waldschonend wie möglich bauen.“
Der Bau der Grenzanlage, der in der vergangenen Woche an vier Stellen
gleichzeitig begonnen hat, soll schon im Juni abgeschlossen sein. Die
Sperranlage wird allerdings nur auf rund der Hälfte der
belarussisch-polnischen Grenze stehen. Auf rund 200 Kilometern Länge
verläuft die Grenze durch Flüsse wie den Bug, die Świsłocz und einige
kleinere Seen. Die Kosten für das Bauwerk werden auf exorbitante 1,6
Milliarden Złoty, umgerechnet etwa 353 Millionen Euro, veranschlagt. Obwohl
das polnische Innenministerium, der Grenzschutz und der Geheimdienst den
Auftrag ohne Ausschreibung vergeben haben und eine Kostenprüfung strikt
ablehnen, soll die Europäische Union die Kosten übernehmen, wenn es nach
den polnischen Erbauern geht.
## Nicht alle Anwohner sind begeistert
In [4][Michałowo], einer Kleinstadt außerhalb der Sperrzone, lacht
Bürgermeister Marek Nazarko bitter auf: „Das sind die nächsten Millionen
Steuergelder, die diese Regierung mal eben so versenkt.“ Die neue
Grenzanlage sei leicht zu überwinden – eine 6 bis 7 Meter hohe Leiter
reiche. Der 53-Jährige, der auch schon als Landwirt, Polizist, Bauarbeiter,
Dorfschulze und Jurist gearbeitet hat, lässt zwei Metallkugeln durch die
Finger gleiten. „Für eine Milliarde und sechs-hundert-tausend Złoty“, zie…
er die Zahlen in die Länge, „könnte man Hunderte Notaufnahmeunterkünfte
bauen. Das hat Polen seit dem Betritt zur EU 2004 nicht getan.“
Sein Stellvertreter Konrad Sikora nickt: „Jetzt im Winter kommen natürlich
sehr viel weniger Flüchtlinge über die grüne Grenze, aber das Problem ist
nicht ausgestanden. Wir können doch diese Menschen, die in ihrer Heimat oft
Furchtbares erlebt haben und jetzt auf den Schutz in der EU hoffen, nicht
einfach zurück über die Grenze und in die Hände von Lukaschenko treiben!“
Auf dem Besuchertisch in seinem Büro stehen zwei grüne, von einem Künstler
gestaltete Keramiklampen. Sie symbolisieren die Bewegung des „grünen
Lichts“, die in Michałowo ihren Anfang nahm und der sich immer mehr
Menschen entlang der Grenze angeschlossen haben. In jedem Haus, in dem eine
grüne Lampe brennt, können Flüchtlinge auf eine freundliche Aufnahme
hoffen, auf heißen Tee und ein warmes Essen und – falls nötig – auf
Kleidung und Schuhe. „Die Flüchtlinge haben ein Recht auf ein
Asylverfahren, egal wie sie hierhergekommen sind“, sagt Sikora.
Bürgermeister Nazarko sieht aus dem Fenster in den verschneiten Park vor
dem Rathaus. „Letztens war die Menschenrechtsbeauftragte der EU hier in
Michałowo und dann auch der deutsche Botschafter. Aber beide haben nur mit
den Achseln gezuckt. Sie könnten nichts tun gegen die Pushbacks der
polnischen Regierung.“ Er dreht sich um, will schon gehen, sagt aber dann
noch: „Für mich war das eine große Enttäuschung: Die EU tritt die
Menschenrechte mit Füßen, weil sie keine Migrationspolitik auf die Reihe
kriegt. Wozu machen diese Politikerin und dieser Botschafter eigentlich
ihren Job?“
## Hamid, gefangen im Internierungslager Wędrzyn
39.700-mal, so meldet es Polens Grenzschutz, haben Menschen im vergangenen
Jahr versucht, illegal über Belarus nach Polen zu gelangen. Wie viele
direkt an die Grenze zurückgeschoben wurden und wie viele für ein
Asylverfahren nach Polen hereingelassen worden sind, ist offen. Diese
Zahlen gibt die Regierung in Warschau nicht heraus.
