# taz.de -- Kommentar Politik und Digitales: Mehr Kompetenz wagen | |
> Vergurkte Social-Media-Strategien sind nicht das Problem. In der Politik | |
> wären an anderer Stelle Kenntnisse der IT-Technologie aber wichtig. | |
Bild: Nur Mut! Man kann alles lernen | |
Wer in den vergangenen beiden Wochen mal laut lachen wollte, der musste nur | |
kurz schauen, welche Nachrichten die Union im Themenfeld Digitales | |
produziert hat. Ein erst angekündigtes, dann zurückgezogenes Video? Einen | |
Becher Popcorn. [1][Ein elfseitiges PDF-Dokument als Antwort auf den | |
„Rezo-Rant“], die Wutrede gegen die Regierungspolitik der vergangenen | |
Jahre? Noch einen Becher. @paulziemiak vergurkt die Verknüpfungs-Funktion, | |
mit der sich mehrere Tweets hintereinander in der richtigen Reihenfolge | |
anzeigen lassen? Popcorn-Schlacht. | |
Jetzt ließen sich natürlich zwei Handvoll Social-Media- und drei | |
Kommunikations-Expert:innen einstellen und das alles besser machen. Das ist | |
auch der wahrscheinlichste, aber gleichzeitig der schlechteste Weg. Denn | |
dadurch würde sich zwar das Bild ändern, aber nicht das Problem dahinter. | |
Die unausgesprochene Frage, die bei all den Fails mitschwingt, ist doch: | |
[2][Braucht es neben dem Digitalpakt Schulen] vielleicht einen Digitalpakt | |
Politik? Für Politiker:innen, die auch 30 Jahre nach der Entwicklung des | |
World Wide Web denken, Google sei die Startseite ins Netz und die sich | |
heimlich diese E-Mail von dem nigerianischen Prinzen ausgedruckt haben, der | |
einem ein Vermögen überweisen will, wenn man ihm ein paar hundert US-Dollar | |
für die Anwaltsrechnung überweist? | |
Nun ist eine vergurkte Social-Media-Strategie eine Sache. Ärgerlich, | |
möglicherweise rufschädigend, aber keine gesellschaftliche Katastrophe. | |
Doch es gibt Bereiche, in denen eine Grundkompetenz der Legislative in | |
Sachen Digitales wirklich elementar wäre. Das zeigt zum Beispiel die | |
unsägliche, aber trotzdem immer wiederkehrende [3][Debatte über eine | |
Klarnamenpflicht im Netz]. Dass alle, die trotzdem ungestraft vor sich hin | |
trollen wollen, das mit ein bisschen IT-Kenntnissen weiterhin tun können – | |
zumindest solange die Plattformen nicht ein Video- oder Post-Ident | |
verlangen müssen –, ist unstrittig. Dass Foren, in denen sich zum Beispiel | |
Betroffene über Krankheiten oder sexuelle Vorlieben austauschen, mit einer | |
Klarnamenpflicht wohl der Vergangenheit angehören würden, auch. | |
Auch bei der großen Urheberrechtsreform im EU-Parlament wäre es hilfreich | |
gewesen, wenn der konservative Chefverhandler beispielsweise gewusst hätte, | |
wie die Google-Suche funktioniert. Dann hätte er sich wohl kaum [4][zu der | |
für ihn ziemlich peinlichen Aussage hinreißen lassen], dass es bei der | |
Suchmaschine schließlich eine Rubrik für das Netzphänomen „Memes“ gebe. … | |
es natürlich nicht gibt: Was er als Rubrik zu identifizieren glaubte, war | |
nur einer der von Google zu der Suche vorgeschlagenen Begriffe. | |
## Internet-Auskenner:innen in zwei Wochen | |
Nun ist das mit der Digitalkompetenz eine komplexe Sache. Genauso wenig, | |
wie es reicht, Klassenzimmer mit digitalen Whiteboards auszustatten, lassen | |
sich digitale Neulinge in zwei Wochenend-Seminaren zu | |
Internet-Auskenner:innen machen. | |
Doch es gibt zwei Dinge, die helfen würden. Das erste: ehrlich sein. | |
Genauso wenig wie tägliches Autofahren eine Verkehrsexpertin macht, wird | |
zum Netzpolitiker, wer es schafft, eine Online-Überweisung per App zu | |
erledigen. Und es hat halt nicht jede:r Informatik studiert oder verbringt | |
die Hälfte des Tages auf Twitter. Wie wunderbar wäre es daher, mal einen | |
Innenminister sagen zu hören: Nein, Gesichtserkennung übersteigt | |
tatsächlich das, was ich mir technisch vorstellen kann, aber meine | |
Fachleute haben gesagt, das ist grundrechtemäßig nicht ganz unkritisch. | |
Also lassen wir es mal lieber. | |
Das zweite: Praxis. Das Internet ist wie ein Schachspiel. Die Kanäle und | |
Werkzeuge sind Figuren, die es möglichst sinnvoll und geschickt zu bedienen | |
gilt, sei es das Drehen von YouTube-Videos oder das Verschlüsseln von | |
E-Mails. Also, liebe Politiker:innen: Einfach mal üben. Es muss ja nicht | |
gleich ein Rant sein. Der klappt schließlich ganz analog schon gut genug. | |
1 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Antwort-auf-Youtube-Video/!5594872 | |
[2] /Einigung-auf-fuenf-Milliarden-Euro/!5577794 | |
[3] /Gastkommentar-zu-Klarnamen-im-Netz/!5534443 | |
[4] /EU-Urheberrechtsreform-in-der-Kritik/!5579620 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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