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# taz.de -- Nahles und AKK: Bedenke das Ende
> Mit den Krisen der Parteivorsitzenden von CDU und SPD bewegt sich das
> Land auf einen weiteren Sommer des Streits zu. Am Ende könnten Neuwahlen
> stehen.
Bild: Da waren sie noch nicht Parteivorsitzende: Andrea Nahles und Annegret Kra…
Am Ende dieser bewegten Woche stehen zwei Frauen im Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit. Schon wird im politischen Berlin geraunt, die beiden seien
so gut wie weg. Erledigt. Die eine, die Sozialdemokratin Andrea Nahles, hat
ohne Not sich und ihren Posten als Fraktionschefin im Bundestag zur
Abstimmung freigegeben. [1][Am kommenden Dienstag werden die Abgeordneten
entscheiden], [2][ob Nahles sie weiter führen soll.]
Die andere, die Christdemokratin Annegret Kramp-Karrenbauer, geht
[3][schwer angeschlagen] in eine Klausur des CDU-Bundesvorstands. Am
Sonntag und Montag will man miteinander über die Ergebnisse der Europawahl
sprechen. Die waren in Deutschland bekanntlich nicht gut ausgefallen, die
Union hat 6,4 Prozentpunkte der Stimmen verloren und kam mit unter 30
Prozent ins Ziel. Es war die erste Wahl, die Kramp-Karrenbauer und ihr
Generalsekretär Paul Ziemiak zu verantworten haben.
Die Analyse der Vorsitzenden am zurückliegenden Montag endete bekanntlich
in einem kommunikativen Desaster. Irritierend ungeordnet brachen aus
Kramp-Karrenbauer Gedanken und Emotionen heraus. Ein Tiefpunkt war ihre
Grundannahme, die CDU habe nicht wegen ihrer Politik verloren, sondern
wegen der Kritik eines YouTubers und des verdrucksten Umgangs damit. Man
wünschte sich augenblicklich Angela Merkel zurück in die Parteizentrale,
die ihr Amt mit der häufig kritisierten Patina der Unangreifbarkeit
versehen hatte: Niveau-Limbo war mit der Uckermärkerin nicht zu machen.
Seit sechs Monaten führt nun Kramp-Karrenbauer die CDU. Und seltsam,
nachdem die Saarländerin zu Beginn vieles richtig gemacht hatte, droht ihr
diese rasch erworbene Stärke nun wieder zwischen den Fingern zu zerrinnen.
Mit ihren dezidiert den konservativen Parteiflügel streichelnden Positionen
– etwa zur Flüchtlingspolitik, zum Klima oder zu Genderthemen – verliert
sie zusehends jene Getreuen in der CDU, die anpacken, statt zu meckern. In
Politiker-Rankings steht die Vorsitzende weit hinter ihrer Vorgängerin
Angela Merkel.
## Die Jungs fassen neuen Mut
Erschwerend hinzu kommt Kramp-Karrenbauers Hang, ihr politisches Handeln
wortreich zu erklären und dabei jede Menge Interpretationsspielraum zu
schaffen. Wer wie sie auf der Pressekonferenz am vergangenen Montag
anstehende Reformen als „keine einfache Operation“ ankündigt, inklusive
„Veränderungen nicht nur an ein, zwei Stellen oder personell“, versetzt die
eigenen Leute in Aufruhr. Das Selbstbewusstsein des Dickschiffs CDU zu
beschädigen bleibt nicht ungestraft.
Auch deshalb wird die Klausurtagung des Bundesvorstandes an diesem
Wochenende unter noch genauerer Beobachtung stehen. Für den Montagmittag
hat Annegret Kramp-Karrenbauers Pressestelle deshalb wieder zu einem
Statement eingeladen. Wird sich die Vorsitzende erneut im Wortgestrüpp
verlieren? Es könnte helfen, sich zuvor noch einmal vor Augen zu halten,
was Angela Merkel gerade [4][vor Studierenden in Harvard] gesagt hat. Man
solle, so die Kanzlerin, nicht immer „ersten Impulsen folgen, sondern
zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause
machen“.
Merkels Auftritt wirkte in Emotionalität und Präsenz wie eine
Abschiedstournee. Aber so, wie es aktuell aussieht, wird sie entweder ihrer
Wunschnachfolgerin fürs Kanzlerinnenamt [5][noch etwas mehr Zeit geben
müssen]. Oder sie hat ihre Nachfolge demnächst gar nicht mehr selbst in der
Hand.
Die Jungs in CDU und CSU fassen gerade neuen Mut. Am Dienstag nach Annegret
Kramp-Karrenbauers peinlicher Pressekonferenz twitterte der beim Hamburger
Parteitag unterlegene Friedrich Merz, die Parteiführung habe die
„strategische und kulturelle Kontrolle“ über das Thema Umwelt verloren.
Auch der Merkel-Getreue Armin Laschet stichelte gegen Kramp-Karrenbauer:
„Wir können über vieles diskutieren, aber nicht über Pressefreiheit.“
Überall Heckenschützen
Selbst ihr Gewogene wiegen besorgt die Köpfe. Entweder „AKK“ steht diese
Krise jetzt eisern durch, so wie Merkel es stets gehalten hat, ordnet ihre
Agenda und regelt das Chaos in der Parteizentrale. Oder die CDU lässt sie
noch bis nach den Landtagswahlen im Osten gewähren, bürdet ihr dann die
erwartbar miesen Ergebnisse auf und bringt derweil für eine mögliche
Neuwahl im Bund einen Nachfolger in Position. Schneller Personalwechsel –
das wäre dann allerdings SPD-Niveau.
