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# taz.de -- Grenze Polen zu Belarus: Abriegeln zerstört Öko-Paradies
> Der Wald an der polnischen Ostgrenze ist Heimat für Wisente und
> Wildpferde. Jetzt errichtet die Regierung dort eine Mauer, um Flüchtlinge
> fernzuhalten.
Bild: Krakau, 6. Januar 2022: Protest für den Erhalt des Białowieża-Walds
Sacharewo taz | Rund 10.000 Jahre seit der letzten Eiszeit blieb der
Białowieża-Wald, wie er war: Bäume wuchsen, starben ab, neue kamen nach.
Gerodet wurde nie. Die Massen an Totholz haben eine einzigartige Vielfalt
von 12.000 Tierarten ermöglicht. Nirgendwo in Europas Flachland gibt es
heute noch einen Urwald wie hier, auf beiden Seiten der Grenze von Polen
und Belarus. In Polen ist der Białowieża-Wald vom EU-Recht streng
geschützt, als so genanntes Natura 2000-Gebiet.
Es kann aber sein, dass er das nächste halbe Jahr nicht übersteht: Am 25.
Januar begann [1][Polen mit den Bauarbeiten für eine Anti-Flüchtlings-Mauer
entlang seiner Ostgrenze]. Schon im Sommer soll sie fertig sein – und auf
50 Kilometern mitten durch den 150.000 Hektar großen Białowieża-Wald
führen, neue Zufahrtswege inklusive.
Der Wald beginnt hinter der Kleinstadt Hajnowka: hohe Eichen, Kiefern,
Sümpfe. Auch jetzt, im Winter, sind die Moose auf den abgestorbenen
Stämmen, die Gräser an den gefrorenen Wasserlöchern grün. Der äußere Teil
des Waldes ist mit einigen Wegen für Besucher:innen und
Waldarbeiter:innen erschlossen, die Kernzone ist unzugänglich. Hier
leben Wisente, Elche, Luchse, Wölfe, Wildpferde.
Der Wald liegt in der „Emergency Zone“, einem Sperrgebiet, das die
Regierung im September eingerichtet hatte, um Hilfsorganisationen und
Beobachter:innen von den [2][ankommenden Flüchtlingen] fernzuhalten.
## Früher zog der Wald Naturliebhaber an
Katarzyna Wappa, eine Englischlehrerin aus Hajnowka, ist trotzdem fast
jeden Tag im Wald unterwegs, um dort ausharrenden Flüchtlingen Kleidung und
Essen zu bringen. Anwohner:innen wie sie dürfen hinein, Begleiter
nicht. Wappa hat sich ein einjähriges Sabbatical vom Schuldienst genommen,
um den Ankommenden im Wald helfen zu können. Weil sie in polnischen Medien
die Regierung kritisiert hat, wurde sie öffentlich als „Freundin Putins“
diffamiert.
An dem Weg, den sie einschlägt, gibt es keine Markierung. Dass hier die
Rote Zone beginnt, sieht nur, wer seine GPS-Position mit einer Online-Karte
abgleicht. „Kann sein, dass es Ärger gibt“, sagt Wappa, und geht unbeirrt
weiter. Bald darauf tauchen Grenzschützer:innen mit einem Jeep auf,
bleiben aber darin sitzen.
Der Wald war eine Attraktion, zog Naturliebhaber:innen an, bevor er
Sperrgebiet wurde. Viele in der Region sorgen sich um seinen Erhalt. „Wenn
die Mauer wirklich gebaut wird, hätte das immense Auswirkungen“, sagt
Wappa. „Ich würde keinen Urlaub in der Nähe eines Zauns machen. In Berlin
gab es eine Mauer, jeder wollte sie niederreißen, jetzt soll hier eine neue
entstehen.“
Angesichts der Klimakrise ein ökologisch derart wertvolles Gebiet zu
zerstören – dafür fehlt Wappa jedes Verständnis. Der Wald sei eine
„grenzüberschreitende Einheit“, in der sich viele Tierpopulationen bewegen.
„Ohne den Austausch mit anderen Populationen in Weißrussland sind sie stark
gefährdet.“
## Ökologisches Gesamtgefüge würde zerstört
Im November 2021 hat das Parlament in Warschau beschlossen, dass für die
Grenzmauer weder das reguläre Baurecht, noch das Wasser- und Umweltrecht
gelten. Privatflächen dürfen umstandslos enteignet werden. Die 184
Kilometer lange Mauer soll neben dem Białowieża-Urwald noch fünf weitere
„Natura-2000“-Gebiete durchqueren: den Augustów-Wald, den
Ostoja-Knyszyńska-Wald, die Biebrza-Sümpfe, sowie zwei Schutzgebiete
entlang des Grenzflusses Bug.
Am 31. Januar ging bei der EU-Kommission ein Brief ein, den über 700
Wildbiolog:innen, Forst- und Umweltwissenschaftler:innen, darunter
zahlreiche Lehrstuhlinhaber:innen unterzeichnet hatten. „Wir fordern
die Europäische Kommission auf, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um
den Bau der Mauer entlang der Grenze zwischen Polen und Weißrussland sofort
zu stoppen“, steht darin.
Zwischen zahlreichen bedrohten Lebensräumen in Mittel- und Osteuropa
bestehen Verbindungen, erläutern die Forscher:innen. Die Mauer würde diese
Korridore unterbrechen und so ein ökologisches Gesamtgefüge zerstören, das
weit über den Białowieża-Urwald hinausreicht. Die Folgen wären
„verheerend“.
Schon 2017 hatte Polen – angeblich wegen Befalls mit dem Buchdrucker-Käfer
– im Białowieża-Urwald massenhaft Bäume fällen lassen. [3][Die
EU-Kommission hatte das Land deshalb verklagt] und 2018 beim EuGH gewonnen.
Der urteilte, dass die Abholzung gegen das EU-Naturschutzrecht verstieß.
Doch im Oktober 2021 klagten Umweltschützer:innen erneut, dass die
Holzfäll-Arbeiten wieder aufgenommen wurden. Die zuständige polnische
Forstbehörde bestätigte auf ihrer Webseite „Arbeiten zur Erhaltung des
Waldes“.
Die Regierung in Warschau ist indes fest entschlossen, den Mauerbau im
Białowieża-Urwald durchzuziehen. Eine Sprecherin des Grenzschutzes sagte
kürzlich taz-Korrespondentin Gabriele Lesser, man werde dort „so
waldschonend wie möglich bauen“.
10 Feb 2022
## LINKS
[1] /An-der-Grenze-Polens-zu-Belarus/!5829402
[2] /Offener-Brief-zur-Fluchtpolitik-der-EU/!5820776
[3] /EU-Gerichtshof-urteilt-ueber-Urwald/!5496010
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Urwald
Polen
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Flüchtlinge
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