Wer ins Land gelassen wird, kommt auf unbestimmte Zeit in ein
Internierungslager. Nach Angaben der Grenzpolizei befanden sich Mitte
Januar rund 1.750 Asylsuchende in den insgesamt neun Lagern des Landes.
Einer von ihnen ist Hamid, 28, ein Bauingenieur aus der zentralafghanischen
Provinz Ghor, der seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen will.
Hamid verließ Afghanistan nach eigener Aussage auf dem Landweg, Frau und
Kind ließ er zurück. Per Zug reiste er dann über Usbekistan, Kasachstan und
Russland nach Minsk, das er am 28. August erreichte.
Wie so viele andere auch versuchte er, die Grenze in die EU zu überqueren.
Das erste Mal hätten ihn polnische Grenzschützer aufgegriffen. „Sie haben
uns in der Nacht zuerst in einen Militärstützpunkt und dann wieder an die
Grenze gebracht.“ Doch ins Landesinnere nach Belarus konnten sie nicht –
die Sicherheitskräfte dort ließen sie nicht zurückgehen. „Sie haben uns
nicht geschlagen, aber ohne Essen oder Wasser zurückgeschickt. Warum haben
sie das getan?“, fragt er. Nach Tagen im Wald trafen sie Anwohner:innen.
„Wir sagten ihnen, dass wir Angst hatten zu sterben und nicht wüssten, wo
wir sind.“ Insgesamt dreimal, so sagt es Hamid, habe er versucht, nach
Polen zu gelangen. Erst beim dritten Mal konnte er schließlich einen
Asylantrag stellen.
## Monatelanges Warten im Lager Wedrzyn
Hamid kam in das Lager von [5][Wędrzyn], eine Militärkaserne rund eine
Autostunde östlich von Frankfurt an der Oder. Anfang September war das.
Zwei Monate, habe man ihm gesagt, müsse er dort bleiben. „Jetzt bin ich
fünf Monate hier, ich habe nichts bekommen – keine Papiere, auf die ich
mich berufen könnte, und niemand sagt mir, wie es weitergeht.“
Theoretisch können Asylbewerber:innen in Polen für die gesamte Zeit
ihres Asylverfahrens interniert werden. Nach Angaben der polnische
Rechtshilfegruppe [6][Fundacja Ocalenie] werden diese zwar dann doch teils
früher wieder freigelassen, ein erkennbares Muster gebe es hierbei aber
nicht. Die Asylverfahren in Polen sind langwierig, Fundacja Ocalenie ist
kein Fall bekannt, in dem ein Verfahren eines seit August über Belarus
eingereisten Schutzsuchenden bereits abgeschlossen wäre.
Auf ihrer Webseite zeichnet der Grenzschutz ein Bild der „bewachten
Zentren“, wie die Regierung die Lager nennt, das an eine Ferienanlage
erinnert: Neben „komfortablen Lebensbedingungen“ gebe es „separate Orte f…
aktive Erholung, Fitnessstudios und Spielplätze“, Computer mit
Internetzugang, Fernsehräume sowie „abwechslungsreiche und gesunde
Vollpension“.
Die Insassen sind weniger angetan. In Wędrzyn gab in den vergangenen Wochen
mehrfach Streiks und eine Revolte. Ende Januar traten Gefangene erneut in
Hungerstreik.
Rund 600 Männer wie Hamid werden in Wędrzyn festgehalten, aufgeteilt auf
fünf Blöcke mit je sechs Zimmern, für jeweils 20 Personen. „In meiner Zelle
bin in der einzige Afghane, die andern stammen aus dem Irak“, sagt Hamid.
