# taz.de -- Altern in einer jungen Stadt: Ich bin gerne Boomerin | |
> Alle wollen jugendlich bleiben und verfallen dabei manchmal ins | |
> Kindliche. Unsere Kolumnistin hat die Kindheit lange zurückgelassen. | |
Bild: Ich bin Boomerin – dieses Statement hat so was Unvernünftiges, Jugendl… | |
Ich muss sagen, ich bin gerne Boomerin. Das Wort hört sich schön an, nach | |
[1][„La Boum – die Fete“] oder „Boomer, der Streuner“, viel besser als | |
„Millennial“ oder „Gen Z“. Ab und zu versucht mal einer den lahmen „O… | |
Boomer“-Witz anzubringen – who cares! | |
Ich bin Boomerin – dieses Statement hat so was Unvernünftiges, | |
Jugendliches. Klingt viel schöner als Silver Ager, Best Ager, Golden Ager | |
oder gar Seniorin. Es klingt jünger und jünger wollen ja alle klingen, | |
nicht nur die Boomerinnen. | |
Keiner will älter oder alt werden, das liegt angeblich an der Stadt. Einer | |
der vielen Vorwürfe an Berlin lautet, dass hier niemand erwachsen werden | |
wolle und erst recht nicht alt. Ganz Berlin leide am Peter-Pan-Syndrom und | |
gleiche einem runtergekommenen Neverland, so die [2][Berlinkritiker]. | |
In Berlin-Neverland trage man gerne Kapuzenpullis, Cargohosen, Jeans und | |
Turnschuhe, man kleide sich weniger schick und bürgerlich, hier sehe man | |
40-plus-Leute noch BMX fahren, skaten, Plattenkisten auf Flohmärkten | |
durchwühlen, in Clubs und auf Konzerten abhängen. Ich würde dem zustimmen, | |
aber auf 60-plus erweitern. | |
## Peter-Pan-Syndrom in Berlin | |
Diese städtische Freiheit, jung und anders zu bleiben, hat natürlich für | |
die Boomerin auch Schattenseiten. Überall sieht sie hinter den Glasfronten | |
der Co-Working-Spaces und Start-ups bärtige Werbedeppen, die an | |
Kaffeemaschinen rumslacken und beim Tischfußball in der | |
Brainstormingpause rumbrüllen wie Vierzehnjährige. Oder ist das auch | |
schon wieder vorbei? Als Boomerin kommt man da manchmal nicht hinterher. | |
Das [3][Peter-Pan-Syndrom] zeigt sich ja in jeder Dekade mit neuen Trends. | |
Um die Jahrtausendwende konnte man in den In-Bezirken einen | |
geschlechterübergreifenden Kindheitsretrotrend beobachten: Rollerfahren, | |
Zöpfchen flechten, Schürzchen tragen, sticken. Interessanterweise spielten | |
die damals Dreißigjährigen nicht ihre eigene, sondern eher eine Sechziger- | |
oder Siebziger-Jahre-Kindheit nach. | |
In Restaurants bekam man handgeschriebene Zettelchen oder Schulhefte statt | |
Speisekarten vorgelegt. Etwa 2010 übernahm man auch kulinarisch den | |
Kindheitstrend. Es wurden vermehrt bunte, weiche Kuchen angeboten. Das | |
Leben sollte ein einziger Kindergeburtstag sein. Zur Beschreibung dieses | |
Phänomens wurde das schöne Wort „cupcakification“ erfunden. | |
## Auf lieblich-woke Art altern | |
Weil alle kindlich-jugendlich sein wollten, mussten die echt jungen Leute | |
bis zum Säuglingsalter zurückgehen: Sie bildeten eine Vorliebe für Brei und | |
Flüssignahrung aus. Überall gab es plötzlich pürierte Suppen und | |
[4][Smoothies]. | |
Und nun wird die ewige Kindheit auch sprachlich manifestiert. Erwachsene | |
Menschen sprechen und schreiben wie Fünfjährige, sagen zum Beispiel „mein | |
Papa und meine Mama“. Gestandene Musiker und Musikerinnen teilen in den | |
sozialen Medien mit, sie „dürfen ein Konzert spielen“ sie „dürfen auf d… | |
Bühne stehen“, als habe es ihnen ihre „Mama“ und ihr „Papa“ erlaubt. | |
Die Boomerin hingegen hat die Kindheit lange zurückgelassen, wundert sich | |
über Zeiterscheinungen, versucht dabei nicht allzu pessimistisch und | |
grantig, sondern ganz boomeresk auf lieblich-woke Art älter zu werden. | |
4 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /La-Boum-aus-feministischer-Sicht/!5355491 | |
[2] /Verfall-und-Ignoranz-in-Berlin/!5943288 | |
[3] /Dream-Pop-Album-von-SoKo/!5016737 | |
[4] /Food-Trend-in-Kalifornien/!6029245 | |
## AUTOREN | |
Christiane Rösinger | |
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