# taz.de -- Ampel streitet über den Haushalt: Geld für Kinder – oder Panzer | |
> In der Ampel gibt es Streit über die Prioritäten in der Finanzplanung. | |
> Projekte wie die Kindergrundsicherung stehen auf dem Spiel. | |
Bild: In der Ampel-Koalition wird gerade scharf geschossen: FDP versus Grüne u… | |
BERLIN taz | Wenn zwei Minister sich Briefe schreiben, ist das selten ein | |
gutes Zeichen. Der öffentlich gewordene Briefwechsel zwischen | |
[1][Finanzminister Christian Lindner] (FDP) und dem Grünen Wirtschafts- und | |
Klimaminister Robert Habeck kündigt denn auch neues Ungemach in der Ampel | |
an. Es geht natürlich ums Geld. | |
Die vom Finanzminister aufgestellten [2][Eckwerte für den Bundeshaushalt | |
2024] und die forsche Forderung des neuen [3][Verteidigungsministers Boris | |
Pistorius (SPD)] nach weiteren 10 Milliarden Euro für die ihm unterstellte | |
Truppe veranlassten Habeck dazu, an den Kollegen Lindner zu schreiben. | |
Auch im Namen der grünen Minister:innen bat er vergangene Woche darum, | |
keine weiteren Vorfestlegungen zu treffen, die einseitig Ausgaben | |
priorisierten; etwa die Aktienrente oder die Bundeswehr. Kollege Lindner | |
schrieb einen Tag später in spitzem Ton zurück, dass er sich wundere: Die | |
Grünen hätten der Finanzplanung doch zugestimmt | |
Der Haken ist aber: Mehrkosten, etwa wegen der Wohngeldreform, sind in | |
Lindners Finanzplänen noch gar nicht eingepreist. Zudem rechnet der | |
Finanzminister mit weiteren Zusatzausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe, | |
etwa durch die steigende Zinslast und höhere Personalausgaben. | |
Gleichzeitig wird eine bislang sprudelnde Geldquelle fast trockengelegt. | |
Noch ist es dem Bund erlaubt, neue Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe | |
aufzunehmen. Doch ab diesem Jahr gilt die Schuldenbremse. Weniger Einnahmen | |
bei steigenden Ausgaben – man muss kein Mathegenie sein, um zu verstehen, | |
was das bedeutet. In einer Präsentation aus dem Bundesfinanzministerium vom | |
Januar heißt es denn auch unmissverständlich: Kürzungen in den jeweiligen | |
Ressorteinzelplänen könnten nicht ausgeschlossen werden. | |
Bei Grünen und SPD wächst daher die Sorge, dass noch nicht mal beschlossene | |
[4][Großvorhaben wie die Kindergrundsicherung d]em Spardiktat zum Opfer | |
fallen könnten. Öffentlich versuchen die Haushaltspolitiker zwar zu | |
beschwichtigen: Es sei doch politische Normalität, dass sich Minister über | |
den Bundeshaushalt auseinandersetzen, meint etwa der Grünen-Haushälter | |
Sven-Christian Kindler zur taz. Er gehe davon aus, dass das Kabinett eine | |
gute Lösung finde, und er betont: „Die Kindergrundsicherung ist eines der | |
wichtigsten Projekte aus dem Koalitionsvertrag und alle drei Partner sind | |
bei der notwendigen Finanzierung gefragt.“ | |
Auch SPD-Haushälter Dennis Rohde verweist auf den Koalitionsvertrag. „Der | |
bildet auch weiterhin für uns die Grundlage für die weitere | |
Haushaltaufstellung.“ Doch er räumt ein: Der Haushalt für 2024 werde eine | |
große Herausforderung. | |
Das grün geführte Familienministerium erarbeitet gerade das Gerüst für die | |
Kindergrundsicherung. Erste Eckpunkte vom Februar, die der taz vorliegen, | |
zeigen, dass es in der Tat ein teurer Bausatz werden könnte. Im Raum stehen | |
je nach Modell Mehrkosten von etwa 11 Milliarden Euro. | |
So will das Familienministerium, dass der Staat künftig aktiv auf Familien | |
zugeht und so die [5][verdeckte Armut lindert]. Den einkommensabhängigen | |
Kinderzuschlag von maximal 250 Euro nimmt zum Beispiel aktuell nur ein | |
Drittel der Familien in Anspruch, die ein Anrecht darauf haben, wie aus der | |
Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. | |
Mit der Kindergrundsicherung soll der Staat bezugsberechtigte Familien über | |
diese Option informieren und ermuntern, den Zuschlag zu beantragen. Der | |
Kreis der Empfänger:innen könnte sich also verdreifachen. | |
Grundsätzlich soll die Kindergrundsicherung aus einem Garantiebetrag | |
bestehen, den alle Eltern bekommen. Er wird wohl auf dem Niveau des | |
heutigen Kindergelds liegen, das pro Kind 250 Euro beträgt. Des Weiteren | |
soll es einen „Zusatzbetrag“ geben, der armen Familien zugute kommen soll. | |
