| # taz.de -- Ein Rentner zeigt der CDU, wo's lang geht: Er zwitschert’s der Un… | |
| > Ruprecht Polenz, 73, war mal eine große Nummer in der CDU. Jetzt ist er | |
| > in Rente. Jedenfalls fast. Er zeigt, wie man Politik mit dem Smartphone | |
| > macht. | |
| Bild: Ruprecht Polenz twittert besser als alle Strategen seiner Partei | |
| Münster taz | Akku leer? Gar kein Problem. Im Hause Polenz kann der | |
| Besucherin sofort geholfen werden. In der Steckdose neben dem Esstisch | |
| wartet ein Mehrfach-Port auf hungrige Handys und Laptops, neben dem | |
| Lesesessel im Wintergarten verrichtet eine Multi-Ladestation still ihren | |
| Dienst. „Wir haben hier alles Mögliche“, sagt Ruprecht Polenz freundlich | |
| und legt das Handy der Reporterin in die Station. Seine Endgeräte sind fit: | |
| Vor ihm auf der geblümten Tischdecke liegen iPhone und iPad neben dem | |
| Keksteller, die Bildschirme dreht der 73-Jährige während des Gesprächs | |
| höflich nach unten. | |
| An diesem Julitag hat Ruprecht Polenz bereits kräftig getwittert. Er hat | |
| den AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland wegen seiner Nähe zu den | |
| Rechtsradikalen geschmäht, sich über seinen CDU-Parteikollegen Friedrich | |
| Merz wegen fehlender Distanz zu ebendiesem Gauland mokiert und die | |
| Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wegen einer Überschrift | |
| gerüffelt. Dem Berliner Büroleiter der Neuen Zürcher Zeitung hat er tags | |
| zuvor bescheinigt, Antifaschismus sei „nicht links, sondern eine Haltung, | |
| die alle Demokraten einnehmen sollten“. Der Redakteur hatte eine | |
| Verharmlosung der Antifa durch „linke Politiker und Journalisten“ | |
| gewittert. Sechseinhalbtausend Likes für Ruprecht Polenz’ Erwiderung. Bäm! | |
| Das alles tut Ruprecht Polenz mit Blick in den Garten des Reihenhauses, den | |
| seine Frau gießt und pflegt. „Mich werden Sie da nicht antreffen“, sagt | |
| Polenz, und dass die Kirschen in diesem Jahr zwar wieder großartig | |
| aussähen, aber leider voller Maden. Der Familienhund, ein kleiner | |
| rauhaariger, kommt angestreunt und lässt sich streicheln. Frau Polenz fragt | |
| freundlich, ob man noch etwas anderes wünsche als Wasser – | |
| „Rhabarberschorle, wie wär’s?“ Ihr Mann erzählt derweil von den vier | |
| Kindern und sieben Enkelkindern – „Opa sein, da geht nix drüber.“ | |
| Es ist ein Tag wie so viele, seit sich der Politrentner Ruprecht Polenz | |
| einen Twitter-Account zugelegt hat. „Am 28. März war das“, erzählt Polenz, | |
| als sein jüngster Sohn seinen schon seit vier Jahren bestehenden Account | |
| aktivierte. Seither hat er 4.300 Kurznachrichten in den digitalen Orbit | |
| geschickt. 18.000 Menschen lesen, was er auf maximal 280 Zeichen meint. Das | |
| ist sehr viel für einen alten weißen CDU-Mann. Er hat ein Foto von sich | |
| eingestellt und eines aus dem Wahlkampf von Angela Merkel dazu und | |
| schließlich eingetippt: „MdB für Münster 1994–2013, Vorsitzender des | |
| Auswärtigen Ausschusses 2005–2013, CDU“. | |
| ## „Politiker müssen mit den Leuten reden“ | |
| Gerade das Letzte, dieses kurze „CDU“, hat Polenz berühmt gemacht. Denn | |
| während seine Partei, der er seit den sechziger Jahren angehört, für die er | |
| zwei Jahrzehnte im Bundestag saß und deren Generalsekretär er einst war, | |