Auch deren Vorsitzende Andrea Nahles hat viel falsch gemacht in den letzten
Monaten. Das nimmt nicht Wunder. Schon bevor sie 2017 erst
Fraktionsvorsitzende und 2018 gerade so Parteichefin wurde, war ihre SPD in
einem beklagenswerten Zustand. Wahl um Wahl war verloren worden, während
die Abgeordneten im Bund und in den Landesparlamenten so verzweifelt wie
vergeblich gegen das Negativimage ihrer eigenen Partei ankämpften und
trotzdem gravierende Fehler machten.
Erinnert sei etwa an den Spitzenkandidaten der Brandenburger SPD zur
Europawahl, der sich mit blumigen Versprechungen und einer manipulierten
Biographie am Landesvorsitzenden und dessen Wunschkandidatin vorbeimogeln
konnte. Oder an Sigmar Gabriel, der sich dank eines [6][gut dotierten
Autorenvertrags] medial über die Fehler seiner ehemaligen Generalsekretärin
auslassen kann. Gerade erst schrieb er im [7][Tagesspiegel], „alles und
alle“ gehörten in der SPD „auf den Prüfstand“. Das Chaos bei den
SozialdemokratInnen nutzen CDU und CSU derweil, um deren umwelt- und
sozialpolitische Gesetzesvorhaben zu boykottieren.
All dies, die Heckenschützen aus den eigenen Reihen, das Machtgehabe und
Machotum, wird jetzt, im Moment von Nahles’ Schwäche, gern übersehen. Aber
auch sie selbst macht gerade einen machttaktischen Fehler nach dem anderen.
Gerade noch gelang es ihr knapp vor der Europawahl, einen Putsch gegen sich
an der Fraktionsspitze zu unterbinden. Ausgerechnet der Wahlverlierer
Martin Schulz soll sich berufen gefühlt haben. Doch gleich nachdem die
GenossInnen im Parteivorstand nach hitziger Debatte verabredet hatten, jede
weitere Personaldebatte zu unterbinden, verkündete Andrea Nahles am selben
Abend im Fernsehen, die für September anstehende Wahl zum Fraktionsvorsitz
auf den 4. Juni vorziehen zu wollen. Seitdem stehen ihre Chancen für eine
Wiederwahl schlechter als zuvor.
18 Jahre Merkel, 10 SPD-Vorsitzende
Ihre machttaktische Rochade könnte auch diese Parteivorsitzende ihr Amt
kosten. Denn die GenossInnen sind richtig sauer. Es ist ja auch einfacher,
die Verantwortung bei der Führung abzuladen – wozu hat man die schließlich
gewählt. Eine außerordentliche Fraktionssitzung Mitte dieser Woche verlief
ergebnislos, man fand keinen Frieden miteinander. Nahles’ Schachzug hat
sich damit als erfolglos erwiesen.
Selbst wenn die Abgeordneten sie am Dienstag kommender Woche erneut zu
ihrer Fraktionsvorsitzenden wählen sollten, wäre damit kaum etwas gewonnen.
Der tiefe Riss liegt ganz offen zutage. Gut möglich, dass Nahles im Fall
einer Niederlage nicht nur das Amt in der Fraktion, sondern auch den
Parteivorsitz verlöre. In den 18 Jahren von Angela Merkels CDU-Vorsitz
haben sich die SozialdemokratInnen zehn Vorsitzende geleistet. Eine Nummer
elf fiele wohl kaum noch ins Gewicht.
All diese Vorgänge, die Streitigkeiten und Intrigen, der Machtverlust der
einstigen Volksparteien und die Blockade der Regierungsarbeiten, lassen
Böses für die kommenden Wochen erahnen. Vor einem Jahr war es die CSU, die
ihre Schwesterpartei öffentlich bekämpft hatte. Der Sommer 2019 beginnt mit
heftigen Streitigkeiten in CDU und SPD. Im September und Oktober wird in
Ostdeutschland gewählt, es muss mit einem politischen Denkzettel für die
Große Koalition gerechnet werden. Und dann wäre da noch die im
Koalitionsvertrag verbriefte „Bestandsaufnahme“ zur Mitte der Legislatur.
Ein Aufstand der SPD-Basis gegen die eigene Führung ist nicht
ausgeschlossen. Doch auch ohne Rebellion wird es zusehends
wahrscheinlicher, dass der kommende Herbst diese Regierung hinwegfegen
könnte.
31 May 2019
## LINKS
[1] /SPD-nach-der-Europawahl/!5596536/
[2] /Folge-der-Europawahl/!5595507/
[3] /AKK-und-annegate/!5598627/
[4] /Angela-Merkel-an-Harvard-Universitaet/!5599414
[5] /Meinungsmache-Debatte-in-der-Union/!5598776/
[6] /!5538499/
[7] https://www.tagesspiegel.de/politik/historisch-schlechte-wahlergebnisse-gab…
## AUTOREN
Anja Maier
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Annegret Kramp-Karrenbauer
Andrea Nahles
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Schwerpunkt Landtagswahlen
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