Allerdings ist noch unbekannt, wie hoch dieser Betrag sein wird und wer | |
davon profitieren wird. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte auf | |
einer Fachtagung Ende Januar gesagt, dass sie diesen flexiblen Betrag | |
anheben wolle. Zusammen sollen Garantiebetrag und Zusatzbetrag das | |
Existenzminimum des Kindes sichern. Auch dieses Existenzminimum soll neu | |
berechnet werden. | |
Für Paus ist die Kindergrundsicherung „das zentrale sozialpolitische | |
Projekt dieser Bundesregierung“ und der Kampf gegen Kinderarmut „meine | |
zentrale Motivation am Amt“. | |
In Deutschland leben circa 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche von | |
staatlichen Leistungen. Über die Hälfte, etwa 1,6 Millionen Kinder, stammen | |
aus Haushalten mit erwerbstätigen Eltern. Die Kindergrundsicherung könnte | |
laut einer Berechnung, die das Ifo-Institut 2021 für die Grünen angestellt | |
hat, die Zahl der von Armut bedrohten Menschen verringern. Sie käme vor | |
allem Alleinerziehenden zugute, die besonders häufig von Armut betroffen | |
sind. | |
Die familienpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Heidi | |
Reichinnek, verfolgt den Koalitionsstreit mit Unbehagen: „Die Ampel | |
arbeitet auch hier ganz offensichtlich gegeneinander – ich befürchte, der | |
große Wurf bleibt bei der Kindergrundsicherung aus“, sagt sie. | |
Fließen soll das Geld zwar erst 2025. So lange dauert es, um die | |
unterschiedlichen sozialen Leistungen, die Kindern heute zustehen, bei | |
einer Stelle zusammenzuführen und die digitale Grundlage zu schaffen, um | |
das Geld direkt an die Betroffenen auszuzahlen. Aus der Grünen-Fraktion | |
heißt es aber, die Kindergrundsicherung müsse jetzt dringend in die | |
Finanzplanung aufgenommen werden. Und ja, die Ausgaben dafür stünden dann | |
durchaus in Konkurrenz zu den Bundeswehrmehrausgaben. | |
Dass die von Pistorius geforderten zusätzlichen 10 Milliarden Euro für die | |
Bundeswehr aus regulären Haushaltsmitteln kommen, sieht | |
Grünen-Haushaltspolitiker Sven Kindler jedoch nicht. „Aus dem | |
100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr sind erst 13 Milliarden | |
verplant“, verweist Kindler auf den vor einem halben Jahr beschlossenen | |
Topf. | |
## SPD-Spitze bremst Pistorius | |
Auch aus der eigenen Partei bekommt Pistorius Gegenwind, etwa von | |
SPD-Chefin Saskia Esken, die ebenfalls auf den Sondertopf zeigt. Doch | |
selbst wenn Pistorius mit seinem Vorstoß zurück ins Glied beordert wird, | |
reicht das nicht, um einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Der ist | |
bereits ohne Sonderwünsche in zweistelliger Milliardenhöhe überbucht, wie | |
die Aufstellung des Finanzministeriums zeigt. Woher also zusätzliches Geld | |
nehmen? | |
Selbst in der FDP denkt man nun über Steuererhöhungen nach. | |
Selbstverständlich nicht für Reiche oder Unternehmer:innen. Deren | |
Belastung will die FDP verringern. Stattdessen plädieren Teile der Fraktion | |
dafür, Ausnahmen von der Mehrwertsteuer zu streichen. Für die | |
Grünen-Finanzpolitikerin Katharina Beck der absolut falsche Schritt. „Denn | |
Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuer belasten kleine und mittlere | |
Einkommen mehr“, so Beck zur taz. „Gerade mit Blick auf die immer noch sehr | |
hohe Inflation wäre eine umfassende Erhöhung von Verbrauchssteuern | |
zugunsten genereller Senkungen von Unternehmenssteuern ein soziales | |
Unding.“ | |
Mitte März will die Regierung die Eckwerte für den Haushalt 2024 und den | |
Finanzplan bis 2027 beschließen. Das Nachdenken darüber, wie man die | |
Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben hinkriegt, dürfte danach noch mal | |
Fahrt aufnehmen. Und der eine oder andere Brief wird vielleicht noch | |
geschrieben werden. | |
21 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlschlappe-der-FDP-in-Berlin/!5912608 | |
[2] /Habeck-und-Lindner-streiten-per-Brief/!5916794 | |
[3] /Verteidigungsminister-ueber-Dienstpflicht/!5916465 | |
[4] /Soziale-Lage-verschaerft-sich/!5911561 | |
[5] /Kinderarmut-in-Deutschland/!5917636 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Nicole Opitz | |
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