# taz.de -- AfD und Erinnerungskultur: Zwischen Tabubruch und Selbstverharmlosu… | |
> Die AfD ist offen geschichtsrevisionistisch: Das zeigt sich im | |
> Wahlprogramm und in vielen Provokationen, kritisiert Historiker | |
> Jens-Christian Wagner. | |
Bild: Der Volkstrauertag ist ein staatlicher Gedenktag zur Erinnerung an die Op… | |
Berlin taz | Geschichtsrevisionismus bleibt ein wesentlicher Programmpunkt | |
der autoritär-nationalradikalen AfD. Auch im Entwurf für das Wahlprogramm | |
für die Bundestagswahl findet sich Geschichtsklitterung. Er steht es zwar | |
nicht so sehr im Vordergrund wie zuletzt in Thüringen, wo ein [1][Lied | |
eines NS-Dichters dem Programm vorangestellt] war, aber die Stoßrichtung | |
bleibt dieselbe. | |
Die Kernsätze im Programm, das von der Bundesprogrammkommission | |
vorgeschlagen wurde, lauten: „Die offizielle Erinnerungskultur darf sich | |
nicht nur auf die Tiefpunkte unserer Geschichte konzentrieren, sie muss | |
auch die Höhepunkte im Blick haben. Ein Volk ohne Nationalbewusstsein kann | |
auf die Dauer nicht bestehen.“ Die Partei will ihr Wahlprogramm am 11. und | |
12. Januar auf ihrem Parteitag in Riesa beschließen. | |
Der Historiker Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, | |
kritisiert die Geschichtsklitterung der AfD deutlich und sagt zu diesen | |
Kernsätzen: „Das muss man völkisch deuten. Hier scheint die alte These der | |
Neuen Rechten schon aus den Sechzigern durch – vom angeblichen | |
Nationalmasochismus, in dem wir uns alle suhlen würden.“ | |
Das Programm atme die Ideologie der extremen Rechten. Insbesondere dem | |
Satz, ein Volk könne ohne Nationalbewusstsein nicht existieren, liege ein | |
völkisch-nationalistisches Geschichtsverständnis zugrunde. „Mit der | |
Formulierung ist man nicht weit entfernt von der Höcke-Rede, in der er eine | |
‚erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‘ forderte“, so Wagner. Mit Sätz… | |
wie diesem strebe die AfD eine Abkehr von der Aufarbeitung des | |
Nationalsozialismus an. | |
## Wechselspiel zwischen Tabubruch und Selbstverharmlosung | |
Mit ihrem Geschichtsrevisionismus gehe die Partei strategisch in ein | |
Wechselspiel zwischen Tabubruch und anschließender Selbstverharmlosung, | |
sagt Wagner. Das vergleichsweise zurückhaltender formulierte Parteiprogramm | |
komme dabei der Funktion Selbstverharmlosung zu – Tabubrüche geschähen dann | |
regelmäßig in Reden oder etwa bei „Heldengedenken“ am Volkstrauertag. | |
Diesen Gedenktag hatten die Nationalsozialisten in „Heldengedenken“ | |
umbenannt – zuletzt hatten mehrere [2][AfD-Politiker sowie die | |
AfD-Jugendorganisation an so betitelten Veranstaltungen teilgenommen]. | |
Wie solche Tabubrüche der AfD konkret funktionieren, zeigt ein Fall aus | |
Thüringen. Dort hatte die Linke Mitte November im Landtag anlässlich des | |
fünfzigjährigen Jahrestages der Befreiung am 8. Mai beantragt, für das Jahr | |
2025 das Datum als Feiertag festzulegen. Der AfD-Abgeordnete Sascha | |
Schlösser sprach sich in seiner Rede dagegen aus: Er verwies stattdessen | |
auf den 11. April, dem Tag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald | |
und Mittelbau-Dora. Allerdings ging er nicht auf die Befreiung von | |
Buchenwald an diesem Tag ein, sondern sagte: „Gehen sie nach Gispersleben | |
[Anm. d. Red.: Stadtteil von Erfurt]. Da ist eine kleine Grabplatte. Da | |
wurden am 11. April durch amerikanische Soldaten 50 blutjunge Soldaten | |
erschossen.“ | |
## Schuldumkehr durch Falschdarstellung | |
Wagner sagte dazu: „Das ist eine besonders perfide Variante der | |
