Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- AKK und #annegate: Hauptsache, aufregen
> Annegret Kramp-Karrenbauer hat nie gesagt, dass sie in Wahlkämpfen
> politische Meinungen „regulieren“ will. Aber für die Empörung reicht's.
Bild: Aufnahme läuft, jedes Wort von AKK wird gezählt und gedreht
Es war vor Jahresfrist, da anlässlich einer Abendveranstaltung ein
prominenter Bundespolitiker auf die Autorin dieses Textes zueilte und
anhob, sie und die taz – sicher nicht grundlos, jedoch an diesem Tage
anlasslos – ausdauernd anzupöbeln. Es fielen üble Sätze. Zuerst glaubte die
Autorin noch an eine handfeste, aber irgendwie doch scherzhaft gemeinte
Partykonversation.
Doch als der Herr nicht vom schäumenden Schmähen ablassen wollte, begann
sie sich dann doch mal zu wehren und empfahl ihm die Kontaktaufnahme zur
sowohl publizistischen als auch politisch-weltanschaulichen Konkurrenz am
anderen Ende der Berliner Rudi-Dutschke-Straße.
Die Folge war eine weitere Eskalation. Jahaaaa, die Meeeedien, die dürfe
man nicht kritisiiiieren, giftete der, nebenbei bemerkt: nüchterne, Mann.
Andernfalls sei man als Politiker ja fällig. Davor hätten ihn die
Mitarbeiter seiner Pressestelle immer wieder gewarnt: Nie, niiiiiemals und
auf gar keinen Fall die Meeeedien kritisieren. Das Wort Pressefreiheit
spuckte er regelrecht in die laue Berliner Nacht.
An diese Begegnung, diese angstgetriebene Abscheu muss die Autorin nun
denken, da die Spitzenpolitikerin Annegret Kramp-Karrenbauer wegen eines
Schrottsatzes medial steilgeht. Die CDU-Vorsitzende wolle in Wahlkämpfen
politische Meinungen „regulieren“, wurde am Montag im Anschluss an ihre
Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus gemeldet.
## Empörung können nicht nur Medien
Anschließend explodierte Twitter. [1][#annegate heißt der trendende
Hashtag], der für Auflage und Klicks sorgt.
FDP-Chef Christian Lindner machte sich umgehend bei der Netzgemeinde
anheischig: „@akk erwägt die Regulierung von Meinungsäußerungen vor Wahlen
… Das kann ich kaum glauben.“ Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von
den Grünen sagte der dpa: „Man kann nur hoffen, es ist Hilflosigkeit und
nicht politische Überzeugung.“ Und der am zurückliegenden Wochenende
megaerfolgreiche Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hielt es für eine gute
Idee, sich „als guter Demokrat alle DDR-Vergleiche“ zu verkneifen.
Es ist also nicht so, dass nur die Meeeedien das Lagerfeuer der
öffentlichen Empörung füttern – auch die PolitikerInnen sind gut dabei.
Lautstarke Empörung und grundgesetzliches Pathos kommen kühl austariert zum
Einsatz.
Tatsächlich hatte Annegret Kramp-Karrenbauer am Montagnachmittag Folgendes
gesagt: „Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von,
sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten,
wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das
wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen.“
## Ein Gedankenknäuel wird gehäkelt
Weiter ging es so munter wie unbedarft: „Und die Frage stellt sich schon
mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem
analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen
Bereich, ja oder nein.“
Ja oder nein. Hä?
Frau Kramp-Karrenbauer, einmal auf Touren, häkelte unbeirrt weiter an ihrem
Gedankenknäuel. Es sei schließlich eine fundamentale Frage, „über die wir
uns unterhalten werden, und zwar nicht wir in der CDU, mit der CDU,
sondern, ich bin mir ganz sicher, in der gesamten medienpolitischen und
auch demokratietheoretischen Diskussion der nächsten Zeit wird das eine
Rolle spielen“.
Es war ein Auftritt im politischen Alltag, wie er immer mal wieder
vorkommt. Viel Wortgeklingel, jede Menge ungeordnete Gedanken und im Grunde
mehr Fragen als Feststellungen. Aber – die Autorin ist noch einmal ihre
Notizen durchgegangen – nirgendwo in Kramp-Karrenbauers Einlassungen findet
sich das Verb „regulieren“.
Doch der Zug der Empörten, er ist längst auf dem Gleis. Es bleibt nur, ihm
zaghaft mit Fakten hinterherzuwinken und ansonsten eine recht gute Reise zu
wünschen.
## Rezo und die CDU
Auch Annegret Kramp-Karrenbauer ist jetzt Teil der Reisegesellschaft. Ihr
Versuch, die Sache geradezurücken, darf getrost als fehlgeschlagen gelten.
„Es ist absurd, mir zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu
wollen. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir
aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten“, twitterte sie
am Montagabend ihrer eigenen Pressekonferenz hinterher.
