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# taz.de -- Film „Grüne Grenze“ von Agnieszka Holland: Pushbacks als Wahlk…
> Kurz vor den polnischen Parlamentswahlen zeigt ein Spielfilm Jagdszenen
> auf Migranten an der Grenze zu Belarus. Die Meinungen dazu sind geteilt.
Bild: Eine Szene aus „Zielona Granica“ („Green Border“) wird in Polen z…
Dass ein Spielfilm zum Wahlkampfthema wird und am Ende von fast allen
Politikinteressierten heiß diskutiert, kommt auch in Polen nur selten vor.
Doch in ihrem neuesten Film „Grüne Grenze“ zeigt die berühmte Regisseurin
Agnieszka Holland brutale Szenen an der [1][polnisch-belarussischen
Grenze]. Skrupellose und hasserfüllte Grenzschützer prügeln alte Männer,
schwangere Frauen und selbst Kleinkinder zurück über die Grenze nach
Belarus. Als es zwei Geflüchteten gelingt, bei einer nächtlichen
Polizei-Razzia mitten im Wald den Häschern zu entkommen, geraten sie ins
Sumpfgebiet des Białowieża-Urwaldes.
Die Frau ruft mit immer schwächer werdender Stimme „Help, help“, bis eine
junge Polin, die in der Sperrzone an der Grenze wohnt, sie hört und zu
Hilfe eilt. Doch den zehnjährigen Jungen können sie nicht mehr retten. Er
versinkt vor ihren Augen im Moor. Die völlig unterkühlte und ausgehungerte
Afghanin wird im Krankenhaus aufgepäppelt, doch als es ihr besser geht,
holt der Grenzschutz sie mit einem Lkw ab. „Asylum in Poland“, ruft sie auf
Englisch. Doch vergeblich.
Als Aktivisten und Bewohner der Sperrzone, die Geflüchteten im
Białowieża-Urwald mit trockener Kleidung und heißer Suppe helfen, beim
Grenzschutz nach der Geretteten aus dem Sumpf fragen, bekommen sie keine
Antwort. Die Afghanin, die auf ein sicheres Leben in Polen gehofft hatte,
bleibt verschwunden. Ohne Brille, Geld und Handy hat sie keine große
Überlebenschance, sollte sie zurück nach Belarus gebracht worden sein.
„Ein schrecklicher Film“, stöhnt Maria, 36, als sie in der Kino-Bar vor
einem Warschauer Kino einen Kaffee bestellt. Ihr Mann Wojtek, 36, stimmt
zu: „Gut, dass wir uns den Film angesehen haben. Er sollte in allen
polnischen Schulen gezeigt werden!“ Er bestellt ein kleines Bier und wendet
sich an seine Kinder: „Was meint ihr?“
## Zerknitterte Zeitungsartikel zum Film
Krystyna, 16, streicht ihre langen braunen Haare zurück und sagt: „Bei uns
an der Schule sagen die einen, dass das eine Art Nazi-Propagandafilm ist.
Die anderen finden, dass wir Katholiken den Geflüchteten helfen sollten.“
Vater Wojtek nickt und sieht seinen Sohn an. Der vierzehnjährige Piotr
lacht aufreizend: „Am besten war die Striptease-Szene!“ Seine Mutter ist
empört: „Wie kannst du nur so was sagen! Wenn du an Stelle der Aktivistin
gewesen wärst, dann hättest du die Leibesvisitation auch über dich ergehen
lassen müssen.“ „Nein, ich bin doch polnischer Patriot“, sagt Piotr, „…
wäre Grenzschützer, nicht Aktivist oder Geflüchteter!“
Sein Vater kann sich nur schwer beruhigen: „Wo hast du denn das her? Hast
du wieder zu viel TVP Info geguckt?“ Der [2][Staats- und Propagandasender]
der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) macht seit Tagen
Stimmung gegen den Film. „Als Patriot solltest du dich eher schämen. Das
ist schlimm, was unsere Leute da an der Grenze tun.“
Maria kramt mehrere zerknitterte Zeitungsartikel zum Film aus ihrer
Handtasche. „Hier“, sagt sie. „Ich habe das extra eingesteckt. Da haben w…
alles Schwarz auf Weiß“. Zuoberst liegt ein Artikel der linksliberalen
Gazeta Wyborcza. Sie liest vor: „Tylko świnie siedzą w kinie – Nur Schwei…
sitzen im Kino“, das habe Präsident Duda gesagt. „Da wir alle in diesem
Film waren, sind wir also Schweine, Du auch, mein lieber Sohn.“
Vater Wojtek überfliegt einen anderen Artikel. „In diesem PiS-Blatt
schreiben sie, dass der Film mitten im Wahlkampf Premiere hat, damit die
Polen umdenken. Sie sollen Mitgefühl mit den Geflüchteten bekommen, statt
zuallererst an die eigene Sicherheit zu denken.“ Piotr streckt die Hand aus
und tippt auf die Schlagzeile: „Hier steht ‚Applaus für die Grenze in
Russland und Belarus‘. Ich meine, die haben doch recht.“
Mutter Maria schüttelt den Kopf: „Lasst uns das besser heute Abend zu Hause
in aller Ruhe ausdiskutieren.“ An der Kinokasse stehen derweil die nächsten
Neugierigen, die „Grüne Grenze“ sehen wollen.
30 Sep 2023
## LINKS
[1] /Migrationspolitik-in-Polen/!5952779
[2] /Medienlandschaft-in-Polen/!5629025
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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