| gefährlich desorientiert und weltanschaulich seltsam fahrig wirkt, folgt | |
| Parteifreund Polenz einzig seinen politischen Überzeugungen. Er sagt auf | |
| Twitter, was er denkt, und er meint, was er sagt. | |
| Er habe, antwortet Ruprecht Polenz auf die Frage, warum er nicht vielleicht | |
| doch besser ein bisschen Gartenarbeit verrichten will, statt in den | |
| sozialen Medien mit Hatern und Fans abzuhängen, schon immer „möglichst | |
| viele Menschen davon überzeugen wollen, Dinge so zu sehen, wie ich sie | |
| sehe“. Politiker müssten mit den Leuten reden – und das Netz biete diese | |
| Möglichkeit. „Das Twittern ist nichts, wovon ich mich abhalten sollte“, | |
| sagt Ruprecht Polenz, „weil ich die Sache richtig finde.“ | |
| Was genau ist bitte „die Sache“, Herr Polenz? Er wechselt nun vom Plauder- | |
| in den Grundsatzton. „Ich finde es wichtig“, sagt er und berührt ganz | |
| leicht sein Wasserglas, „dass wir alle aus der deutschen Geschichte, aus | |
| den Diktaturerfahrungen der Nazizeit und der DDR die richtigen Konsequenzen | |
| ziehen. Dass völkische Sprache wieder benutzt wird, ohne dass es einen | |
| Aufschrei gibt, beunruhigt mich. Zudem: Ich habe gelernt, dass man sehr | |
| vorsichtig sein muss, damit Minderheiten sich nicht ausgegrenzt fühlen – | |
| das darf man unter keinen Umständen.“ Er halte es da mit Karl Poppers | |
| offener Gesellschaft: Alle müssen mit allen im Gespräch bleiben. | |
| ## Ein Tweet verstört die CDU – Polenz gibt die Antwort | |
| Wie das exakt funktionieren kann, wie Politik und Bürgerschaft trotz | |
| unterschiedlicher Standpunkte kommunizieren können, das hat Ruprecht Polenz | |
| vor Kurzem geradezu vorbildlich gezeigt. Der YouTuber Rezo hatte in einem | |
| 55-minütigen Video die Politik von Polenz’ Partei auseinandergenommen. „Die | |
| Zerstörung der CDU“ lautet der mehrdeutige Titel des umfänglich | |
| recherchierten Films. Es geht um Klima und Reichtum, um Teilhabe und | |
| Lobbyismus, Drohnenkriege und Europa. | |
| In der Parteizentrale reagierten sie denkbar unsouverän. Erst beklagte man | |
| sich über billigen Populismus und inhaltliche Verkürzung. Dann wurde ein | |
| Erwiderungsvideo angekündigt, schließlich schickte man acht Seiten | |
| Rechtfertigung. Annegret Kramp-Karrenbauer schwadronierte in einer | |
| Pressekonferenz von „Meinungsmache“ und „Regeln für den digitalen Bereic… | |
| Ihr Generalsekretär Paul Ziemiak kanzelte Rezo als einen Nullchecker ab. | |
| Die Häme seitens der Öffentlichkeit war episch, die Entkoppelung der CDU | |
| von der jungen Wählerschaft unübersehbar. | |
| Ruprecht Polenz guckte sich das eine Weile an. Dann handelte er. Er schrieb | |
| Rezo einen offenen Brief. Im turboschnellen Digitalorbit ist das ungefähr | |
| so sexy, wie eine Brieftaube zu schicken. Trotzdem hat es funktioniert: | |
| Ruprecht Polenz, der Mann mit den Prinzipien, ist seither der Twittergott | |
| der CDU. | |
| Er habe sich „wahnsinnig geärgert“ über Rezos Video, schrieb er an den 47 | |
| Jahre jüngeren Influencer. „Ich glaube, Du hast mit vielen Punkten Deiner | |
| Kritik Recht, mit anderen nicht, und ich frage mich, ob Dein Video zu einem | |
| Umdenken in unserer Gesellschaft führt, was die Dringlichkeit der | |
| Klimafrage angeht. Hoffentlich tut es das, kann ich nur sagen.“ Es folgen | |
| viele Absätze detaillierter Argumentation, die mit diesem Satz schließen: | |