Und weiter: „Wenn einflussreiche Journalisten oder YouTuber zum Nichtwählen
oder gar zur Zerstörung demokratischer Parteien der Mitte aufrufen, ist das
eine Frage der politischen Kultur. Es sind gerade die Parteien der Mitte,
die demokratische Werte jeden Tag verteidigen.“ Zerstörung demokratischer
Parteien – kleiner hatte sie es nicht. Man wünschte sich umgehend Angela
Merkel zurück ins Adenauer-Haus, die derlei Vorwürfe stumm ausgesessen
hatte.
Als „einflussreich“ gilt Annegret Kramp-Karrenbauer der YouTuber Rezo, der
in der Woche vor der Europawahl die Politik der CDU [2][in einem Video in
Grund und Boden gebasht hatte]. Die hatte den Mann grandios unterschätzt
und ihn durch den Versuch, ihn irgendwie wegzuignorieren, erst richtig groß
gemacht. Die Sache endete bekanntlich damit, dass am Tag nach der
Europawahl von der CDU-Vorsitzenden ernsthaft erklärt wurde, nicht WAS Rezo
gesagt habe, sei für den Misserfolg der Union verantwortlich. Sondern
[3][WIE darauf reagiert worden sei].
## Ein üblicher Vorgang
Der ganze Vorgang – das laute Denken, die mediale Verwertung, der Furor
auch von politischer Seite – ist mittlerweile ein üblicher Vorgang. Fehler
sind verboten, und wenn sie passieren, werden selbst Richtigstellungen
wahrgenommen als untauglicher Versuch, die Presse- und Meinungsfreiheit
beschneiden zu wollen. Das fing mit Angela Merkels Bemerkung vom Internet
als „Neuland“ im Jahr 2013 an und ist mit #annegate ganz sicher noch nicht
an sein Ende gelangt. Zusehends wird die Darstellung von Politik wichtiger
als politisches Handeln selbst.
An Tagen wie diesen fragt sich die Autorin, ob der zornige Spitzenpolitiker
mit seinem Meeeeedien-Ausbruch an jenem Frühsommertag 2018 nicht doch ein
klitzekleines bisschen recht gehabt haben könnte. Auch wenn sie weiterhin
Wert darauf legt, nicht angepöbelt werden zu wollen.
28 May 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?f=tweets&vertical=news&q=annegate&sr…
[2] /Youtuber-kritisiert-Regierungsparteien/!5597282
[3] /Reaktion-auf-Video/!5597611
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Annegret Kramp-Karrenbauer
Rezo
Youtube
Schwerpunkt Europawahl
Schwerpunkt Pressefreiheit
AKK
Datenschutz
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Angela Merkel
Rezo
SPD
Rezo
AKK
CDU
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar über Klarnamenpflicht: Das Problem heißt Hass
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer fordert eine Klarnamenpflicht im
Internet. Das wird Hasskommentare im Netz allerdings nicht verhindern.
Debatte Paralleluniversum der Politik: Weniger Berlin-Mitte, bitte!
Viele Parteien und Medien haben ihren Standort in Berlin-Mitte. Doch der
Graben zwischen ihnen und den Menschen ist tief und breit geworden.
Kolumne Liebeserklärung: Kanzlerin zum Träumen
Angela Merkel wird bei einer Preisverleihung an der US-Universität Harvard
für Errungenschaften geehrt, die nicht unbedingt sie errungen hat.
Kommentar Politik und Digitales: Mehr Kompetenz wagen
Vergurkte Social-Media-Strategien sind nicht das Problem. In der Politik
wären an anderer Stelle Kenntnisse der IT-Technologie aber wichtig.
Nahles und AKK: Bedenke das Ende
Mit den Krisen der Parteivorsitzenden von CDU und SPD bewegt sich das Land
auf einen weiteren Sommer des Streits zu. Am Ende könnten Neuwahlen stehen.
Journalismus und Youtube: Rezo d’Être
Journalist*innen sollten sich fragen, was sie von Youtuber*innen lernen
können, um auf Plattformen durchzudringen. Denn das müssen sie.
„Meinungsmache“-Debatte in der Union: Merkel gibt AKK Rückendeckung
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte härtere Regeln fürs Internet
– und bekam Schelte. Kanzlerin Merkel verteidigt sie jetzt.
Kolumne Macht: Schnappatmung wegen eines Videos
Warum die beleidigten Reaktionen der politischen Klasse und von uns
Medienleuten auf den Meinungsbeitrag des YouTubers Rezo falsch waren.
Wahlempfehlung von Youtubern: Rezo und Co. legen nach
In einem Statement wiederholen 70 Youtuber die Kritik an Union und SPD
wegen ihrer Klimapolitik. Die AfD dürfe erst recht nicht gewählt werden.
Youtuber kritisiert Regierungsparteien: Rezos Real Talk
Politik statt Comedy: Im Video „Die Zerstörung der CDU“ übt Youtuber Rezo
harsche Kritik an den Regierungsparteien. Ist er Demagoge oder Aufklärer?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.