| # taz.de -- Abschiebegewahrsam für Flüchtlinge: Mehr statt weniger Abschiebeh… | |
| > Die SPD will in Berlin und Brandenburg die Abschiebehaft ausweiten. | |
| > Flüchtlingsinitiativen rufen zum Protest am geplanten neuen Knast auf. | |
| Bild: Hier sollen künftig nicht mehr nur sogenannte Gefährder sitzen: Der Kna… | |
| Berlin soll wieder ein reguläres Abschiebegefängnis bekommen. Der im | |
| September 2018 eröffnete Abschiebegewahrsam speziell für Gefährder solle | |
| künftig auch für die Abschiebehaft von Menschen, die nicht als Gefährder | |
| eingestuft sind, genutzt werden, sagte ein Sprecher der Senatsverwaltung | |
| für Inneres am Mittwoch der taz. | |
| Ein deutlicher Kurswechsel: Geltender Senatsbeschluss ist eigentlich, | |
| [1][die ehemalige Jugendarrestanstalt am Kirchhainer Damm in Lichtenrade] | |
| als „spezielle Hafteinrichtung zum Vollzug der Abschiebungshaft von | |
| sogenannten Gefährdern“ zu nutzen. Als Gefährder werden in Berlin rund 80 | |
| Menschen geführt, etwa die Hälfte von ihnen hat keine deutsche | |
| Staatsangehörigkeit. | |
| Doch das als bundesweit einmalig gepriesene Konzept geht offenbar nicht | |
| auf: Bisher waren die zehn speziell für diesen Zweck eingerichteten Zellen | |
| nie voll belegt. Nachdem im März nur noch eine Person dort einsaß, war der | |
| Knast im April sogar komplett leer – ob es dort mittlerweile wieder | |
| Insassen gibt, wollte sich die Innenverwaltung auf taz-Anfrage „aus | |
| Sicherheitsgründen“ nicht äußern. | |
| Vor allem die CDU hatte wegen der geringen Auslastung stets gefordert, in | |
| dem Abschiebegewahrsam für Gefährder auch andere Personen unterzubringen. | |
| Gleichzeitig war der Gefährder-Knast von Anfang an von Kritik von links | |
| begleitet. Denn die Einstufung als Gefährder, eine lediglich polizeiinterne | |
| Kategorie für Menschen, von denen die Polizei annimmt, dass sie schwere | |
| Straftaten begehen könnten, ist politisch und juristisch höchst umstritten. | |
| Zudem hatte sich die rot-rot-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag | |
| grundsätzlich gegen Abschiebehaft ausgesprochen: „Die Koalition hält | |
| Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam grundsätzlich für unangemessene | |
| Maßnahmen und wird sich deswegen auf Bundesebene für deren Abschaffung | |
| einsetzen“, heißt es dort. | |
| Das Vorhaben der SPD-geführten Innenverwaltung, den für den Abschiebeknast | |
| infrage kommenden Personenkreis künftig sogar noch auszuweiten, dürfte also | |
| für Krach in der Koalition sorgen. Bei der Linkspartei wisse man von diesen | |
| Plänen bislang nichts, sagt Katina Schubert, die flüchtlingspolitische | |
| Sprecherin der Fraktion, am Mittwoch der taz: „Wir haben im | |
| Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir keine Abschiebehaft wollen, und | |
| sehen keinen Anlass, die leeren Plätze im Gefährdergewahrsam mit anderen | |
| Flüchtlingen aufzufüllen.“ | |
| Berlin hat seit November 2015 keinen eigenen Abschiebegewahrsam mehr. | |
| Damals wurde der Knast in Grünau geschlossen. Danach benutzte das Land die | |
| [2][Abschiebeeinrichtung Brandenburgs in Eisenhüttenstadt] mit, die | |
| allerdings im März 2017 aus Brandschutzgründen schließen musste. Seither | |
| werden Flüchtlinge, die die Berliner Behörden bis zur Abschiebung in Haft | |
| nehmen, in anderen Städten, unter anderem wohl Leipzig, Hamburg und Bremen, | |
| in Gewahrsam gebracht. Viele sind es nicht, laut der Antwort der | |
| Innenverwaltung auf eine Anfrage der Linkspartei von März wurden im vorigen | |
| Jahr 6 Personen, für die die Berliner Ausländerbehörde zuständig war, aus | |
| der Abschiebehaft heraus abgeschoben. Insgesamt hat Berlin im Vorjahr 1.182 | |
| Menschen abgeschoben, 2017 waren es noch 1.638 Menschen. | |
| Flüchtlingsorganisationen befürchten nun, dass im Zuge des geplanten | |
| [3][„Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“ des Bundesinnenministeriums] künftig | |
| wieder mehr Menschen in Abschiebehaft genommen werden. „Zum Beispiel soll | |
| alleine die Tatsache, dass eine Person eine größere Summe für ihre Flucht | |
| nach Deutschland bezahlt hat, künftig eine ‚Fluchtgefahr‘ darstellen, die | |
| eine Inhaftierung rechtfertigt“, erklärt eine Sprecherin der Aktion | |
| Abschiebehaft abschaffen Berlin-Brandenburg, die am Sonntag eine | |
| Demonstration gegen Abschiebehaft im Flughafen Schönefeld organisiert | |
| (siehe Kasten). | |
| Dort plant die Brandenburger Landesregierung einen neuen | |
| Abschiebegewahrsam. „Ausreisepflichtige Personen, die nicht bereit sind, | |
| freiwillig auszureisen, sollen dort ein bis zwei Tage vor dem | |
| Abschiebungstermin untergebracht werden“, erklärte ein Sprecher des | |
| Innenministeriums der taz. Eingerichtet werden soll der neue Knast in einem | |
| Gebäude, das 2012 für das sogenannte Flughafenasyl eingerichtet wurde – | |
| also für Asylbegehrende, die per Flugzeug kommen. Wann der neue Gewahrsam | |
| eröffnet wird, stehe noch nicht fest, so der Sprecher. Es gebe noch | |
| „Abstimmungsbedarf in der Landesregierung“. Nach taz-Informationen ist | |
| Finanzminister Christian Görke (Linkspartei) nicht bereit, Geld für den | |
| Abschiebegewahrsam bereitzustellen. | |
| Flüchtlingsorganisationen lehnen Abschiebehaft grundsätzlich ab, weil sie | |
| „Migration per Gesetz zum Verbrechen“ erklärt, wie Theresa B. von | |
| Abschiebehaft abschaffen sagt. Ebenso sehen das die Flüchtlingsräte in | |
| Berlin und Brandenburg: In einer gemeinsamen Pressemitteilung zum 100. | |
| „Geburtstag“ der Abschiebehaft in Deutschland erklärten sie am Mittwoch: | |
| „Seit 100 Jahren werden Menschen ohne strafrechtliche Verurteilung | |
| inhaftiert und ihrer Freiheit beraubt, nur um sie abzuschieben.“ | |
| Anlässlich des unrühmlichen Jubiläums kritisierte Martina Mauer vom | |
| Berliner Flüchtlingsrat zudem, dass sich Rot-Rot-Grün in Berlin bislang | |
| auch nicht wie versprochen auf Bundesebene für eine Abschaffung der | |
| Abschiebehaft eingesetzt habe. Dies gibt Schubert von der Linkspartei | |
| unumwunden zu. „Wir würden das sofort machen, aber die SPD sieht das noch | |
| anders.“ Auch da gibt es also noch einigen „Abstimmungsbedarf“. | |
| 8 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Malene Gürgen | |
| Susanne Memarnia | |
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