| „Über eine Antwort würde ich mich freuen.“ Es kann so einfach sein. | |
| Ruprecht Polenz sitzt in seinem Wohnzimmer und schaut zufrieden hinter | |
| seiner Pantone-Brille hervor. Er habe sich „das Ding von Rezo“ eine Weile | |
| aus dem Augenwinkel angeschaut, erzählt er. „Als es anderthalb Millionen | |
| Klicks hatte – mit diesem Titel! –, habe ich’s mir angesehen. Etwas spät… | |
| noch mal, da hatte die CDU immer noch nichts unternommen. Dann hatte ich | |
| die Idee mit dem offenen Brief. Ich bin erst mal ins Bett gegangen, aber | |
| daraus wurde dann nichts, nachts halb zwei war der Brief fertig.“ | |
| ## Die CDU hat sich noch nicht gemeldet | |
| Am nächsten Morgen zeigte er seinen Antwortbrief an Rezos Millionen | |
| YouTube-AbonnentInnen Frau Polenz. „Ihr gefiel er gut“, erzählt er. „Aber | |
| das mit dem Duzen, ob ich das denn machen wolle, hat sie mich gefragt.“ Er | |
| wollte, er machte. „Und dann ist etwas passiert: eine Million Klicks und | |
| viele tausend Kommentare.“ | |
| Seine CDU habe „den Fehler gemacht, die Sache nicht ernst zu nehmen“. Und | |
| als man dann endlich reagiert habe, „hat man im Konrad-Adenauer-Haus die | |
| Sache nicht vom Inhalt her gedacht, sondern von der Form. Mein Rat wäre | |
| gewesen, zu sagen: Gesehen. Geärgert. Lasst uns drüber sprechen.“ | |
| Ruprecht Polenz hat also drüber gesprochen. Und er hat Antwort bekommen. | |
| „Ich habe mit Rezo Kontakt und wir haben uns ausgetauscht, wir haben lange | |
| miteinander telefoniert.“ Mehr will er dazu nicht sagen, es sei | |
| Vertraulichkeit vereinbart worden. | |
| Dass ein 73 Jahre alter Politiker im Ruhestand mit einem 26-Jährigen | |
| YouTuber ins vertiefte Gespräch kommt, hat gleichwohl nicht dazu geführt, | |
| dass ihn deshalb mal irgend jemand aus der Parteizentrale angerufen hätte. | |
| Was nebenbei bemerkt auch deshalb naheliegend gewesen wäre, weil Ruprecht | |
| Polenz vor 18 Jahren selbst deren Generalsekretär gewesen ist. „Dazu gibt’s | |
| keine Veranlassung, ich bin ja im Ruhestand“, bindet Ruprecht Polenz die | |
| entsprechende Nachfrage ab. | |
| Mit dieser guten Erfahrung im Rücken, Herr Polenz, denken Sie nun darüber | |
| nach, selbst YouTuber zu werden? Ja, denkt er, der Herr Polenz. Mehr aber | |
| auch nicht. Dann erzählt er von seinem dreißig Jahre alten Sohn. „Wenn der | |
| irgendein Problem hat, googelt er das und kriegt zu jedem Thema von YouTube | |
| Videos vorgeschlagen. Die guckt er sich dann an und repariert dabei seine | |
| Gangschaltung am Rad.“ Ruprecht Polenz schaut begeistert. „Man kann also | |
| sagen: YouTube löst da ein handfestes Problem. Das erzeugt ein | |
| Grundvertrauen.“ | |
| Doch seiner Familie ist schon jetzt das Getwittere und Facebooken zu | |
| ausufernd. „Es gibt Situationen, wo sie sagen: Ist ein bisschen viel, was | |
| du da veranstaltest. Ich könne ja auch zum Tisch kommen, statt vor meinem | |
| iPad zu sitzen“, sagt er lächelnd. Könnte er, ja. Aber die Zeiten sind rau | |
| und die Christlich Demokratische Union kann Leute wie diesen Ruprecht | |
| Polenz gerade dringend brauchen. Den Twittergott der CDU. Und der Handyakku | |
| der Reporterin hat jetzt auch wieder 100 Prozent. | |
| 10 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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