Die hätten „keinen Respekt“ und würden in der Zelle rauchen. „Es gibt e…
Toilette und für unseren ganzen Block nur eine Dusche, mal kalt, mal warm.“
Die polnische Regierung hat gleich zu Beginn der Flüchtlingsbewegung über
Belarus die „Verordnung über bewachte Zentren“ verändert. Nach der alten
Regelung stand jedem inhaftierten Flüchtling eine Mindestfläche von 4
Quadratmetern zu, seither sind es nur noch 2 Quadratmeter. Damit konnte die
Kapazität der Internierungslager verdoppelt werden. Doch auch das reichte
nicht. Deshalb wurden drei weitere Lager eingerichtet. Das größte davon ist
Wędrzyn.
## „Weit entfernt von Mindeststandards“
Die Haftlager in Polen seien „weit entfernt von den Mindeststandards, die
für Schutzsuchende in der Europäischen Union vorgesehen sind“, sagt die
Juristin und Linken-Bundestagsabgeordnete [7][Clara Bünger]. „Wenn selbst
die polnische Vizekommissarin für Menschenrechte die Situation für
Schutzsuchende als klaren Verstoß gegen das Verbot von Folter und
unmenschlicher Behandlung beschreibt, ist das ein absolutes Warnsignal.“
Polen habe kein Recht, Schutzsuchende pauschal zu inhaftieren. Die deutsche
Bundesregierung müsse sich dafür einsetzen, dass die Menschen sofort aus
den Lagern evakuiert werden, sagt Bünger.
„Alle hier sind krank“, beklagt sich Hamid. Er selbst leide unter
Depressionen, sorge sich um Frau und Kinder. Seine Ehefrau habe in Kabul
Literaturwissenschaft studiert, auch sie werde von den Taliban bedroht.
„Sie muss sich dauernd woanders verstecken und wartet darauf, dass ich sie
nachholen kann.“
Die Kommunikation ist schwierig, wenn auch nicht unmöglich. Hamid besitzt
ein einfaches Handy, das seine Anwältin ihm geschickt hat. „Man darf hier
kein Handy mit Kamera haben“, sagt Hamid. Die Regierung will offenkundig
vermeiden, dass die Internierten dokumentieren, wie sie festgehalten
werden. Smartphones und damit auch Messengerdienste wie Whatsapp sind
deshalb im Lager verboten. Es gebe einen Computer mit Internetzugang pro
Block, entsprechend selten könne er diesen nutzen, sagt Hamid. Seine Zelle
zu verlassen sei nur für den Gang auf einen sehr kleinen umzäunten Hof
sowie für den Weg zum Speisesaal erlaubt. „20 Soldaten bewachen uns
ständig“, sagt Hamid. „Wir können hier nicht schlafen, haben Hungerstreik
gemacht, aber das hat niemand interessiert.“
Er habe Anträge geschrieben und den Wachen gegeben. „Ich habe darauf keine
Reaktion bekommen, die Wachen sagen immer nur: ‚Du musst warten‘. Ich habe
absolut keine Ahnung wie es weitergeht.“
Seine Anwältin mache ihm wenig Hoffnung. „Sie sagt, wir müssen warten, bis
die Regierung entscheidet, wie es mit mir weitergeht. Das könne kann lange
dauern, vielleicht sechs Monate.“ Diese Zeit wäre bald um. Sicher ist aber
keineswegs, dass Hamid dann freikäme. Die Anerkennungsquote für
Asylsuchende in Polen lag 2020 bei rund 30 Prozent. Für Schutzsuchende aus
islamischen oder afrikanischen Ländern sind die Aussichten besonders
schlecht.
1 Feb 2022
## LINKS
[1] /Grenzregion-zu-Belarus/!5797848
[2] /Polnisch-belarussische-Grenze/!5805669
[3] /Grenze-zwischen-Polen-und-Belarus/!5816565
[4] /Grenzregion-zwischen-Polen-und-Belarus/!5806085
[5] /Polnisch-belarussische-Grenze/!5822377
[6] https://ocalenie.org.pl/
[7] https://www.linksfraktion.de/fraktion/abgeordnete/profil/clara-buenger/
## AUTOREN
Gabriele Lesser
Christian Jakob
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Polen
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