Schuldumkehr.“ Schlössers Sätze seien eine Falschdarstellung: Der größte | |
Teil der mindestens 45 dort gestorbenen Soldaten sei im Gefecht gefallen, | |
zudem habe es sich bei den dort kämpfenden deutschen Einheiten mehrheitlich | |
um Soldaten der Waffen-SS und reguläre Wehrmachtssoldaten sowie Angehörige | |
des ‚Volkssturms‘ unter dem Kommando eines SS-Obersturmführers gehandelt. | |
Am 11. April hätten diese bei einem Gegenangriff an mindestens zwei Stellen | |
Amerikaner gelyncht, die sich bereits ergeben hatten – ein | |
Kriegsverbrechen. Die amerikanischen Einheiten, die einige Tage zuvor das | |
KZ-Außenlager im thüringischen Ohrdruf befreit und die dortigen | |
Massengräber gesehen hatten, beschlossen daraufhin mit besonderer Härte | |
gegen die SS vorzugehen und keine Gefangenen zu nehmen – anschließend | |
erschossen sie auch SS-Gefangene – ebenfalls ein Verstoß gegen das | |
Kriegsrecht. | |
„Schlösser nennt die aufgerundete Zahl von 50 und vermischt die im Gefecht | |
Gefallenen mit den Erschossenen. Alle Deutschen sind in dieser Logik Opfer | |
alliierter Willkür“, so Wagner. Dass viele der Gefallenen jung gewesen | |
seien, spreche vor allem gegen das NS-Regime, das junge Menschen bis | |
zuletzt an die Front zwang. Wagner sagte weiter: „Schlösser versucht, die | |
Opfer der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dort gegen die | |
getöteten deutschen Soldaten und SS-Angehörigen in Gispertsleben | |
auszuspielen und zeigt damit, was unter der von Höcke geforderten | |
erinnerungspolitischen Wende zu verstehen ist: Statt der Opfer der | |
Konzentrationslager soll Angehörigen der verbrecherischen SS gedacht | |
werden.“ Zuletzt hatten auch Parteigrößen die Schuld der SS relativiert – | |
Parteichef [3][Tino Chrupalla etwa] und auch [4][Maximilian Krah], der als | |
Direktkandidat für die Bundestagswahl antritt. | |
## Gegen Dekolonisierung | |
Eine nationalistische Erinnerungs- und Geschichtspolitik zeigt sich aber | |
auch auf anderen Feldern: Ähnliche Geschichtsumdeutungen wie zum | |
Nationalsozialismus will die AfD auch in kolonialen Unrechtskontexten | |
durchsetzen, wie ihr Programm weiter verrät. Darin heißt es, man wende sich | |
gegen „die zunehmend aggressiven Versuche einer ideologisch geprägten, | |
moralisierenden Umdeutung der Geschichte“, die sich etwa an der „Schleifung | |
von Denkmälern“ und „Umbenennungen von Straßen“ festmache. | |
Die Debatte um „eine angeblich notwendige Dekolonialisierung, die mit einer | |
Verteufelung des ‚weißen Mannes‘ einhergeht, stellt das Selbstverständnis | |
unserer kulturellen Identität insgesamt infrage.“ Die „Critical Race | |
Theory“ lehne man ab. Ebenso eine Rückgabe von „Sammlungsgütern aus | |
kolonialen Kontexten“. Gemeint sind damit im kolonialen Unrechtskontexten | |
geraubte Kunst, Schätze, aber auch menschliche Überreste. | |
Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus erwähnt die AfD im Abschnitt zu | |
„Gedenken“ überhaupt nicht – dafür wolle man aber „Mahnmal und ein | |
Informationszentrum für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft | |
errichten“. | |
29 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article252566026/Landtagswahl-Thuer… | |
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article254583192/Geschichtsrevision… | |
[3] https://www.geschichte-statt-mythen.de/aktuelles/chrupalla-bei-lanz | |
[4] /Nach-Relativierungen-der-SS/!6012267 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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